Ingolstadt
"Wer das will, ist kein Demokrat"

padeluun über die Vorratsdatenspeicherung – am Samstag Demo in München

09.10.2015 | Stand 02.12.2020, 20:42 Uhr

Digitale Bürgerrechte stehen im Fokus der Arbeit des Künstlers und Netzaktivisten padeluun, der nur unter diesem Pseudonym in der Öffentlichkeit auftritt. - Foto: Mario Sixtus/CC

Ingolstadt (DK) Vom Bundesverfassungsgericht abgeschmettert, vom Europäischen Gerichtshof ebenso und laut wissenschaftlichem Dienst des Bundestags ohne nennenswerte Effekte auf die Verbrechensaufklärung: Die Vorratsdatenspeicherung hat keine gute Bilanz. Dennoch wollen deutsche Politiker derzeit eine neue Regelung finden, die es ermöglicht, Telekommunikationsdaten aller Bürger vorab zu speichern. Der Widerstand seitens Datenschützern ist groß. Einer der profiliertesten Kritiker ist der Künstler und Aktivist padeluun.

Was ist Ihr Hauptproblem mit der Vorratsdatenspeicherung?

padeluun: Unsere Vorfahren haben mit Blut darum gekämpft, dass wir freiheitlich leben können, dass wir mitbestimmen können. Aber wir haben uns so sehr daran gewöhnt, dass wir es für selbstverständlich halten. Dabei geht es hier um eine grundlegende Einstellung unserer Demokratie: Jeder Mensch ist erst einmal vernünftig und gut. Nun gibt es in Deutschland einige wenige, bei denen ist das nicht so. Wenn die auffällig werden, darf der Rechtsstaat ermitteln. Das ist in Ordnung. Wogegen wir aber in einem Rechtsstaat etwas haben: wenn man Daten im Voraus speichert. Das bedeutet nämlich, dass wir plötzlich alle als schlimme Menschen angesehen werden. Das ist ein heftiger Rückschritt, weg von der Demokratie, in Vor-Weimarer-Republik-Zeiten. Da dürfen wir als Menschen, denen Demokratie und Freiheit etwas wert sind, nicht mitmachen.

 

Mit einer Speicherung von Daten in begründeten Einzelfällen hätten Sie kein Problem?

padeluun: Im Zweifelsfall bin ich dafür, zu sagen: Jetzt sagen wir den Providern, dass sie mitschneiden, was dieser Mensch im Netz treibt. Dann muss sich das ein Richter anschauen.

 

Also ein „Quick-Freeze-Verfahren“, wie es die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vorgeschlagen hatte...

padeluun: Frau Schnarrenberger hatte ein Verfahren vorgeschlagen, dass „Quick-Freeze plus“ genannt wurde. Hier würde ständig – für einen kurzen Zeitraum – aufgezeichnet, damit man ab einem Zeitpunkt X Daten von ein paar Tagen davor hat. Auch das ist vom demokratischen Gedanken her nicht richtig, weil wir damit eine Umkehrung von einem Rechtsstaat zu einem Überwachungsstaat machen. Es mag praktisch klingen. Aber es sind oft praktische Überlegungen, die zu einem teuflischen System führen. Ein Demokrat kann keine Vorratsdatenspeicherung machen, weil er damit die Demokratie abschaffen würde. Wer die Vorratsdatenspeicherung will, ist kein Demokrat.

 

Welche Interessen stehen hinter der Vorratsdatenspeicherung?

padeluun: Wir haben in Deutschland eine hohe Lobbykraft. Man muss immer nach dem Geld schauen. Und Geld verdienen große IT-Unternehmen. Der Betrieb von Rechenzentren: Das sind ein paar Milliarden Euro, die da zusammenkommen. Doch wenn wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichts anschauen, das gesagt hat, wie so etwas gesichert sein müsste: Das ist technisch nicht umsetzbar.

