Ingolstadt
Der Fall Chettana bleibt rätselhaft

Ex-Lebenspartner der vermissten Ingolstädterin steht erneut im Visier der Ermittlungsbehörden

23.05.2016 | Stand 02.12.2020, 19:46 Uhr

Chettana Taprap verschwand im Juni 2012 spurlos. Die Thailänderin lebte zuletzt im Ingolstädter Nordostviertel. - Foto: privat/Repro: Richter

Ingolstadt (DK) Neue Ermittlungen gegen einen 38-jährigen Ingolstädter haben jetzt einen offenen Vermisstenfall in Erinnerung gerufen. Diesmal geht es um Betrugsverdacht, während der Mann 2012 nach dem Verschwinden seiner Ex-Partnerin im Behördenvisier stand. Das Schicksal der Frau ist ungeklärt.

Die aktuellen Vorwürfe drehen sich um angeblich zu Unrecht bezogene Sozialleistungen. Dem Vernehmen nach hatte die Ingolstädter Staatsanwaltschaft einen Hinweis aus der Stadtverwaltung erhalten, wonach der Beschuldigte finanzielle Unterstützung beantragt und erhalten haben soll, obwohl er ein Gewerbe betreiben und zudem Einnahmen aus der Untervermietung seiner Wohnung beziehen soll. Der Vorwurf lautet auf gewerbsmäßigen Betrug.

Vor wenigen Tagen durchsuchten Ermittler die Privat- und Betriebsräume des 38-Jährigen. Sie stellten mögliches Beweismaterial sicher, darunter Dokumente, Laptops sowie ein paar Tausend Euro Bargeld. Nicolas Kaczynski von der Ingolstädter Staatsanwaltschaft bestätigte zwar die Strafanzeige gegen den Ingolstädter. "Zu einem laufenden Verfahren kann ich mich aber nicht äußern", bat er um Verständnis. Die Erfahrung aus anderen Fällen legt nahe, dass die Auswertung des Materials wohl Monate dauert.

Inzwischen ist auch das städtische Jugendamt eingeschaltet, weil die zwei Kinder des Mannes angeblich unzureichend untergebracht gewesen sein sollen. Die Kellerwohnung, in der die sieben und neun Jahre alten Töchter lebten, soll sehr stark verschmutzt und in einem verwahrlosten Zustand gewesen sein, heißt es in Protokollen. Auch das Bauordnungsamt ist dem Vernehmen nach eingeschaltet, es geht um den Zustand technischer Geräte im Gewerbebetrieb des Mannes.

Die Kripo dürfte beim Namen des Verdächtigen sofort an die seit Juni 2012 vermisste Chettana Taprap gedacht haben. Die Frau ist Mutter seiner beiden Kinder, allerdings war die Beziehung damals bereits zerbrochen. Ursprünglich aus Thailand stammend, wäre sie heute 35 Jahre alt, sollte sie noch leben. Im Sommer 2008 war sie nach Ingolstadt gekommen, um mit dem Vater ihrer Töchter zu leben. Noch im selben Jahr zog sie ins Frauenhaus, weil der heute 38-Jährige gewalttätig geworden sein soll. Trotz eines Kontaktverbots war es weiter zu Begegnungen gekommen, berichten Ex-Nachbarn und Verwandte der Thailänderin.

Zuletzt wohl im Frühsommer 2012, nachdem sie während eines kurzen Heimataufenthalts mit einem anderen Mann eine Beziehung eingegangen war. Am 4. Juni soll Chettana Taprap mit ihren Kindern und deren Vater nach Kroatien aufgebrochen sein, um auf der Insel Rab Urlaub zu machen. So jedenfalls hatte es der heute 38-Jährige damals zu Protokoll gegeben. Schon in den Tagen zuvor hatte es indes Ungereimtheiten gegeben, weil die Frau für Familie und Freunde plötzlich nicht mehr erreichbar war. Die Fahrt nach Süden endete vorerst im Salzburger Land, weil der Motor des VW-Campingbusses Kühlmittel verlor.

In Radstadt suchten die Urlauber aus Ingolstadt eine Werkstatt auf, mussten aber mehrere Tage auf ein nicht vorrätiges Ersatzteil warten. Die Kinder erzählten später, die Mutter sei die ganze Zeit über regungslos dagelegen, ohne zu essen, zu trinken oder ein Wort zu sagen. Sie sei "sehr krank" gewesen und habe dauernd geschlafen.

Trotz des Zustands der Frau hatte der Mann, während er auf das Ersatzteil wartete, nach Erkenntnissen der örtlichen Polizei noch 430 Kilometer mit dem defekten VW zurückgelegt, teils in recht unwegsamen Gegenden. Zuletzt nahm er einen Leihwagen und setzt die Fahrt nach Kroatien fort. Eine Überwachungskamera erfasste das Auto an der Grenze, doch der Beifahrersitz war leer. Chettana sei hinten gelegen, sagte der 38-Jährige später der Polizei. Die wundert sich, dass alle Fenster mit Vorhängen verdeckt waren, obwohl das nicht zur Ausstattung des Leihwagens gehörte.

Nach Angaben des Ingolstädters hatte die Familie sich drei Tage auf der Insel Rab aufgehalten, bevor Chettana Taprap bei einem Strandspaziergang am 12. Juni spurlos verschwand. Kein anderer Feriengast hatte sie zuvor je zu Gesicht bekommen, die Polizei fand keinerlei DNA-Spuren von ihr in dem Domizil. Der 38-Jährige sei die Tage vorher richtig zittrig, die Kinder "total verstört gewesen", berichtete ein anderer Rab-Urlauber. Der Ex-Lebenspartner erstattete Vermisstenanzeige und wollte das Land fast fluchtartig verlassen. Die Polizei nahm ihn wegen eines eventuellen Tötungsdelikts fest. War es vielleicht Eifersucht? Da es keine Leiche und Beweise gibt, kam der 38-Jährige wieder frei.

Seither fehlt jedes Lebenszeichen von Chettana. Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt hat das Verfahren inzwischen eingestellt. "Eine Wiederaufnahme wäre jedoch schnell möglich", sagte ihr Sprecher Kaczynski. Was es dazu bräuchte, wären freilich neue Fakten: der Fund der Toten etwa. Oder die jetzt sichergestellten Dokumente und PC-Daten bringen mögliche Ansätze. Die Zeit wird es zeigen.