Pfaffenhofen
"Unsere Belastungsgrenzen sind überschritten"

Anlieger werfen dem Landrat wegen der Asylunterkunft im Sandkrippenfeld Wortbruch und Rechtsbeugung vor

21.06.2018 | Stand 23.09.2023, 3:31 Uhr
Zum Höhepunkt der Flüchtlingskrise 2015 kamen Asylsuchende aus aller Herren Länder busweise in Pfaffenhofen an ? hier der Gesundheitscheck in der Erstaufnahmeeinrichtung an der Trabrennbahn. Der Landkreis musste zugeteilte Asylbewerber teilweise von heute auf morgen unterbringen. Dazu mietete er unter anderem ein Gebäude an der Senefelder Straße an, dessen Betrieb nun verlängert werden soll. −Foto: Ammer/Archiv

Pfaffenhofen (PK) Landrat Martin Wolf (CSU) verteidigt, dass der Betrieb der Asylunterkunft im Gewerbegebiet Sandkrippenfeld entgegen früherer Zusagen doch bis Oktober 2019 verlängert wird: "Kurzfristig sind andere Lösungen nicht möglich", sagt Wolf. Ihm seien die Hände gebunden. Die lärmgeplagten Anlieger werfen dem Landrat Rechtsbeugung und Wortbruch vor.

Im Jahr 2015, als die Flüchtlingswelle kaum zu bewältigen schien und der Staat die Asylsuchende busweise zur Unterbringung verteilte, hat der Landkreis Pfaffenhofen dafür auch ein Betriebsgebäude im Sandkrippenfeld am nördlichen Stadtrand Pfaffenhofens angemietet. Seither leben bis zu 56 Flüchtlinge überwiegend pakistanischer Herkunft in dem Haus an der Senefelderstraße - zum Leidwesen umliegender Nachbarn, die, wohlgemerkt im Gewerbegebiet, über Ruhestörungen klagen. "Seit beinahe drei Jahren leben wir mit der dauernden, unerträglichen Lärmbelästigung durch das rücksichtslose Verhalten der Bewohner", schreiben die unmittelbaren Anliegerfamilien in einer Stellungnahme. Gespräche weit über Zimmerlautstärke, Dauertelefonate und lautstarke Zurufe seien ein Dauerzustand. "Es geht hier nicht im geringsten um Fremdenhass, sondern um massive und dauerhafte Lärmbelästigung", unterstreichen sie, um nicht "ins rechte Eck" geschoben zu werden. "Unsere Belastungsgrenzen sind längst überschritten."

In Sachen Lärmschutz für Anlieger ist das Sandkrippenfeld aber ein Sonderfall: Es handelt sich um ein Gewerbegebiet, in dem baulich untergeordnete Betriebsleiterwohnungen zulässig sind. In der Praxis entstehen dadurch allerdings auch faktische Wohnanwesen - deren Anwohner aber Abstriche beim Lärmschutz in Kauf nehmen müssen.

Und so haben sie zweieinhalb Jahre lang die Unterkunft in Kauf genommen. Denn eigentlich sollte sie heuer aufgelöst werden. Doch der Landkreis will die baurechtliche Nutzungsgenehmigung nun doch noch bis Mitte Oktober 2019 verlängern. Das legen die Anlieger, die sich überrumpelt fühlen, als Rechtsbeugung aus: Denn das Wohnheim ist bereits seit November 2015 in Betrieb. Die notwendige Nutzungsänderung wurde aber erst ein Jahr später, im Oktober 2016, nachträglich genehmigt - befristet bis Oktober 2018. Die zugrundeliegende Sonderregelung im Baugesetz (siehe Kasten) befristet Nutzungsänderungen für Flüchtlingsunterkünfte in Gewerbegebieten auf längstens drei Jahre. Der Landkreis nimmt als Stichtag für diese Frist allerdings den Tag der nachträglichen Genehmigung im Oktober 2016 - und nicht rückwirkend den November 2015, als tatsächlich die ersten Asylsuchenden einzogen. Damit wäre ein Betrieb baurechtlich bis 11. Oktober 2019 möglich - und nicht nur bis 31. Oktober dieses Jahres.

