Karlskron
Hartes Geschäft mit weicher Wolle

Bayerns kleine Schäfer finden nur noch mit Mühe Händler - Hoffnungsschimmer aus China

07.11.2018 | Stand 23.09.2023, 4:54 Uhr
  −Foto: Auer, Getty Images

Karlskron (DK) Es gibt nur noch eine Handvoll Wollhändler in Bayern - das macht jetzt den vielen Nebenerwerbsschäfern zu schaffen. Ihre Selbsthilfeorganisation tut, was sie kann. Vom Preis für die Wolle redet ohnehin kaum jemand. Mit dem eingenommenen Geld lässt sich in kleineren Betrieben nicht einmal das Scheren finanzieren.

Es ist wieder mal der Tag der langen Gesichter. Hans Graser zum Beispiel kommt mit seinem Traktor angefahren, und vorne auf der Frontladerschaufel transportiert er einen mächtigen Sack voll Schafwolle. Es ist ist die Wolle seiner 14 Schwarzkopfschafe, die er in Ingolstadt-Kothau im Nebenerwerb hegt und pflegt. Er hat die Schafe wie immer im April scheren lassen, das hat ihn 80 Euro gekostet. Jetzt kommt der Moment, die Wolle zu verkaufen. Die Waage zeigt 46 Kilo an, nicht ganz einen Zentner. Um es kurz zu machen: Für ein Kilo Wolle kriegt Graser 30 Cent, macht also insgesamt nicht mal 14 Euro. Und dafür ist ist Graser mit seinem Bulldog auch noch 20 Kilometer gefahren - von daheim zum zentralen Wollsammeltermin beim Wirt in Karlskron. Es ist ein Kreuz.

Dabei können die Nebenerwerbsschäfer noch von Glück reden können, dass sie derzeit ihre Wolle überhaupt los werden. Wie René Gomringer, der Geschäftsführer des Landesverbands Bayerischer Schafhalter berichtet, sind zwei von nur einer Handvoll bayerischer Wollhändler aus dem mühsamen Sammelgeschäft bei den kleineren Schafhaltern ausgestiegen (die Berufsschäfer haben da keine Probleme). Jedenfalls musste man eilig improvisieren und die Sammeltermine auf eigene Faust über den Verein "Bayerische Wollerzeugergemeinschaft" organisieren, vertreten durch ihren Außendienstmitarbeiter Daniel Anthuber.

Der improvisierte Termin, einer von mehreren in Bayern, hat sich nicht rechtzeitig herumgesprochen. Deswegen ist der Andrang gering - und so bleibt Anthuber Zeit, die schwierige Lage zu erklären. Natürlich ist Hans Haas da, als Hausherr, Gastwirt und stolzer Besitzer von 120 Merino-Landschafen außerdem kommt gerade Josef Groß aus Edelshausen (Stadt Schrobenhausen), der die Wolle seiner 25 Merinoschafe im Anhänger herbeischafft. Im Stadel reihen sich schon allerhand Wollsäcke aneinander.

Etwa 80 Prozent der Schafe in Bayern sind Merino-Schafe. Das ist schon sehr lange so, diese Rasse ist "das Wirtschaftsschaf schlechthin", sagt Anthuber. Für die hauptberuflichen Schäfer in Bayern gilt das sowieso. Es gibt es aber auch Suffolk, Texel oder Schwarzkopf als Fleischrassen - mit gröberer Wolle.

Das Merinoschaf aber liefert Merinowolle, und da wird es dem Menschen fast automatisch ganz kuschelig. Der Kenner denkt zum Beispiel an feine, garantiert kratzfreie Unterwäsche - aber damit können Bayerns Merions leider nicht dienen. Ihre Vlies ist etwas zu grob und folglich einen Tick zu kratzig. Für Pullover und andere Oberwäsche ist das dagegen ideal. Richtig raue Wolle wie die der Schwarzkopfschafe wird für Autositze, Feuerwehrkleidung und Ähnliches verwendet.

Die Männer rechnen vor, wie das läuft bei der Wolle. Mittelmäßige Merinowolle bringt 80 Cent je Kilo. Im Idealfall liefert ein Schaf jährlich vier Kilo Wolle. Macht also 3,60 Euro. Der Schafscherer, oft sind das Männer aus Polen, bekommt in Bayern etwa vier Euro pro Tier. Feine Merinowolle bringt zwei Euro pro Kilo - dann rechnet es sich allmählich.

Die Karlskroner Wolle kauft die Firma Seybold aus dem schwäbischen Lauingen auf, verteilt sie auf "Großgebinde" und verkauft sie an Großhändler in ganz Europaweiter. Und die, so berichtet es Daniel Anthuber, verkaufen das Material dann wiederum vor allem nach China, wo es gewaschen und durchgekämmt wird. Eine Alternative dazu gibt es dann noch in Belgien, berichtet René Gomringer.

Im Stadel des Karlskroner Wirts ist Schafhalter Josef Groß erleichtert, dass es überhaupt noch irgendwo Interesse für seine Wolle gibt. "Ich habe schon gerechnet, dass wir sie heuer nicht mehr anbringen." Anthuber schüttelt den Kopf. Verrückte Welt: "Die Diskussion um Mikroplastik ist ein Riesenthema, und keiner redet über die Wolle. Dabei ist die doch das Natürlichste." Anthuber kommt viel herum in Bayern, kennt auch viele alte Schäfer, und einer von denen hat ihm erst neulich eine Rechnung aus dem Jahr 1962 gezeigt: Damals habe der Mann mit dem Geld einer einzigen Schafschur einen nagelneuen Traktor gekauft - bezahlt in bar.

Vergangene Zeiten, die nie mehr wiederkehren? Schafhalter-Geschäftsführer René Gomringer hegt in dieser Hinsicht keine großen Hoffnungen. Die deutsche Schafwolle sei einfach zu grob, Preiserhöhungen seien allenfalls im Centbereich zu erwarten. Daniel Anthuber dagegen sieht Licht am Ende des Tunnels: Auf der anderen Seite des Globus, in Australien, zahlten die Chinesen inzwischen für feinste Merinowolle 28 Euro je Kilo, sagt er. Die Chinesen hätten jetzt die Idee, die Wolle aus Europa und Australien zu mischen - und zwar so, dass immer noch die begehrte, teuere Unterwäsche-Qualität herauskomme. "Die Chinesen legen den Fokus anscheinend stärker auf Europa", sagt Anthuber.

Es könnte also eines Tages noch was werden mit dem bayerischen Wollhandel. "Drum lässt man das Ganze nicht sterben."

Richard Auer