"Nach Hause, nach Hause geh’n wir nicht"

21.09.2010 | Stand 03.12.2020, 3:40 Uhr

Spielraum für Interpretationen: Will der Ehemann auf diesem Postkartenmotiv mit seiner Maß und seinem Steckerlfisch stiften gehen oder muss ihn die Frau schon führen, weil er alleine nicht mehr gehen kann? Repros: oh

München (DK) Die Postkarte hat heutzutage harte Konkurrenz: SMS und E-Mails sind nicht nur viel schneller, sondern auch billiger. Um 1900 war das noch anders – da nutzten die Wiesn-Besucher die Ansichtskarte gerne, um einen mehr oder weniger humorvollen Gruß nach Hause zu schicken.

Dass die Postkarte einmal als schnelles Medium galt, ist in Zeiten in denen Nachrichten per Internet oder Mobilfunk sekundenschnell durch den Äther rauschen nur noch schwer vorzustellen. Doch vor dem Ersten Weltkrieg war das tatsächlich so – vor allem in den Großstädten, weil die Post gleich mehrmals täglich zugestellt wurde. Und natürlich nutzten in dieser Zeit auch die Oktoberfestbesucher die Ansichtskarten gerne für postalische Grüße: Sie berichteten den Daheimgeblieben von ihren Trinkleistungen oder vom amüsantem Ritt in einem der vielen Fahrgeschäfte.

Etwa 80 Postkarten gibt es in der Ausstellung mit dem Titel "Gruss vom Münchner Oktoberfest" zu sehen. Der ehemalige Bräurosl-Festwirt Willy Heide hat im Münchner Bier- und Oktoberfestmuseum einen Teil seiner Privatsammlung alter Wiesn-Postkarten öffentlich zugänglich gemacht.

Und schon beim ersten Blick fällt auf: Auch wenn sich auf dem Oktoberfest seit seiner Entstehung viel verändert hat, eines ist gleich geblieben: Es wird ordentlich gebechert – oft auch über das erträgliche Maß hinaus. Das zeigen die meisten der Motive. Allerdings gingen die Postkartenmaler immer mit einem kleinen Augenzwinkern zu Werke: Da tragen zwei Damen – vermutlich Ehefrau (am bösen Blick zu erkennen) und Tochter – einen betrunkenen Festbesucher an Händen und Füßen nach Hause, der sich gerade übergibt. Im Hintergrund torkelt das restliche Publikum gen Ausgang. Bildunterschrift: "Nach Hause, nach Hause geh’n wir nicht.”

Oder die Theresienwiese ist wegen einer "Bierüberschwemmung" gleich gar nicht mehr zu sehen: Im Meer aus Gerstensaft treiben auf einem Motiv von 1927 zwischen Weißwürsten und Dackeln die Besucher. Auf einer ähnlichen Postkarte aus dem Jahr 1897 sitzen die Wiesn-Gäste bereits sichtlich angeheitert auf dem Grund des "Biersees", nur im Hintergrund ragen noch die Bavaria und die die Türme der Frauenkirche heraus.

Gerne abgebildet werden auch üppige Bedienungen, die Maßkrüge oder sogar ganze Bierfässer auf ihren ausladenden Brüsten jonglieren. Oder es segeln Männer mit roten Nasen und Riesenwampen auf Holzfässern über die Festwiese. Und auch damals schon war die schlecht eingeschenkte Maß ein Aufreger: Scharenweise strömen die Besucher auf einer liebevoll gezeichneten Karte in das Zelt eines Marktschreiers, der lauthals ankündigt, drinnen gebe es den einzigen Schankkellner zu sehen, der gut einschenkt.

Doch es hat sich auch etwas verändert: Während heute die Massen in Discounter-Tracht in Richtung Theresienwiese pilgern, so putzte man(n) sich noch vor hundert Jahren fein heraus und ging im (Trachten-)Sonntagsanzug mit Stock und Hut aufs Fest, wie eine der seltenen Fotografien zeigt. Auch die Dame trug eine Kopfbedeckung und zeigte im langen Kleid meist wenig oder gar kein Dekoltee.

Bereits im Jahr 1904 wurde auf dem Oktoberfest eigens ein "Postamt nebst Telegraphenanstalt mit Telefonbetrieb” eingerichtet. Was viele nicht wissen: Auch heute gibt es noch ein Wiesn-Postamt, gleich in der Nähe des Haupteingangs. Wer lieber Karten statt SMS schickt, bekommt hier den begehrten Oktoberfest-Sonderstempel.