Urteil gegen Raser gemildert
Motorradfahrer muss nach folgenschwerem Rennen drei Jahre und fünf Monate in Haft

04.05.2022 | Stand 23.09.2023, 1:39 Uhr |

Der angeklagte Motorradfahrer steht im Verhandlungssaal des Landgerichts. Ein tödlicher Raser-Unfall muss vor dem Gericht in Teilen neu verhandelt werden. Foto: Armin Weigel/dpa

Mit einem Motorrad und einem Sportwagen rasen zwei Männer im Bayerischen Wald eine Bergstrecke entlang. Der Sportwagen kracht gegen einen Oldtimer. Dessen Fahrer ist sofort tot, sein Sohn erleidet allerschwerste Verletzungen und ist seither schwerbehindert.

Die Raser werden im November 2019 zu je fünf Jahren Haft verurteilt. Das Urteil gegen den Motorradfahrer hat der Bundesgerichtshof (BGH) jüngst zu dessen Gunsten abgeändert und teilweise aufgehoben. Nun ist der 57-Jährige vor dem Landgericht Deggendorf zu drei Jahren und fünf Monaten Haft verurteilt worden. Zwei Monate seien bereits als vollstreckt anzusehen, sagte die Vorsitzende Richterin.



In erster Instanz waren beide Männer wegen der Teilnahme an einem unerlaubten Fahrzeugrennen mit Todesfolge und schwerer Gesundheitsschädigung sowie fahrlässiger Körperverletzung verurteilt worden, der Motorradfahrer zudem wegen Unfallflucht. Der Vorsitzende Richter sprach damals von „Geschwindigkeitswahn“.

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Staatsanwaltschaft und Verteidigung hatten die Urteile akzeptiert. Die Nebenklage ging in Revision und strebte eine Änderung des Urteils gegen den Motorradfahrer zu dessen Ungunsten an – nämlich eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Tötungsdeliktes. Der BGH folgte diesem Antrag nicht. Vielmehr habe sich der Mann des unerlaubten Kraftfahrzeugrennens, der fahrlässigen Tötung sowie der fahrlässigen Körperverletzung schuldig gemacht. Das Landgericht Deggendorf musste nun über ein neues Strafmaß entscheiden.

Zu Beginn des Verhandlungstages am Mittwoch richtete der 57-Jährige eine Entschuldigung an Witwe und Sohn des getöteten Autofahrers. Es sei ein Fehler gewesen, das Rennen gefahren zu sein. Auch wenn er den Unfall nicht unmittelbar ausgelöst habe, trage er nicht nur eine moralische Schuld. „Ich habe eingesehen, dass ich zu Recht die strafrechtlichen Folgen zu tragen habe.“ Deswegen habe er seinen Revisionsantrag damals zurückgenommen. Er habe gehofft, dass die Nebenklage das auch tun würde.

Ihm sei klar, dass die Folgen für die Familie des Toten ungleich schlimmer seien als die Folgen für ihn, sagte er. Jedoch habe ihn das Verfahren und die damit verbundene Ungewissheit stark belastet. Auf Nachfragen der Richter hin schilderte der Mann, dass sich Verwandte, Freunde und Bekannte abgewandt hätten. Den Führerschein musste er abgeben, im ersten Prozess wurde ihm ein mehrjähriges Fahrverbot auferlegt. Motorradfahren will der Mann nie wieder.

Emotional wurde die Verhandlung, als Witwe und Sohn aussagten. Der Junge erlitt bei dem Unfall allerschwerste Verletzungen, lag im Koma. Mit tränenerstickter Stimme sagte die Frau, ihr Sohn kämpfe, wolle selbstständig werden und so gut wie möglich am Leben teilnehmen. „Ich bin stolz auf ihn.“ Der Alltag sei durchgetaktet mit Arztterminen und Therapiesitzungen; arbeiten kann die Frau, die auch noch eine achtjährige Tochter hat, nicht mehr. Ohne die Unterstützung aus ihrem Umfeld und zahlreicher Spender wäre es nicht zu schaffen.

Der Junge, fast 14 Jahre alt, hinkt in leicht gebückter Haltung, ein Bein ist verkürzt, die Finger an der linken Hand und den linken Arm kann er kaum bewegen, die Rekonstruktion des Kiefers dauert an, er sieht schlecht, hat Gleichgewichtsprobleme und kann seine Schultasche nicht tragen. „Ich habe Angst vor der Zukunft“, sagt die Mutter bewegt. Wird ihr Sohn eines Tages selbstständig leben, Auto fahren und eine Freundin haben können? Das seien Fragen, die sie umtrieben.

Wie schon im ersten Verfahren beeindruckte der Bub mit seinem selbstsicheren Auftritt. Er stellt sich seinem Schicksal. Unter der Woche habe er Schule, Arzttermine, Physio- und Ergotherapie. Der Schüler zählt körperliche Erfolge auf: Die Beinschiene müsse er nicht mehr tragen und den linken Arm könne er anheben. Die Schule falle ihm nicht schwer. Zeit für Freunde bleibe nur an den Wochenenden. Im Schützenverein übe er an der Luftpistole. Stolz erzählt er: „Ich habe bei einer Scheibe schon einmal ins Schwarze getroffen.“

dpa



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