Pfaffenhofen
Soziologe Fischer: "Das ist perfide"

Der Soziologe Oskar Fischer analysiert provozierende Posts des AfD-Politikers Johannes Huber

14.10.2019 | Stand 02.12.2020, 12:51 Uhr

Pfaffenhofen (PK) Der AfD-Bundestagsabgeordnete Johannes Huber aus Nandlstadt fällt in den sozialen Netzwerken immer wieder durch provozierende Posts auf.

Die Umweltaktivistin Greta Thunberg etwa bezeichnete er auf Facebook als behindertes Mädchen, das "politisch instrumentalisiert und missbraucht" werde und "möglichst bald einer geeigneten medizinischen Behandlung zuzuführen" sei. Nach dem Mord am Frankfurter Hauptbahnhof im Juli, bei dem ein in der Schweiz lebender Flüchtling einen Achtjährigen vor einen ICE gestoßen hatte, machte Huber auf Twitter die Bundeskanzlerin und den Innenminister persönlich verantwortlich: "Die EU, Merkel und Seehofer haben das Kind getötet", schrieb er. Der Soziologe Oskar Fischer von der Ludwig-Maximilians-Universität München analysiert im Interview Hubers Sprache in den sozialen Medien und spricht über Strategien Rechter im Netz.

Herr Fischer, Sie haben sich die Facebook-Seite von Herrn Huber angeschaut. Was ist Ihnen als erstes aufgefallen?

Oskar Fischer: Ich sehe eine ganze Reihe szenetypischer Gleichsetzungen mit dem Nationalsozialismus und demagogische Elemente. Was ganz typisch ist, ist eine Sprache, die sich an den Nationalsozialismus anlehnt und auf den politischen Gegner bezieht. Es gibt zum Beispiel Posts - wie derzeit mehrfach in der rechten Szene - zu Herbert Grönemeyer, der bei einem Konzert einen Aufruf gegen Rechts gehalten hat. Grönemeyer wird als neuer "(An-)Führer" der SPD bezeichnet und es ist von einer "Sportpalastrede im Goebbels-Duktus" die Rede. Es wird also das Motiv des Führers auf den politischen Gegner übertragen.

Nun ist das noch recht offensichtlich. Gibt es auch subtilere Anspielungen?

Fischer: Es gibt diese ganz plumpen Dinge, aber auch andere: Er schreibt etwa von "Kulinarischer Separation: Bundeswehrmenüs ab sofort in westlich oder halal verfügbar". Das Wort Separation verbindet man mit der Rassentrennung. Dabei ist offensichtlich, dass in der Bundeswehr durch Halal-Essen keine Separation stattfindet. Es gibt einfach nur zwei verschiedene Essenspakete - das ist alles.

Huber versucht also durch die Sprache mehr in etwas hineinzuinterpretieren?

Fischer: Es sind Provokationen. Dabei werden Wörter verwendet, um Maßnahmen der Regierung, von Künstlern oder politisch missliebigen Personen in eine extremistische Ecke zu stellen. Das hat natürlich damit zu tun, dass der AfD selbst vorgeworfen wird, extremistisch zu sein.

Geht die AfD mit solchen Posts also in die Offensive?

Fischer: Ja, es ist aber auch ein höhnisches Vorgehen. Bei der Grönemeyer-Geschichte postet er auch einen Link zu einer Satire. Diese stammt von Hagen Grell, der aus dem explizit rechtsradikalen Spektrum kommt. Wer Hagen Grell postet, der weiß, was er tut. Huber nutzt Worte gezielt und schreibt etwa: "Die Evangelische Kirche will sich künftig am Schleppergeschäft beteiligen und ein eigenes ,Rettungsschiff' ins Mittelmeer schicken. " Statt Schiffsrettung spricht er von Schleppertum, um das, was politische Gegner tun, als rechtswidrig darzustellen. Die Evangelische Kirche will sich natürlich nicht am Schleppergeschäft beteiligen, aber die Behauptung wird als Selbstverständlichkeit dargestellt. Er versucht, das, was normal ist, umzudrehen. Ähnlich macht er es bei Greta Thunberg. Wenn er schreibt "Stoppt die Instrumentalisierung des behinderten Mädchens! ", das ist perfide. Er appelliert an die Behörden, das "behinderte Mädchen" - was er immer wieder betont -, zu schützen.

In diesem Post betont Huber auch seine Position als Vorsitzender der Kinderkommission des Bundestags.

Fischer: Er profiliert sich über diesen Ausschuss als Kinderrechtler und versucht, Greta Thunberg ihre Legitimation als politische Sprecherin zu nehmen.

Geht es mehr um die Diskreditierung von Gegnern, als um eigene Inhalte?

