"Technologie ist ein Werkzeug"

Sarah Henkelmann vom Netzwerk Digitale Bildung über die Einführung Neuer Medien in den Schulalltag

26.07.2019 | Stand 02.12.2020, 13:24 Uhr
Wie Bildung mit Hilfe digitaler Medien in der Praxis funktioniert, dafür ist Sarah Henkelmann Expertin. −Foto: Obster

Frau Henkelmann, wie steht es denn um die digitale Entwicklung in den deutschen Schulen und speziell in Bayern?

Sarah Henkelmann: Die Digitalisierung muss Einzug in den Schulen halten - das ist ganz wichtig. In anderen Ländern ist das schon geschehen, wir sind da hinten dran. Auch in Bayern. Wenn wir uns etwa das Bundesland Hamburg anschauen, die haben vor 10 bis 15 Jahren schon damit angefangen. Hamburg ist aber auch ein Leuchtturm innerhalb Deutschlands. Das können wir uns jetzt als Vorbild nehmen, um zu schauen: Was hat dort gut funktioniert? Wo waren die Stolpersteine? Und was kann man auf andere Regionen übertragen?

Was ist bei der Einführung von Neuen Medien in eine Schule zu beachten?

Henkelmann: Der Fokus muss sein: Pädagogik vor Technik. Es nützt niemanden etwas, wenn Technologie im Klassenzimmer ohne Sinn und Verstand verbaut wird. Lehrer nutzen sie auch nicht, wenn nicht schon vorher darüber nachgedacht wurde, was der Zweck des Ganzen, also das pädagogische Postulat, ist. Technologie muss unterstützend wirken, mit ihr müssen Lernziele erreicht werden. Sie ist ein Werkzeug.

Wie ist denn die technische Ausstattung der bayerischen Schulen gerade? Sehr unterschiedlich, oder?

Henkelmann: So ist es. Es gibt selbst in München Schulen, die nicht ordentlich an das Internet angeschlossen sind. Vor drei Jahren rief mich mal eine Schulleiterin an und sagte: "Im Lehrplan steht, wir sollen etwas über Online-Bewerbungen machen, aber wir haben keinen Internetanschluss, unsere Beamer sind veraltet und die Rechner sieben Jahre alt, da brauche ich Ihnen gar nicht zu sagen, was passiert, wenn ich die hochfahre. Dafür können unsere Schüler aber ganz hervorragend Plakate malen - das interessiert heutzutage nur keinen mehr. " Das war schon sehr traurig.

Aber gibt es andererseits auch Schulen, die schon sehr gut ausgestattet sind?

Henkelmann: Die gibt es. Aber das sind wirklich nur einzelne Inseln. Das ist in anderen Bundesländern allerdings genauso, da ist Bayern keine Ausnahme. Wir müssen jetzt einfach Gas geben, das sind wir den folgenden Generationen schuldig.

Angenommen, ein überforderter Schulleiter kommt und fragt Sie, wie und wo er denn nur mit der digitalen Bildung anfangen soll. Was raten Sie ihm?

Henkelmann: Da würde ich erst mal schauen: Wo steht die Schule? Wo möchte sie hin? Was sind die Leitbilder? Dann würden wir überlegen, ob es in der Region vielleicht schon eine Leuchtturm-Schule gibt, mit der sich der Schulleiter vernetzen kann. Denn Schulleiter und Schulleiter können ganz anders miteinander sprechen als etwa ich das mit ihm kann, oder der Schulträger mit dem Schulleiter. Der Rektor einer Leuchtturm-Schule weiß nämlich ganz genau, wo die Bauchschmerzen des anderen liegen. Und diese Aha-Erlebnisse versuchen wir zu organisieren. Zudem stellen wir die Materialien und Wegweiser, die wir mit Experten verfasst haben, zur Verfügung. Darin sind die einzelnen Schritte, was zu beachten ist, abgebildet.

 

Eine Art Ratgeber?

Henkelmann: Genau. Aber wir können nur Beispiele geben, man kann auf Schulen keine Blaupausen legen. Wenn es für die eine Grundschule gut ist, mit Tablets anzufangen, heißt das nicht, dass es bei einer anderen Grundschule genauso ist. Die fangen vielleicht mit interaktiven Whiteboards oder mit einer strukturierten Verkabelung an. Wichtig ist es, besonnen anzufangen und die pädagogischen Fragen dabei immer vorneweg zu stellen. Es muss alles zusammen langsam wachsen. Man kippt nicht alles komplett sofort in die Schule hinein - womit man ja auch die Lehrkräfte überfordern würde - sondern man fängt klein und in Ruhe an. Das ist ein Prozess. Meine Empfehlung ist es dabei auch, die Ressource, die man im Klassenraum sitzen hat, nämlich die Schüler, mitzunutzen. Denn die sind ja zum größten Teil sehr medienaffin.

