Abseits jeder Cowboy-Romantik

24.06.2010 | Stand 03.12.2020, 3:54 Uhr

Einsatz beim Public Viewing im Olympiapark: Hella Schwarz und ein Kollege beim Streifereiten. Auf dem Rücken der Pferde haben sie eine bessere Übersicht als ihre Kollegen, die zu Fuß unterwegs sind. - Foto: Nachtmann

München (DK) Sie müssen männlich sein – und kastriert. Denn sonst seien sie zu unausgeglichen und hätten schwache Nerven, sagt Leonhard Pruski. Und: "Der Kopf muss stimmen, damit oana a guader Schandi is". Außerdem sollten sie von guter Abstammung sein. Die Nervenstärke seiner derzeit 33 Jungs trainiert Pruski regelmäßig. Er schießt Bälle neben ihnen ab, zündet Böller und lässt schon mal hundert Menschen gleichzeitig um sie herumwuseln. Denn all das darf Polizei-Pferde nicht erschrecken.

Leonhard Pruski ist seit 28 Jahren bei der bayerischen Reiterstaffel, die ihren Standort in der Olympia-Reitanlage in München-Riem hat. Er kauft Pferde ein, ist bei den Einstellungsgesprächen der Reiter dabei und bildet Reiter und Pferde aus. Viele Polizisten wollen zur Reiterstaffel, freie Stellen gibt es wenige: Die berittene Polizei verlässt freiwillig nur, wer pensioniert wird, sich in eine andere Stadt versetzen lässt oder aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr reiten kann.

Voraussetzung für eine Bewerbung ist, dass ein Polizist die Ausbildung und zwei Jahre im Dienst hinter sich gebracht hat. Reiten muss er nicht können. Das lernt er in der sechs Monate dauernden Ausbildung. Das reiche, denn die sei sehr intensiv, sagt Pruski: "Die Auszubildenden schlafen abends sehr gut und nehmen auch sehr gut ab." Danach sind alle fit im Dressur-, Spring- und Formationsreiten. Es hat sich aber auch schon mal ein Kandidat als völlig unbelehrbar erwiesen. "Allein an der Longe (Leine, an der das Pferd während des Reitunterrichts im Kreis geführt wird, Anm. d. Red.) ist der mir schon fünf Mal runtergefallen", sagt Pruski. Man habe sich darauf geeinigt, dass die Reiterstaffel nicht das Richtige für den Kollegen sei.

Vor einem Einsatz putzen und satteln die Polizisten die Tiere. Die Aufgabe heute: Streife beim WM-Public Viewing im Olympiastadion. Mit Wotan und Attila im Transporter fahren Hauptkommissarin Bettina Reger und Denise Brandl zum Einsatzort. An Tagen wie diesen geht jede Cowboy-Romantik, die dem Job anhaften mag, verloren. Es ist kalt und nieselt ununterbrochen. Brandl macht sich zudem Gedanken, ob Attila sich erschreckt, sollte jemand neben ihm in eine Vuvuzela tröten. Vuvuzela-Lärm kennt Attila noch nicht, denn in Pruskis Pferde-Schreck-Fundus gibt es noch keine Vuvuzelas.

Fußball-Einsätze hatte die Reitertruppe in letzter Zeit viele, auch in Nürnberg, Fürth und Augsburg. Ein Reiter ersetze zehn Fußbeamte, erklärt Pruski. "Man hat einen besseren Überblick und wird besser gesehen. Und alle haben vor Pferden Respekt. Wenn man Streitende trennen will, muss man einfach die Rädelsführer von oben am Kragen packen, rausziehen und einem Fußbeamten übergeben." Doch auch sonst sind ein guter Überblick und Respekt hilfreich. Zum Beispiel bei der Streife durch den Englischen Garten: "Da kann alles passieren. Wild abgelagerter Müll, Gliedvorzeiger und andere Verbrechen. Und das amerikanische Konsulat müssen wir auch stündlich anreiten."

Ein großer Vorteil der Reiterstaffel ist, dass sie in unwegsamem Gelände schnell vorankommt. Reger erinnert sich besonders an eine Lebensrettung: Jemand sagte der berittenen Polizei im Englischen Garten, dass ein Mann in einem Stauwehr hänge und zu ertrinken drohe. Er war seinem Schäferhund hinterher gesprungen und wollte das Tier retten. "Wir sind dann hingaloppiert, wie im Film eigentlich", erzählt Reger. Und während sie die Pferde gehalten habe, habe ihr Kollege Waffe und Stiefel abgelegt und Mann und Hund über Wasser gehalten, bis nach einigen Minuten einige Passanten dazukamen und alle wieder aus dem Wasser zogen.

Im Olympiapark ist trotz herbeiströmender Fans alles ruhig. Die Reiter kontrollieren den U-Bahn-Eingang, einen Brennpunkt, weil dort Anhänger gegnerischer Mannschaften aufeinandertreffen können. Aber auch hier ist es friedlich, und an den Eingängen zum Stadion ebenfalls – keine agressiven Fans, kein Gegröle und nur ab und an ein bißchen Vuvuzela-Getröte. Die Pferde sind von all dem unbeeindruckt. Und so konzentrieren sich die Reiter vorerst auf das, was dort eine ihrer Hauptaufgaben zu sein scheint: Immer wieder die Tiere zu stoppen und nett zu lächeln. Denn ständig will jemand die Pferde anfassen und Fotos machen.