Pfaffenhofen
Pfaffenhofener Autor Kopetzky fordert unabhängiges deutsches Internet

29.12.2013 | Stand 02.12.2020, 23:15 Uhr

Macht sich Sorgen um seinen digitalen Zwilling: Der Pfaffenhofener Autor Steffen Kopetzky. - Foto: Weber

Pfaffenhofen (DK) Der Autor und ehrenamtliche Kulturreferent Steffen Kopetzky (42) aus Pfaffenhofen fordert zusammen mit 562 internationalen Schriftstellern einen besseren Schutz der Privatsphäre. Im Interview mit unserer Redakteurin Desirée Brenner erklärt er, warum ein Datenschutzabkommen mit den USA als Konsequenz aus der NSA-Affäre seiner Ansicht nach zu kurz gedacht ist.

Herr Kopetzky, was ist eigentlich schlimm daran, wenn Geheimdienste zur Sicherheit der Bürger Daten auf Vorrat speichern?

Steffen Kopetzky: Man muss das einfach auf die analoge Welt übertragen: Stellen Sie sich vor, Sie gehen zur Post und der Beamte würde vor Ihren Augen den Brief öffnen, auf den Kopierer legen und einfach so duplizieren. Oder auf der Bank würde der Angestellte immer eine Kopie von der Überweisung machen. Da würde jeder verstehen, weshalb man sich aufregt. Für viele ist es aber schwer nachzuvollziehen, dass nicht nur Banktransaktionen, E-Mail-Verkehr oder Telefon überwacht, sondern auch private Interessen und politische Überzeugungen abgehört werden – und zwar voll automatisch. Jeder Mensch hat bereits einen digitalen Zwilling, der einem überhaupt nicht gehört, obwohl er völlig aus einem selbst gespeist wird.

 

Wann sind Sie Ihrem digitalen Zwilling zum ersten Mal begegnet?

Kopetzky: Ende der 90er hatte ich mein erstes Mobiltelefon und Internetzugang. Da hatte man schon bestimmte Ahnungen, als die ersten Krankenkassenkarten und die EC-Karten auftauchten. Aber das Ausmaß der Überwachung verstand ich erst nach den Enthüllungen von Edward Snowden. Ich war total überrascht, wie umfassend die Ausspähung ist, wie systematisch, wie vollständig. Erst durch ihn erfuhren wir, dass EU-Institutionen, Botschaften von Freund und Feind bis hin zur Bundeskanzlerin überwacht werden. Ich war entsetzt.

 

Die Befürworter solcher Praktiken argumentieren mit der Sicherheit der Bürger...

Kopetzky: Das widerspricht dem Grundgesetz. Ohne begründeten Verdacht darf niemand mich überwachen. Ein Mensch, der sich beobachtet fühlt, ist nicht frei. Die Geheimdienste verletzen die Rechte der Bürger, indem sie einfach alles aufnehmen. Programme errechnen nach bestimmten Algorithmen die Werte und können nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch in die Zukunft blicken.

 

Wohin könnte das noch führen?

Kopetzky: Alles Mögliche ist denkbar: Angenommen, jemand tut jetzt etwas, das in zehn Jahren verboten ist. Da baut sich eine Schuldfrage auf, die man selbst gar nicht kontrollieren kann. Noch horrender wäre ein anderes Gedankenspiel: Schon in den 50er Jahren hat man überlegt, wie man das Verhalten von Menschen vorhersehen kann. Manche sagen, das ist heute schon durch Big Data möglich. Eigentlich müsste die Justiz dann diese Person verhaften. Am Ende könnten wir dann für Wahrscheinlichkeiten ins Gefängnis gehen.

 

Sie haben deshalb mit Ihren Kollegen einen Brief an die Kanzlerin geschrieben. Was passierte?

Kopetzky: Es war eigentlich zum Lachen, wie die Regierung unser Papier mit den 70 000 Unterschriften abgebügelt hat. Es wurde nur gesagt, dass sie es lesen und sich melden würden. Gehört haben wir dann gar nichts.

 

Was unternahmen Sie dann?

Kopetzky: Wir haben darüber diskutiert, weshalb die Regierung so ignorant agiert. Wir kamen zu dem Schluss, dass Frau Merkel eigentlich ehrlich hätte sagen müssen: Ich bin machtlos. Denn unser gesamter Datenverkehr läuft letztendlich über amerikanische Server. Wir können gegen die Art und Weise, wie die USA mit unseren Daten verfahren, überhaupt nichts tun. Man muss sich mal vorstellen, was da mittlerweile passiert: Ein Geheimdienst, der offenbar auch schon der amerikanischen Regierung entschlüpft ist, kooperiert mit privaten Konzernen.

 

Was müsste passieren?

Kopetzky: Wir müssen erst einmal verstehen, dass wir als wichtige Wirtschaftsmacht bei der digitalen Infrastruktur, bei der Versorgung mit Breitband und bei der Gesetzgebung mittlerweile abgeschlagen sind. Da sind wir – kein Witz – weit hinter Rumänien oder Russland. Die digitale Revolution ist nur mit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert vergleichbar. Deshalb brauchen wir unser eigenes Silicon Valley.

 

Das wäre sicher sehr teuer...

Kopetzky: Es wäre aber der einzige Weg. Ein Geheimdienstabkommen mit den USA wird überhaupt nichts nutzen. Ich glaube, die Geheimdienste werden sich so nicht bändigen lassen. Nur mit einer eigenen Infrastruktur können wir auf Augenhöhe mitreden. Außerdem bietet das auch für die Wirtschaft Chancen. Das digitale Netz ist der wichtigste Wirtschaftsfaktor. Denn schon jetzt haben viele Unternehmen Angst vor Wirtschaftsspionage. Ein sicheres Netz ist deshalb ein Wettbewerbsvorteil.

 

Was soll unsere Regierung unternehmen?

Kopetzky: So wie fließendes Wasser sollte auch fließendes Internet ein Grundrecht sein. Und zwar muss es frei, geschützt und für jeden in der gleichen Qualität verfügbar sein. Man kann die Wirtschaft da allerdings nicht alleine lassen. Die Bundesregierung muss einen Masterplan aufstellen. Das ist mindestens so wichtig wie die Energiewende, die ja dabei helfen kann, von russischem Gas und arabischem Öl unabhängig zu werden. Denn es wäre schlimm, wenn plötzlich niemand mehr heizen könnte. Aber genauso schlimm wäre es für die Wirtschaft, wenn plötzlich für zwei Wochen die Homepages von wichtigen Unternehmen nicht mehr funktionierten.

 

Haben Sie denn Hoffnung, wenn Sie den Koalitionsvertrag durchlesen?

Kopetzky: Eher nicht. Sätze wie „Wir drängen auf weitere Aufklärung“ in Bezug auf die Ausspähung der Bürger werden uns nicht weit bringen. Ich denke, dass das alles Sonntagsreden bleiben, solange wir nicht Fakten schaffen und unsere infrastrukturelle Unabhängigkeit haben. Dass die Regierung natürlich jetzt schon Google verbieten könnte, Daten der Bürger weiterzugeben, das ist ein Fakt.