Werden die Schulen künftig einen Medienwart brauchen, damit die ganze Technik funktioniert?
Henkelmann: In Niedersachsen gibt es tatsächlich die Forderung, Systemadministratoren für Schulen als Ausbildungsberuf zu schaffen. Das ist eine politisch spannende Idee. Ich war selbst dabei, als Politiker bei den Schulleitern in ihrer Region nachfragten, ob sie sowas bräuchten. Und die haben ganz klar Ja gesagt. Andererseits sage ich heute den Schulträgern auch gern: Ihr habt in euren Verwaltungen schon Systemadministratoren sitzen, schaut vielleicht mal, wie ihr die Arbeit bündeln und den Schulen damit helfen könnt. Es ist nämlich nicht die Aufgabe eines Informatiklehrers, die E-Mailadressen der Schule zu verwalten, sich darum zu kümmern, ob die Endgeräte der Schüler vollständig geladen sind oder die Software installiert ist. Dessen Aufgabe ist es, Informatik zu unterrichten und die Schüler für das Fach zu begeistern.

Was sollten momentan die digitalen Mindestanforderungen einer Schule sein?
Henkelmann: Ich würde mal mit interaktiven Displays anfangen, das ist eine gute Basis. Damit kann man schon viel kollaborativen Unterricht machen, also die Zusammenarbeit der Schüler fördern. Man muss aber wissen, wie so etwas funktioniert. Und das kann man nur, wenn man Fortbildungen besucht hat - wenn man also weiß, welche pädagogischen Werkzeuge die Software hat, welche Möglichkeiten sie bietet und wo sie Grenzen hat. Nur dann kann ich sie geeignet einsetzen und damit Kompetenzen bei den Schülern unterstützen, die sogenannten 4K-Kompetenzen.

Was sind 4K-Kompetenzen?

Henkelmann: Auf die 4K-Kompetenzen haben sich 2016 die Kultusminister geeinigt: Kommunikation, Kreativität, kritisches Denken und Kollaboration. Die OECD (Anm. Redaktion: Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) forscht seit vielen Jahren zu diesen 4 Ks. Die Grundfrage lautet: Was sind die Kompetenzen des 21. Jahrhunderts? Welche müssen die Schüler heute schon erwerben, damit sie auf die Welt von morgen vorbereitet sind? Denn wir leben in einer digitalisierten Welt. Viele Berufe, die wir heute haben, wird es in fünf, zehn, fünfzehn Jahren nicht mehr geben - das wissen wir schon jetzt. Vor allem auch die Kultusminister, die dies in Pläne überführen. Aber die Pläne müssen eben auch Einzug in den Schulen halten. Der Digitalpakt ist der Anstoß dafür.

DK



Das Gespräch führte Silvia Obster.

DAS NETZWERK DIGITALE BILDUNG

Sarah Henkelmann ist Sprecherin des  seit viereinhalb Jahren bestehenden Netzwerk Digitale Bildung mit Sitz in Rastatt (Baden-Württemberg). Die Plattform will   zum einen Menschen   miteinander   vernetzen, die sich mit dem Thema digitale Bildung auseinandersetzen (Schulträger, politische Entscheidungsträger, Lehrer, Schulleiter, Eltern, Schülervertretungen) und zum anderen       Informationen anbieten.  „Wir wollen das Thema digitale Bildung so aufbereiten, dass neben den technischen Fragen auch alle Themen   drumherum eine Rolle spielen: Pädagogik, Didaktik, Training, Weiterbildung, Beschaffung, Ausstattung, Medienentwicklungsplan“, erklärt    Henkelmann.  Das Netzwerk Digitale Bildung   bietet  Workshops an, die für die Teilnehmer gratis sind. Nach den Sommerferien soll es zudem auch    Webinare geben, also Seminare über das Internet.
Hinter dem Netzwerk stehen  Henkelmann zufolge Personen, die sich seit vielen Jahren  mit der digitalen Bildung  auseinandersetzen:   Botschafter für  Pädagogik, wie  Lehrer, Schulleiter und Wissenschaftler, sowie Botschafter für  die Beschaffung. Das sind Experten, die  die  Schulen   bei der Anschaffung der Technik, der Ausstattung eines Klassenraums, bei  der Wartung und  bei    Nachhaltigkeitsfragen, etwa  zum Stromverbrauch, beraten.  
Das Netzwerk Digitale Bildung wird von  verschiedenen Partnern aus der Wirtschaft getragen. DK