Ein Stückchen Frankreich mitten in Bayern

29.05.2009 | Stand 03.12.2020, 4:55 Uhr

Die Inschrift auf dem Monument: "Zum Gedenken an Latour dAuvergne, den ersten Grenadier Frankreichs, getötet am achten Mesidor, im achten Jahr der Republik, den 27. Juni 1800."

Oberhausen (SZ) Wer Lust auf einen spontanen Ausflug nach Frankreich hat, kann das schneller haben, als man glaubt: Ein kleines Carré auf einer Anhöhe ist – zumindest auf dem Papier – französisches Territorium: in Oberhausen, mitten im Landkreis Neuburg-Schrobenhausen.

Hier liegt – besser: lag – in einem steinernen Sarkophag ein gewisser Monsieur Théophile Malo Corret de Latour dAuvergne.

Aber eines nach dem anderen. Blättert man in Theodor Fontanes autobiografischer Schrift "Meine Kinderjahre", so stößt man im Kapitel "Wie wir in die Schule gingen und lernten" auf den Ort Neuburg und einen gewissen Latour d’Auvergne. Fontane, der heuer seinen 190. Geburtstag feiert, schildert dort sichtlich gerührt die enthusiastischen Erziehungsmaßnahmen seines französischstämmigen Vaters. In preußisch militaristischer Manier werden mit einiger Regelmäßigkeit Episoden des europäischen Militärheldentums einstudiert. So spielt man die immer gleiche Szene nach: Auf die Frage des Vaters "Kennst du Latour d’Auvergne" folgt die Antwort "Gewiss. Er war le premier Grenadier de France".

Kampf um den Hügel

Die Geschichte dieses ersten Grenadiers ist in Frankreich bis heute präsent: Als 1799 der Sohn von einem seiner Freundes eingezogen werden soll, tritt der ordengeschmückte Hauptmann Latour, der sich eigentlich bereits zur Ruhe gesetzt hatte, freiwillig an dessen Stelle. Und das als einfacher Grenadier; eine Beförderung lehnt er ab. Der geneigte Leser wird anerkennen: bereits an dieser Stelle heldentümelt es gehörig!

Nachdem Napoleon ein Jahr später davon erfährt, ernennt er Latour kurzerhand zum Ersten Grenadier Frankreichs. Bereits ein Jahr darauf fällt der Geadelte im Kampf um einen Hügel. Nicht im heimatlichen Hexagon, sondern im fernen Oberhausen nahe Neuburg an der Donau. Hier nämlich kämpfte der premier Grenadier – der erste Grenadier seines Landes – an der Seite des bayerischen Heeres gegen die Österreicher. Im allgemeinen europäischen Säbelrasseln des frühen 19. Jahrhunderts, auch das überrascht wenig, war er bald in den Olymp der Kriegshelden aufgenommen.

Doch verfolgen wir Fontanes Szene zwischen Vater und Sohn die Szene weiter: "Gut. Und weißt du auch, wie man ihn ehrte, als er schon tot war" "Gewiss!" "Dann sage mir, wie es war." "Ja, dann musst du aber erst aufstehen, Papa, und Flügelmann sein; sonst geht es nicht." Dann weiter in Fontanes Text: "Latour d’Auvergne ist nicht hier, antwortete mein Vater in tiefstem Bass." "Wo ist er denn" "Er ist auf dem Felde der Ehre gefallen."

Was dem modernen Leser als grotesk überzeichneter militaristischer Pathos anmuten dürfte, war zu Fontanes Jugendzeit ein wichtiger Gemeinplatz. Der aufkommende Militarismus, die Hassliebe gegenüber dem napoleonischen Frankreich prägten die bürgerliche Gesellschaft Preußens und wurde ihren Matrosenanzug tragenden Kindern eingebläut. Im Brockhaus Conversations-Lexikon von 1839 erfährt der Interessierte gar Details über den Verbleib der inneren Organe Latour d’Auvergnes: "Sein Herz wurde fortan in einer Kapsel von einem Grenadier seiner Kompanie getragen, sein Name aber in den Listen fortgeführt. Wenn nun dieser Name gerufen wurde, so antwortete der Grenadier, welcher das Herz des Helden trug: Gefallen auf dem Felde der Ehre!"

Nachdem der romantisch verklärte Held, weniger romantisch von der Lanze eines österreichischen Reiters aufgespießt worden und im Forsthaus zu Unterhausen noch unromantischer verblutet war, ließ der französische Oberbefehlshaber General Moreau ein Monument errichten. Eingeweiht wurde das Denkmal in Form eines Sarkophages vom Oberhausener Pfarrer, eine französische Muskete im Nacken.

Pilger und Militärparaden

In den darauf folgenden Jahren wurde der steinerne Sarg von den Bauern der angrenzenden Äcker zweimal zerstört. Weniger jedoch aus moralischen Bedenken: Die heldenhungrigen Menschenmengen, die zur Grabstätte Latours pilgerten zertraten regelmäßig die frisch ausgebrachte Saat. Empört über die Ignoranz seiner Untertanen ließ Herzog Eugen von Leuchtenberg 1818 das Denkmal zunächst provisorisch wiedererrichten.

17 Jahre darauf, der nicht weniger frankophile Ludwig I. war nun König von Bayern, entschloss man sich – vielleicht aus akutem Heldenmangel – das klassizistische Originalmonument von Oberhausen zu rekonstruieren. 1837 wird gar die Staatsstraße mit dem Denkmal verbunden. 1889, Ludwig war bereits 21 Jahre tot, in Frankreich hangelte sich die Dritte Republik von Krise zu Krise, überführte man die Überreste Latours ins Pariser Pantheon. Auch hier konnte man Helden nun gut gebrauchen. . .

Kurioserweise ist das Grundstück, auf dem das Denkmal steht, heute noch grundbuchmäßig Eigentum der Republik Frankreich. Ein Stück Frankreich mitten in Bayern. Die Oberhausener sind stolz auf ihre Historie. "Wir haben bei uns im Dorf einen Arbeitskreis Geschichte eingerichtet", erzählt Hermann Mödl, direkter Anwohner des Latour Denkmals. In dem sympathischen 2500 Einwohner Dorf kennt jedes Kind die Geschichte um den französischen Grenadier.

Feiern der Armee

"Um das Dorf herum wissen viele gar nichts über das Denkmal." In stundenlanger Arbeit hat Mödl für die Regionalschau in Burghausen zusammen mit seinem Sohn handgroße Repliken des Latour’schen Steinsarges aus Gips angefertigt. "Es kommen viele Besucher zu dem Denkmal. Es ist einfach kurios. Frankreich mitten in Bayern", Mödls Augen blitzen verschmitzt. "Bis vor einigen Jahren fanden hier sogar Gedenkfeiern von Seiten der französischen Armee statt." Die gemeinsamen Gedenkfeiern mit der Bundeswehr sind seit einigen Jahren Vergangenheit. 1980 noch wurde im Unterhausener Forsthaus von einer französischen Delegation eine Gedenkstein eingeweiht. "Hier verstarb La Tour d’Auvergne, Erster Grenadier der Armeen der französischen Republik nach der Schlacht am 27.Juni 1800", steht in französischer und deutscher Sprache auf einer Tafel.

Heute ist wenig geblieben vom Kriegsheldenkult einstiger Tage. Aber was spricht gegen ein kleines Picknick so nah an Frankreich? Allein wegen der herrlichen Landschaft lohnt sich ein Besuch. Unzählige Wanderwege gibt es bei Oberhausen. Na dann, à votre santé Monsieur le Grenadier; auf Ihr Wohl, Herr Grenadier!