Wolnzach
Ein Komet am Speedway-Himmel

Sepp Angermüller starb 1977 bei einem WM-Lauf in Italien – Heute wäre er 65 Jahre alt geworden

05.11.2014 | Stand 02.12.2020, 22:02 Uhr

Mädchenschwarm auf den Siegertreppchen: Sepp Angermüller.

Wolnzach (DK) Sepp Angermüller war der „Speedway-Beatle“. Ein Mädchenschwarm mit langer, blonder Mähne und einer der besten Sandbahnfahrer Deutschlands. 1977 starb der Motorsportler aus dem kleinen Osseltshausen bei Wolnzach bei einem WM-Lauf in Italien. Heute wäre er 65 Jahre alt geworden.

Er hätte noch so viel vor sich gehabt. Worte, die man oft hört, wenn ein junger Mensch plötzlich stirbt. Auch im April 1977 ist dieser Satz gefallen. Josef Angermüller, Sandbahn- und Speedway-Rennfahrer aus Osseltshausen bei Wolnzach, war am Nachmittag des 24. April, einem Sonntag, bei einem WM-Lauf in Italien im Alter von nur 27 Jahren tödlich verunglückt.

Und dieser Josef Angermüller war nicht irgendwer: Der Sepp war ein Idol, ein richtiger Held für viele seiner Fans. Beliebt bei Alt und Jung, gefürchtet bei seinen Gegnern auf der Sandbahn. Heute hätte er seinen 65. Geburtstag feiern können. Anlass für einen Blick zurück auf das kurze Leben und die steile Rennfahrerkarriere von Sepp Angermüller.

„Der Sepp war scho ois kloana Bua a wuida Hund“, erinnert sich ein Osseltshausener. „Der war schon beim Radlfahrn im Gelände immer der Schnellste und Verrückteste. Angst hat der gar ned kennt.“ Der Weg zum Rennsport war also nicht allzu weit. Der Sohn des Limonaden-Hersteller-Ehepaares Angermüller interessierte sich dann auch schon früh für schnelle Motoren. Die ersten Ersparnisse wurden in ein Moped, und etwas später in die erste Rennmaschine investiert.

Albert Strasser aus Kleinreichertshofen, selbst in den 1970er Jahren ein erfolgreicher Speedway-Fahrer, erinnert sich gern an die gemeinsame Zeit. Die beiden waren zwar auf der Sandpiste erbitterte Gegner, abseits davon allerdings gute Freunde. Ihre ersten Duelle trugen die beiden übrigens nicht auf Sand, sondern auf Asphalt aus: Beide machten Mitte der 1960er Jahre eine Lehre zum Mechaniker und mussten wöchentlich die Berufsschule in Pfaffenhofen am Schleiferberg besuchen. Albert war im Besitz eines Kreidler-Mopeds, dem Sepp gehörte eine Honda. Beide gaben gerne Gas, aber wer war schneller?

Ohne sich wirklich zu verabreden, passte man sich gegenseitig nach dem Unterricht an der Ingolstädter Straße beim damaligen Isar-Amperwerke-Prüfamt ab – denn hier war der „Start“. Die Rennstrecke führte über Förnbach nach Uttenhofen, manchmal sogar bis Rohrbach. Die Pfaffenhofener Polizei bekam von dem Privatduell irgendwann Wind und bremste die beiden „Mopedrocker“ bald mit Erfolg ein.

Im Juni 1968 gab Angermüller dann sein Debüt als „richtiger“ Rennfahrer. Auf der Sandbahn von Eggenfelden belegte er den siebten Platz. Jetzt war er der „Beatle“. Diesen Spitznamen erhielt er aufgrund seiner schulterlangen, blonden Mähne, und wegen seiner Beliebtheit bei den weiblichen Fans. Die Experten merkten schnell, dass er mehr als ein Talent war. Der „Stern aus der Hallertau“ begann aufzusteigen wie ein Komet am Bahnsporthimmel. Eine Jugendzeitschrift schrieb: „Rings um den Sepp muss es knattern! Für ihn ist Tempo und Gefahr das, was für andere die tägliche Brotzeit bedeutet.“ Es war nicht irgendeine Zeitschrift, es war die „Bravo“, in der die Teenies den „Speedway-Beatle“ mehrmals bewundern konnten.

Der Bahnsport erfuhr in den frühen 1970er Jahren einen regelrechten Boom. Die Massen pilgerten Woche für Woche zu den Rennbahnen. Zuschauerzahlen von bis zu 20 000 waren keine Seltenheit. Und auch Angermüller hat einiges dazu beigetragen. Er war einer dieser „Local Heros“, denen man ganz besonders die Daumen drückte, wenn es gegen die internationalen Stars ging. So geschehen auch an einem Fronleichnamstag in Olching, als es ihm gelang in vier dramatischen Runden den mehrfachen Speedway-Weltmeister Ole Olsen aus Dänemark niederzuringen. Der Sepp war in der Weltspitze angekommen.