 

Wird der Wert von Freiheit in Deutschland unterschätzt?

padeluun: Wir wohnen in Deutschland in einem sehr sicheren Land. Menschen, die mal im Ausland waren, wissen, wie gut es uns hier geht, wie wenig wir hier unter einem Kontrollwahn leiden, wie sich Freiheit anfühlt. Und die Demokratie möchte, dass sich Menschen – sogar mit abwegigen Meinungen – in einen Diskussionsprozess einbringen. Der Filter ist der Diskurs. In dem Moment, in dem ich in einer politischen Diskussion die Furcht haben muss, dass das, was ich sage, aufgezeichnet und ausgewertet wird, dass ich vielleicht Nachteile haben könnte, führt das dazu, dass Menschen sich nicht mehr frei entfalten können.

 

Besteht das Risiko einer Selbstzensur?

padeluun: Ja. Denn in dem Moment, in dem ich weiß, es werden Daten über mich gesammelt, versuche ich, mein Verhalten anzupassen. Mir hat einmal ein junger Mann erzählt, wie er versucht hatte, seine Tischtennisplatte loszuwerden. Er traf jemand, der die gut gebrauchen konnte, weil der Jugendarbeit in einer Moschee machte. Als der junge Mann zu Hause war, überlegte er: „Moment, Jugendarbeit in einer Moschee? Was, wenn das Islamisten sind? Dann könnte es auffallen, dass ich da angerufen habe.“ Er hat nicht angerufen. Die Kinder haben ihre Tischtennisplatte nie bekommen. Man sieht, dass Menschen, die nichts zu verbergen haben, plötzlich auf komische Ideen kommen. Das bedeutet aber auch: Wir müssen uns die ganze Zeit nach Regeln richten, die wir nicht kennen. Das ist das, was man Terror nennt: Man sagt den Leuten nicht, was sie tun dürfen. Sondern sie müssen überlegen: Nach welcher heimlichen Agenda funktioniert das hier eigentlich? Das ist immens belastend. Es macht das Leben regelrecht kaputt und zermürbt.

 

Was ist problematisch an der Speicherung von Metadaten, die nicht Inhalte von Kommunikation enthalten, sondern zum Beispiel „nur“, wer wann wo mit wem telefoniert hat?

padeluun: Aus Metadaten kann man oft mehr rauslesen, als aus Inhalten. Es gab eine Studie, in der sich Leute bereit erklärt hatten, dass ihre Metadaten gespeichert werden dürfen. Die Forscher waren entsetzt, was sie herausfinden konnten. Da gab es eine Frau, die eine Stunde mit ihrer Schwester telefonierte. Ein paar Tage später noch einmal eine Stunde. Danach hat sie mit einer Klinik telefoniert, die Abtreibungen vornimmt. Danach noch einmal mit ihrer Schwester. Es war anhand der Metadaten klar: Sie hat eine Abtreibung vorgenommen.

 

Woher kommt in der Politik die Begeisterung für das Werkzeug Vorratsdatenspeicherung?

padeluun: Ich war einmal zu Gast bei einem CDU-Parteikongress. Da stand ein Mann auf der Bühne und erzählte: „Wir brauchen Vorratsdatenspeicherung.“ Ein Freund von mir, der in der CDU ist, erklärte mir: „Das ist der Herr Sowieso, der macht eine super Arbeit in einem total unattraktiven Bereich. Wenn der denen daheim erzählt, dass er der ist, der dafür da ist, die Krümmung der Bananen zu verhandeln, dann werden seine Leute ihn nicht wählen. Wenn er sagt: Ich hab für härteres Durchgreifen gefochten, bekommt er seine Wählerstimmen.“ Tatsächlich stellt sich keiner hin und sagt: Wir wollen keine Sicherheit. Denn natürlich wollen wir die. Doch ein Staat, der Sicherheit garantieren würde – was unsere Demokratie bewusst nicht tut – wäre ein totalitärer Staat. Aber wir wollen nicht nur kleine Bauern auf dem Schachbrett sein. Wir wollen Damen, wir wollen Könige, wir wollen Läufer sein, uns frei bewegen und denken können. Das brauchen wir einfach. Das heißt: Ein totalitärer Staat ist nicht die Lösung. Tatsächlich lassen sich Freiheit und Sicherheit nicht gegeneinander aufwiegen.

 

Die Fragen stellte Tom Webel.