Ingolstadt
Achterbahnfahrt der Gefühle

Das Schumann-Quartett und Andreas Ottensamer in der Asamkirche

22.07.2018 | Stand 02.12.2020, 16:01 Uhr
Überirdisch schöne Töne: Andreas Ottensamer und das Schumann-Quartett spielen Mozarts Klarinettenquintett. −Foto: Sauer

Ingolstadt (DK) Wie klingt ein musikalischer Liebesbrief? Leoš Janácek hat ein solches Dokument der Leidenschaft hinterlassen: sein zweites Streichquartett „Intime Briefe“. Schon ein älterer Mann lernte der Komponist die 38 Jahre jüngere verheiratete Kamila Stösslová kennen und verliebte sich.

Elf Jahre lang inspirierte ihn die junge Frau zu einigen seiner wichtigsten Werke. Mehr als 700 Briefe tauschten sie aus, zunächst eher verhalten, dann versiegte über die Jahre der Austausch fast ganz, bis sich im letzten Lebensjahr die Beziehung wieder intensivierte und der große Komponist täglich an sie schrieb. Als er starb, war sie zugegen, für Janácek das größte Glück. Auch wenn die Jüdin Stösslová eine eher einfache, ungebildete Frau war, ihre Briefe enthalten viele Rechtschreibfehler, von Musik verstand sie überhaupt nichts, ihre Stimme soll schrill und unschön gewesen sein.
 
Kurz vor seinem Tod komponierte Janácek für sie sein Streichquartett. Aber wie klingt zu Musik gewordene Liebe? Vor allem leidenschaftlich, enthusiastisch, unruhig flirrend, vielgestaltig, voller schnell wechselnder Motive, ein wenig chaotisch. 
 
Ein lichtdurchflutetes Meisterwerk ist dem Tschechen geglückt. Das Schumann-Quartett spielte das Spätwerk nun im Rahmen der Audi-Sommerkonzerte in der Ingolstädter Asamkirche. Die Vier schätzen die harten Kontraste dieser Musik. Die gefühlvollen parallelen Sexten des Beginns spielen sie rauschhaft schön, um einen Moment später dann das konstrastierende „weibliche“ Motiv des Quartetts von der Bratsche geradezu gespenstisch fahl mit schnellem Strich nah am Steg vorzustellen. Die Liebe schleicht sich hier erst ganz langsam, sehnsuchtsvoll ins Leben. Das Quartett reiht Motive und Ideen - ein Wiegenlied, ein kleiner Walzer, Jubelschreie, ein furchtsamer Tremolo-Ausbruch im Schlusssatz, unterschiedliche Stimmungen - aneinander, und das Großartige beim Schumann-Quartett ist, mit welcher Intensität die Musiker diese Motive modellieren. Eine sonnige, manchmal wilde, manchmal beglückende Geschichte, eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Eben das, was Liebe ausmacht.
 
Eindrucksvoller noch gelingt an diesem Abend das Klarinettenquintett von Wolfgang Amadeus Mozart, für das die Musiker Andreas Ottensamer, den Soloklarinettisten der Berliner Philharmoniker, eingeladen haben. Ottensamer erläutert gleich zu Beginn des Konzerts, dass er auf dem Instrument spielt, für das Mozart eigentlich komponiert hat: eine Bassettklarinette. Der dunklere, weich-samtige Klang dieses Instruments passt besonders gut zur hintergründigen Melancholie des Quintetts. Ottensamer zählt zu den wenigen Künstlern, die schier überwältigende Kontrolle über die Tonerzeugung besitzen, die feinsten Nuancen selbst im Pianissimo herausarbeiten können. Ottensamers Töne sind so spannend, so ungewöhnlich gestaltet, dass man wie gebannt jeder kleinsten Differenzierung lauscht und darüber nahezu die anderen vier Instrumente vergisst. Tatsächlich wirken die Streicher diesmal ungleich weniger gut vorbereitet, die Phrasierungen sind nicht ganz so faszinierend gestaltet.
 
Noch zwei kürzere Stücke erklingen an dem Abend: Mendelssohns kleine Fuge op. 81 Nr. 4, ein introvertiertes Stück, das das Schumann-Quartett mit zurückhaltender Schönheit interpretiert. Und von Anton Webern die „Sechs Bagatellen op. 9“. Bei den kurzen Stücken, die zusammen etwa 4 Minuten dauern ist Expressivität alles. Jede musikalische Bewegung ist Klangrede, wird weitergetragen oder aufgegriffen von anderen Musikern. Maximale Ereignisdichte in kurzer Zeit. Da passiert so viel, dass jedes kleinste Rascheln, Atmen und Knirschen in der Asamkirche zur massiven Störung wird. Radikale Musik, hochemotional gespielt vom Schumann-Quartett.