Wie viele internationale Meetings er in der Zeit von 1970 bis 1977 gewinnen konnte, ist schwer abzuschätzen, aber um die 50 dürften es schon gewesen sein. Unter anderem konnte er 1974 das Silberwappen der Stadt Pfaffenhofen gewinnen. Angermüller und Strasser (1973) waren übrigens die einzigen deutschen Fahrer, die diesen Titel erringen konnten. Sonst konnten sich immer nur Stars aus dem Ausland in die Pfaffenhofener Siegerliste eintragen, erzählt Albert Strasser voller Stolz.

England war zur damaligen Zeit der Nabel der Speedway-Welt. Angermüller war im Alter von 21 Jahren der erste deutsche Fahrer überhaupt, der ein Engagement in der dortigen Profiliga wagte. Vom zeitlichen und körperlichen Aufwand her war das Ganze aus heutiger Sicht ein Wahnsinn: Billig-Airlines gab es damals natürlich noch nicht. Die einzige einigermaßen kostengünstige Möglichkeit nach England zu kommen, war das Auto. So pendelte der Sepp ununterbrochen, meist alleine, mit seinem orangefarbenen BMW zwischen Osseltshausen und dem jeweiligen Rennort auf der Insel über Deutschlands, Belgiens und Englands Straßen. Zum Transport der Rennmaschine diente dem gelernten Landmaschinenmechaniker ein selbst gebauter Ständer, der am Heck des Autos befestigt wurde.

In der englischen Speedway-Liga fuhr Angermüller beinahe täglich gegen die besten Fahrer der Welt und konnte dabei einiges an Technik und Routine dazulernen, was ihm später sehr von Nutzen sein sollte. Als ausgesprochener Fighter, der niemals einen Lauf verloren gab, war er bei den britischen Fans sehr beliebt. Erst kürzlich widmete ihm eine englische Fachzeitschrift einen zweiseitigen Artikel – man hat Angermüller auf der Insel also nicht vergessen.

Übrigens war Angermüller auch der derjenige, der so etwas wie Merchandising in der Rennsport-Szene einführte. Sein Sortiment an Fanartikeln war freilich noch recht überschaubar. Genau genommen handelte es sich nur um Postkarten und Aufkleber. Aber immerhin: Etwas Vergleichbares konnten seine Konkurrenten ihren Fans damals noch nicht bieten. Auch Egon Müller, bis heute einziger deutscher Speedway-Weltmeister und ein guter Freund des Osseltshauseners, bekam davon Wind. Der Kieler war in den 1970ern häufig zu Gast im Hause Angermüller. Einmal, nachdem er an einem Rennwochenende in Bayern beim Sepp in Osseltshausen übernachtet hatte, waren etliche Angermüller-Aufkleber bei der Heimreise nach Norddeutschland mit dabei. Zu Hause wurde aus „Josef Angermüller Speedway“ (in Großbuchstaben) mithilfe einer Schere dann „Müller Speedway“. So hatte der Egon seine „eigenen“ Aufkleber zum Nulltarif. Dass das Bild darauf den Speedway-Beatle aus Bayern zeigte, störte ihn weniger – schließlich hatte auch er lange, blonde Haare.

Für den „Beatle“ schien aber nicht immer nur die Sonne. Auch etliche Rückschläge hatte er zu verkraften. So etwa im Frühjahr 1975, als Angermüller beim Speedway-Rennen in Neustadt/Donau in einen verhängnisvollen Sturz verwickelt war. Mit gebrochenem Oberschenkel wurde er von Helfern an den Beinen ins Innenfeld gezogen. Welche Schmerzen er dabei hatte, mag man sich gar nicht vorstellen.

Für Fans und Experten steht fest: Sepp Angermüller war einer der besten Fahrer, die nie einen großen internationalen Titel gewinnen konnten. Irgendwie zog das Ehrenmitglied des MSC Wolnzach das Pech geradezu an, wenn es ums Ganze, sprich die Weltmeisterschaft ging. Immer wieder versagte gerade in entscheidenden Momenten die Technik, oder er war wieder einmal in einen Sturz verwickelt, oft genug unverschuldet.

1977 hätte es endlich klappen und der Traum vom WM-Titel auf der Sandbahn endlich in Erfüllung gehen sollen. Der Einzug in das Weltfinale der 16 besten Speedwayfahrer in Göteborg war fest eingeplant. Dafür hatte Angermüller materialtechnisch mächtig aufgerüstet und sich im Winter so akribisch wie nie zuvor vorbereitet.

Alle Träume endeten abrupt mit dem fürchterlichen Sturz auf der Speedway-Bahn in Chivitanova-Marche an der italienischen Adriaküste. Vielleicht wäre er wirklich Weltmeister geworden. „Drauf gehabt“ hätte es Sepp Angermüller auf alle Fälle – da sind sich Fans und Experten auch heute noch einig.