Wolnzach
Von Überlastung bis Dilettantismus

Christian Demmelmeier beschreibt viele Fehler beim Aufspüren der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund

30.07.2013 | Stand 02.12.2020, 23:50 Uhr

Wolnzach (sdb) Über deutlich mehr Besucher als angesichts der Hitze zu erwarten waren hat sich Tomas Kupka, Grünen-Vorsitzender des Ortsverbandes Wolnzach, bei der Informationsveranstaltung im Gasthof zur Post zur Beleuchtung der NSU-Untersuchungsausschüsse und deren Arbeit gefreut. Als Gastredner lockte der gebürtige Pfaffenhofener Christian Demmelmeier.

Er ist Delegierter der Bundesarbeitsgemeinschaft Demokratie und Recht der Grünen-Landtagsfraktion Thüringen und Referent für die Begleitung des parlamentarischen NSU-Untersuchungsausschusses 5/1 – und damit hautnah am Geschehen.

Demmelmeier ging in seinem Vortrag vor allem auf das ein, was die Bevölkerung interessiert und warf zu Beginn entsprechende Fragen in den Raum: „Warum gibt es überhaupt vier Untersuchungsausschüsse? Wie konnte es so weit kommen? Und was kann man tun, um in Zukunft vorbeugend entgegenzuwirken“ Er erläuterte, dass die Untersuchungsausschüsse dem Prozess zuarbeiten. Man habe eine Verpflichtung gegenüber den zehn Todesopfern.

Um dem Publikum einen tieferen Einblick in die Sache zu geben, ging er zunächst die Historie der Ereignisse durch: die Formierung des Trios und des Thüringer Heimatschutzes; die Bombenfunde in Jena in den Jahren 1996 und 1997; das Abtauchen der Gruppe im Januar 1998; die Morde und Banküberfälle sowie deren Aufdeckung im November 1998. Er beleuchtete die Personen Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt auch aus Sicht von Herkunft, Schulbildung und strafrechtlichem Hintergrund. Während Beate Zschäpe aus einem zerrütteten Elternhaus stamme, kämen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt aus geordneten Familienverhältnissen und einem guten Elternhaus.

Demmelmeier berichtete, dass rechtsextreme Strömungen nicht nur nach der Wende stattfanden, sondern auch zu DDR-Zeiten existierten, dass sie aber totgeschwiegen wurden: „Wenn hier Jugendliche ihre parteizugehörigen Eltern ärgern wollten, schlossen sie sich den Rechten an. Leute, die sich gegen die Rechten engagierten, wurden als Nestbeschmutzer verschrien.“

Fallengelassene oder sich hinziehende Verfahren trugen zur Erstarkung der rechten Szene bei. Der Referent berichtete, wie sich die Gewaltbereitschaft immer mehr erhöhte und so auch nach Bayern ausbreitete. Strömungen wie der Ku Klux Klan, den man eigentlich als rassistischen Geheimbund mit den Sezessionskriegen in Amerika verbindet, gewannen im Laufe der Jahre ebenso an Bedeutung wie „Blood and Honour“, ein rechtsextremes Netzwerk, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, neonazistische Bands miteinander zu koordinieren. „Diese Strömungen machen auch nicht vor unserer kleinen heilen Welt Halt. Sie sind mitten unter uns“, erklärte er.

Bei der Formierung der Untersuchungsausschüsse im Bund, Thüringen, Sachsen und Bayern führte er die mangelnde Zusammenarbeit der Untersuchungsausschüsse vor allem auf den brodelnden Ost-West-Konflikt mit Konkurrenzdenken sowohl innerhalb als auch zwischen den verschiedenen Behörden zurück. Er beschrieb die Rolle der Polizei und des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz und die Ereignisse während der Durchsuchungen und beim Untertauchen des Trios im Januar 1998 als Dilettantismus.

„Aber den einen Fehler gibt es nicht!“ meinte Demmelmeier. Viele weitere seien entstanden durch Personalmangel, Überlastung der Gerichte, Unterbesetzung der Staatsanwaltschaft bis hin zu „Chaos beim Verfassungsschutz“. In der Diskussion, an der sich nicht nur die Grünen-Kandidaten für den Landtag und den Bezirkstag, Kerstin Schnapp und Wilhelm Reim, sondern auch die Besucher eifrig beteiligten, wurde die Rolle der V-Männer ins Visier genommen. Auch mögliche Konsequenzen und die Frage der Sensibilisierung der Gesellschaft wurden heiß diskutiert. Schnapp wies vor allem darauf hin, dass man bestimmte Verhaltensweisen nicht als Gefahr wahrnehme und führte als Beispiel die Sprengung des Bankautomaten in Pörnbach an. „Ist das jetzt schon Terrorismus oder ein simpler Bankraub“ Dass man einen Verfassungsschutz brauche, wurde allgemein bejaht, aber Demmelmeier schlug vor: „Er sollte schlanker werden, vielleicht kann man ja einige der 16 Ämter verschmelzen, dann könnte auch der Informationsfluss klappen“.

Grünen-Ortsvorsitzender Tomas Kupka zeigte sich ebenso wie seine Grünen-Kollegen am Ende der Veranstaltung sehr zufrieden über die angeregte Diskussionsrunde.