"Dass ausgerechnet das Landratsamt als untere Bauaufsichtsbehörde des Freistaates auf derartige Tricks zurückgreift, um die gesetzlich begrenzte Dauer von drei Jahren um ein weiteres Jahr hinauszuzögern, ist für uns unfassbar", kritisieren die Anlieger in ihrem Brief. "Diese Handhabung mag rein rechtlich gesehen nicht angreifbar sein", heißt es weiter. Moralisch gesehen sei es aber "definitiv verwerflich" und habe nichts mit "ehrlicher Politik" zu tun. "Ein Normalbürger käme damit nicht durch."

Dabei habe Landrat Wolf bei einem Ortstermin am 3. März 2016 versprochen, dass der Mietvertrag für das Gebäude nicht über den 31. Oktober 2018 hinaus verlängert werde. "Wir haben uns auf dieses Versprechen verlassen", schreiben die Anlieger, die sich "enttäuscht und hintergangen" fühlen.

Landrat Wolf dementiert nicht: "Ja, ich habe den Anliegern die Zusage gemacht, dass wir anstreben, die Unterkunft zum Jahresende 2018 aufzulösen." Aber unter der Prämisse, dass auch die Bundesregierung ihre Zusagen zur Rückführung hält. "Die Situation hat sich inzwischen geändert", so Wolf. "Die notwendige Rückkehr der untergebrachten Asylbewerber ist noch nicht erfolgt." Und so sei der Landkreis nach wie vor für die aktuell 41 Bewohner verantwortlich, die teilweise noch offene Asylverfahren haben. "Wir können sie nicht einfach auf die Straße setzen", stellt Wolf klar. "Wir haben derzeit keine Verlegungsmöglichkeiten in Pfaffenhofen." Eine Umverteilung in andere Gemeinden komme für ihn nicht infrage. Einerseits, weil Pfaffenhofen im landkreisweiten Vergleich sowieso schon eine unterdurchschnittliche Flüchtlingsquote hat (0,8 bei durchschnittlich einem Prozent der Einwohner). Anderseits, weil die meisten Bewohner der Unterkunft für Betriebe in Pfaffenhofen arbeiten. "Bei einer Unterbringung außerhalb der Stadt verlieren sie möglicherweise ihre Arbeitsstelle", argumentiert der Landrat. "Das ist nicht im Sinne der Menschen und der städtischen Betriebe." Wolfs Hoffnungen ruhen nun auf der Landespolitik: "Ich erwarte mir von der bayerischen Asylpolitik eine Entlastung vor Ort." Mit der Bundesasylpolitik sei dies bisher nicht gelungen. Eines will er aber trotzdem klarstellen: "Rückführungen sind immer auch mit menschlichen Tragödien verbunden."

Und er will eine Lehre aus den Wortbruch-Vorwürfen ziehen: "Ich kann in der Flüchtlingsfrage keine Versprechen mehr abgeben, weil die Entwicklungen nicht absehbar sind und wir immer so menschengerecht wie möglich verfahren wollen."

Für die Anlieger ist das natürlich kein Trost: "Das Landratsamt nimmt sich heraus, das Baurecht zu beugen und auszunutzen", kritisiert eine Nachbarin, die fassungslos ist. Selbst die Stadt Pfaffenhofen und ihr Bürgermeister Thomas Herker (SPD) sähen tatenlos zu, kritisiert sie. Sie wisse, dass die Anlieger immissionsschutzrechtlich wie baurechtlich am kürzeren Hebel säßen. "Wir haben keine Chance", sagt sie mit Blick auf eine mögliche Klage vorm Verwaltungsgericht. Das wäre übrigens nicht die erste: 2016 haben Nachbarn schon einmal eine Aufstockung der Asylunterkunft auf juristischem Wege verhindert.

Einer Klage sieht Wolf aber gelassen entgegen: "Wir fühlen uns da absolut auf der sicheren Seite", sagt er mit Verweis auf entsprechende Rechtskommentare. "Für uns ist die Intention des Gesetzes entscheidend" sagt er mit Blick auf Paragraf 246 des Baugesetzbuches: Die Befristung der Nutzung solle die Untergebrachten vor dauerhaftem Gewerbelärm schützen - und nicht Anlieger im Gewerbegebiet vor Wohnnutzung in der Nachbarschaft.
 

Michael Kraus