Fischer: Mit den Postings wird schon auch ein Inhalt gesetzt, die Sprache hat auch einen Bezug zum Inhalt. Ein Beispiel: Der Abgeordnete postet auch regelmäßig Dinge, wo es um Russland und eine Nähe zur Gaswirtschaft geht. Es ist also nicht leere Demagogie, sondern es wird auch eine bestimmte industrielle Ausrichtung gefordert. Gleichzeitig findet eine massive Diskreditierung der Ökologie-Bewegung statt. Über die Diskreditierung der Gegner soll also eine Agenda durchgesetzt werden.

Huber will Thunberg "einer geeigneten medizinischen Behandlung zuführen". Wie nah ist das an der Grenze zu strafrechtlich relevanten Inhalten?

Fischer: Es geht darum, Grenzen auszutesten. Wenn man möchte, kann man das natürlich leicht als Sympathie für eugenische Maßnahmen verstehen. Es lässt dem Abgeordneten aber auch die Möglichkeit, das empört von sich zu weisen und zu behaupten, dass immer gleich die Nazi-Keule geschwungen werde. Es gibt immer wieder Stichwörter wie "geeignete Maßnahme". Jeder, der das verstehen möchte, versteht es auch, aber es ist abstreitbar. Ein anderes Beispiel: Eine bekannte antisemitische Verschwörungstheorie sieht George Soros als Drahtzieher etwa der Ökologie-Bewegungen. In einem Post vom November 2018 ging es um Soros, wo Stichworte fallen, die an sich nicht strafbar sind. Jeder, der etwas in die Richtung verstehen will, kann es aber so verstehen. Es gibt eine doppelte Sprechweise: Ein Teil richtet sich an die Öffentlichkeit, ein Teil an die rechte Szene. Und dort wird es auch verstanden.

Steht Huber mit seinen Posts weit rechts oder gehört er damit in der AfD noch zu den Gemäßigten?

Fischer: Es gibt in der AfD zwei große Fraktionen: die Nationalliberalen und den Flügel. Nur aufgrund der Posts ist er aber nicht zu verorten, denn solche Dinge werden sogar im nationalliberalen Teil gesagt.

Es gibt noch andere Provokationen. Die Grünen bezeichnet Huber etwa als "Ökosekte", statt Asylsuchender heißt es "Asylforderer" oder statt Migrant "Bereicherer". Sind das szenetypische Ausdrücke?

Fischer: Ja, es werden oft Wörter aufgegriffen, die von Politikern verwendet wurden, und mit einem zynischen Spin versehen. "Bereicherer" oder "Fachkräfte" taucht oft als Synonym für Migranten auf. Damit sollen natürlich wieder die Gegner diskreditiert werden und man positioniert sich selbst als Fundamentalopposition, weil man sogar anders spricht als die anderen und damit für sich reklammiert, die Wahrheit zu sagen und nicht dem Mainstream anzugehören. Und es bietet noch eine weitere Möglichkeit: Es wird ein eigener Jargon eröffnet, in dem es einfach ist, sich zu erkennen, der den meisten Menschen, die damit nichts zu tun haben, aber erst einmal nichts sagt.

Sind die sozialen Netzwerke besonders anfällig dafür, Menschen mit einer solchen Sprache einzufangen?

Fischer: Soziale Medien ermöglichen eine Vernetzung über das eigene Umfeld hinaus. Das nutzen aber alle politische Richtungen. Es gibt aber gezielte Versuche etwa der Neuen Rechten mit einer Strömung, die sich Reconquista nennt, in sozialen Medien hegemonial zu erscheinen, indem sie auf ein Thema, das gerade trendet, mit Hunderten Kommentaren, Tweets, Videos oder Memes aufspringt und damit vortäuscht, da das Sagen zu haben.

Man stellt sich selbst also als die Mehrheit dar?

Fischer: Ja, eine schweigende Mehrheit, die ausgegrenzt wird. In rechten Kreisen ist das eine Möglichkeit, eine laute Stimme zu haben, ohne eigentlich in der Gesellschaft viel zu sagen zu haben. Man kann so auch viel Aufmerksamkeit bekommen, selbst dann, wenn etwas nicht positiv aufgenommen wird, sondern sich die Menschen nur aufregen. Die sozialen Medien sind per se nicht für Rechtsradikale prädestiniert, es ist einfach ein Instrument, das genutzt wird.

Auf Hubers Facebook-Profil werden immer wieder Einzelfälle von kriminellen Flüchtlingen herausgegriffen. Ist das eine gezielte Strategie?

Fischer: Es gibt ein Thema, das sich nicht nur die AfD, aber auch die AfD gesetzt hat: Sie bezeichnen das als "migrantische Kriminalität". Die Herkunft wird dabei gezielt mit Kriminalität verbunden. Wenn man sich das zum Ziel setzt, findet man selbstverständlich diese Fälle. In einer rassistischen Denkweise wird schon die Verallgemeinerung vorausgesetzt, dass bestimmte Ethnien bestimmte Charaktereigenschaften haben.

Das Interview führte

Daniel Wenisch.