Von Barbara Angerer-WinterstetterBayreuth
Blaues Wunder oder pure Energie?

Die Bayreuther Festspiele eröffnen mit einer "Lohengrin"-Neuinszenierung durch Yuval Sharon

26.07.2018 | Stand 02.12.2020, 15:59 Uhr
"Lohengrin" mit Blitz, Rauch und Donner: Mit einer Neu-Inszenierung der Wagner-Oper haben am Mittwochabend die Bayreuther Festspiele begonnen. Bühnenbild und Kostüme hat das Künstlerpaar Neo Rauch und Rosa Loy gestaltet. −Foto: Nawrath/Festspiele Bayreuth/dpa

Von Barbara Angerer-WinterstetterBayreuth (DK) "Viel blaue Musik" fand schon Friedrich Nietzsche in Wagners "Lohengrin", den Franz Liszt ein "einziges unteilbares Wunder" nannte.

Neo Rauch und Rosa Loy, das Leipziger Künstlerehepaar, wandeln jetzt bei ihrer ersten Arbeit für die Bayreuther Festspielbühne auf genau jenen Spuren: Blau, sehr blau ist dieser neue "Lohengrin" - in allen Schattierungen leuchtet und strahlt es. "Ich bin von ihm durchglüht", sagt Neo Rauch in einem Interview nach einer beinahe sechsjährigen Dauerpräsenz dieser Musik im Atelier. Wagners Romantische Oper als Teil des Künstler-Projekts der "Wiederverzauberung der Welt", frei von den "Verrenkungen des Regietheaters", eine "heilsame Kur für die Seele"?

Zugegeben: Es ist fulminant, was Rauch mit dem zweidimensionalen Mittel der Malerei im barocken Kulissentheater-Stil, was Loy in märchenhaft-fantasievollen Kostümen auf die Bühne stellen. Romantische Wolken über einem Schilfgürtel ziehen auf Tüllvorhängen vorbei, anderenorts warten ein Umspannwerk und eine erstarrte Gesellschaft auf die Elektrifizierung durch Lohengrin, der Gotteskampf ist ein Luftkampf. Und die Kostüme schwanken zwischen der Stummfilm-Ästhetik der Zwanziger und dem Neu-Bayreuth Wieland Wagners. Soweit, so gut.

Yuval Sharon, 2016 eingesprungen für den mit und in Deutschland unzufriedenen Alvis Hermanis, ließ sich inspirieren von Rauchs und Loys Bildfindungen und entwickelte daraus seine Regie - mit dem angenehmen Nebeneffekt, dass beides sich nicht reibt, überlagert oder gar in Konkurrenz steht wie einst beim Team Rosalie/Kirchner im Bayreuther "Ring". Dennoch überrascht es, dass der gerade mal 39-jährige Amerikaner Sharon gewillt ist, vordergründig derart braves Rampentheater abzuliefern mit blockartig geführten Chören und wenig, sehr wenig Interaktion zwischen den Protagonisten. Guckt man genauer hin, greift Sharon aber doch grundlegend in die Geschichte ein. Lohengrin und Elsa etwa lieben sich nicht: Retter und Gerettete blicken sich nicht mal in die Augen, Berührungen sind rar. Dafür gibt es jede Menge autoritärer Gesten: Bevor Elsa Lohengrin ehelicht, zwingt er sie in eine demütige Sitzposition und zum bewundernden Aufblicken (man wähnt sich in einem der berühmten Richard- und Cosima-Porträts) -, bis er die im Brautgemach immer unwilligere Elsa fesselt. Das hat nichts mit der vielschichtigen Geschichte einer bedingungslos-idealisierten Liebe zweier Menschen zu tun, die sich nie gesehen, aber "geahnt hatten", unter der Prämisse des Frageverbots aber nicht zusammenfinden. Sharons Elsa gewinnt erst nach dem Akt des Zweifelns an Format und emanzipiert sich, Lohengrin verliert und darf abgehen.

Der Zweifel - oder sagen wir besser die Fähigkeit, etwas in Frage zu stellen - ist Sharons Leitmotiv für seine "Lohengrin"-Neuinszenierung. Was per se nicht schlecht ist. Dürfen wir doch gerade in der heutigen politischen Welt nicht mehr all jenen aus dem Nichts auftauchenden Heilsbringern glauben und vertrauen. Das ist tatsächlich eine wichtige Botschaft. Auch wenn Richard Wagners Selbst-porträt des einsamen Künstlers, der in seiner Kunst wie als Mann ungefragt verehrt und geliebt werden wollte, dabei auf der Strecke bleibt. Kurz gesagt: Der neue "Lohengrin" schneidet Ideen an, setzt sie allerdings zu wenig in aktives Bühnengeschehen um und unterbindet gleichzeitig die Vielschichtigkeit des Stücks.

Dafür bleibt sehr viel Platz für sehr überzeugende Musik. Dass Christian Thielemann Wagner das Festspielorchester nicht nur als Klangwunder, sondern auch mit der gewissen Prise narkotischer Wirkung dirigieren kann, ist bekannt. Im aktuellen Fall "Lohengrin" gestaltet er mit unendlich viel Poesie vom Vorspiel bis zum Schlussakkord. Eine große Farbenpalette, viel Dynamik und geradezu italienischen Schmelz bringt Piotr Beczala mit, der nicht nur ein Ersatz für Roberto Alagna ist, der wegen Lernüberforderung in Sachen Wagner-Text kurzfristig abgesagt hatte, sondern ein schlichtweg großartiger Lohengrin. Von Anja Harteros' Debüt auf dem Grünen Hügel dagegen hatte man schon ein wenig erwartet - allzu verhalten legt sie die Partie an und lässt die zarten Zwischentöne vermissen, die ihr sonst eigen sind.

Ein großartiges Comeback, das zugleich ein Abschied sein soll, feierte am Premierenabend dagegen Waltraud Meier, die nach 18 Jahren auf den Hügel zurückkehrte, den sie nach einem Streit mit Wolfgang Wagner verlassen hatte. Meier ist ein Bühnentier in jeder Faser ihres Körpers - und so klug, dass sie die eine oder andere exaltierte Höhe, die heute nicht mehr so sicher sitzt, dennoch technisch meisterhaft ansteuert. Fast verschenkt ist der kostbar-balsamische Bass von Georg Zeppenfeld als König Heinrich, Egil Silins liefert einen achtbaren Heerrufer, nur Tomas Konieczny klingt leider verbraucht und "bellt" sich deklamierend durch die Partie. Und am Schluss taucht als rückverwandelter Gottfried ein grünes Waldmännchen auf, das eine Schutzrune in der Hand trägt. Sinn und Zweck dieser Kreatur, die mit Elsa dem Vordergrund zuschreitet, erschließt sich leider nicht. Vielleicht beginnt mit Gottfried die grüne Phase, die Neo Rauch und Rosa Loy irgendwann mal ausführen werden. Als absolute Bayreuther Rarität gibt's für den einen vorsichtigen Vorhang des Regie- und Ausstattungsteams übrigens keinerlei Buhs, sondern viel Beifall.