München
War Hilfe das Ziel oder der Tod im Kampf?

Ein Augsburger steht vor Gericht, weil er sich laut Anklage islamistischen Rebellen in Syrien anschließen wollte

18.10.2019 | Stand 23.09.2023, 9:04 Uhr
Patrik Stäbler
Mit einem Aktenordner verbirgt der Angeklagte sein Gesicht. −Foto: Stäbler

München (DK) Der Mann, der früher Hans-Georg hieß, sitzt leicht zusammengekauert auf der Anklagebank und gibt dennoch eine imposante Figur ab.

Fast zwei Meter ist er groß, die Haare geschoren, der Bart getrimmt, der Nacken zu breit für den Hemdkragen und die Oberarme so dick wie sonst Oberschenkel. Muhamed H. aus Augsburg hat seinen früheren Vornamen Hans-Georg vor einigen Jahren abgelegt - "weil ich mit einem muslimischen Namen angesprochen werden wollte", wie er sagt.

Nach Überzeugung der Generalstaatsanwaltschaft München wollte dieser Muhamed H. im Sommer 2017 nach Syrien reisen und dort für die islamistische Terrororganisation Hai'at Tahrir al-Sham (HTS) in den bewaffneten Kampf ziehen gegen die Regierungstruppen von Präsident Baschar al-Assad. Kurz vor der Grenze wurden der 33-Jährige, zwei Freunde aus Augsburg und weitere Mitstreiter aus aller Welt von türkischen Sicherheitskräften festgenommen. Muhamed H. saß danach mehr als eineinhalb Jahre im Gefängnis und in Abschiebehaft in der Türkei, ehe er nach Deutschland ausgeliefert wurde. Dort muss er sich seit Freitag vor dem Oberlandesgericht München verantworten. Der Hauptvorwurf lautet: Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat - ein Verbrechen, das eine Freiheitsstrafe von bis zu zehn Jahren zur Folge haben kann.

Den Gerichtssaal betritt Muhamed H. - um sein Gesicht zu verdecken - mit einem aufgeklappten Ordner in den Händen, auf dessen Rücken in Großbuchstaben "Gericht Verteidigung" steht. Später im Prozess holt der 33-Jährige aus jenem Ordner mehrere handbeschriebene Seiten hervor: seinen Lebenslauf, den er im Gefängnis verfasst hat und nun vorträgt - mit leiser Stimme, oft nuschelnd, mitunter ganze Silben verschluckend.

Nach einer "schönen Kindheit" sei er im Alter von zwölf Jahren beinahe an einer Lungenkrankheit gestorben. Kurz darauf habe er sich einer Hormontherapie unterziehen müssen, da er - damals schon 1,87 Meter groß - andernfalls weiter gewachsen wäre, laut Ärzten bis zu einer Größe von 2,30 Meter. Im Teenageralter gerät Muhamed H. auf die schiefe Bahn: Er habe Alkohol und Drogen konsumiert, sei "in kriminelle Kreise gerutscht". Nach einer abgeschlossenen Kaufmannslehre hat er mehrere Gelegenheitsjobs, feiert Partys, hängt mit Freunden ab. "Doch dieses Leben hat mich nicht zufriedengestellt", sagt er. "Ich hatte das Gefühl, das mir etwas fehlt - und das habe ich erst im Islam gefunden. "

Nach einer zweimonatigen Reise nach Bangladesch, "wo ich viel Zeit hatte, um über Gott und die Welt nachzudenken", beschäftigt sich Muhamed H. immer intensiver mit dem muslimischen Glauben. Im Jahr 2010 konvertiert er zum Islam; kurz darauf schwört er seinem alten Leben ab: Statt Partys und Drogen seien nun Religion und Familie im Vordergrund gestanden, sagt der Vater einer dreijährigen Tochter.

Als ab 2015 Abertausende Flüchtlinge aus Syrien nach Deutschland kommen, beschäftigt sich Mohamed H. zunehmend mit dem Krieg in dem Land. "Ich war den sunnitischen Rebellen verbunden", sagt er. Aber: "Den IS und ähnliche Gruppen habe ich abgelehnt. " Diese Aussage steht im Widerspruch zur Anklageschrift, die der Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft zuvor vorgetragen hat. Demnach habe sich der Augsburger nach seiner Konversion zusehends radikalisiert und "sich mit den Zielen und Wertvorstellungen radikalislamischer terroristischer Vereinigungen im Ausland identifiziert". 2017 habe er dann mit zwei Bekannten aus Augsburg nach Syrien reisen wollen, um sich dort einer deutsche Gruppe innerhalb der HTS anzuschließen und für die Vereinigung zu kämpfen. Ziel der Organisation sei es gewesen, einen Gottesstaat nach den Vorgaben der Scharia zu errichten - "unter Begehung schwerer Straftaten einschließlich Mord und Totschlag", so die Anklage.

Laut dem Vertreter der Generalanwaltschaft ist Mohamed H. der Anführer der drei Augsburger gewesen. Er habe den Türken und den Afghanen, die inzwischen in ihren Heimatländern leben, dazu angestiftet, mit ihm nach Syrien zu reisen. Zum Beweis listet die Anklage etliche Nachrichten auf, die der 33-Jährige in einem Gruppenchat geschrieben hat. Dort habe er etwa propagiert, es sei "die Pflicht aller Muslime nach Syrien zu reisen, um dort den Muslimen zu helfen".

Ob der Tod im Kampf ein Ziel von ihm gewesen sei, fragt Richter Anton Winkler. "Nein", antwortet Muhamed H. Und ob er heute noch den Wunsch habe, nach Syrien zu reisen, um dort zu helfen? Da muss der 33-Jährige zum einzigen Mal an diesem Vormittag grinsen. "Da lasse ich jetzt lieber die Finger davon", sagt er.

Für den Prozess sind nach jetzigem Stand 16 Verhandlungstage angesetzt. Ein Urteil wird erst im kommenden Jahr erwartet.

Patrik Stäbler