Neuburg
Von tragisch bis komisch, aber nie flach

Theater Wahlverwandtschaften überzeugt mit "Madame Bovary" im Stadttheater

21.12.2017 | Stand 02.12.2020, 17:02 Uhr
Enorme Bühnenpräsenz: Gelegentlich schreit sich Lisa Wildmann im Stadttheater den ganzen Frust der Emma Bovary von der Seele - einmal sogar so plötzlich, dass ein Zuschauer erschrocken "Jesus Maria" ruft. −Foto: Hammerl

Neuburg (DK) Großes Theater mit überschaubarem Ensemble auf kleiner Bühne: Mit "Madame Bovary" fasziniert das Theater Wahlverwandtschaften aus Kempten im Neuburger Stadttheater. Ein starkes Stück, dessen Romanvorlage einen Skandal auslöste und Autor Gustave Flaubert vor Gericht brachte.

Der Skandal hält sich aus heutiger Sicht in Grenzen, was der ungeheuer intensiven Inszenierung von Wolfgang Seidenberg und Silvia Armbruster jedoch überhaupt keinen Abbruch tut. Denn die Charaktere sind zeitlos. Seidenberg zeichnet weniger das Sittengemälde einer angestaubten französischen Kleinstadt des 19. Jahrhunderts als vielmehr eine Charakterstudie.

Emma Bovary wäre jede Großstadt ebenso zu eng, denn die exaltierte, um nicht zu sagen neurotische junge Frau leidet nicht primär unter der engstirnigen Schwiegermutter, ihrem langweiligen, mehr als naiven Ehemann und der sittenstrengen Gesellschaft, sondern schlicht an ihren eigenen Fantasievorstellungen. Sie lebt realitätsverweigernd in ihrer eigenen Welt, fordert alles vom Leben und ihren Mitmenschen, ist aber nicht bereit, selber etwas dafür zu geben - von ihrem Körper mal abgesehen. Lisa Wildmann ist eine großartige Madame Bovary, steigert sich effektvoll in die immer überspanntere Arztgattin hinein, die heute mit Sicherheit ein Fall für den Psychiater und Neuropharmaka wäre. Damals aber standen Arzt, Pfarrer, Apotheker und Liebhaber dieser geballten, in ihre eigene Welt eingesponnenen Leidenschaft hilflos gegenüber. Geschäftsleute und Liebhaber nutzen die junge Frau und ihren leichtgläubigen Ehemann aus. Am Ende stehen gar Verschuldung und Tod.

So tragisch die Handlung auch ist - diese "Madame Bovary" hat auch jede Menge komische Momente. Erstaunlicherweise flacht die Geschichte dadurch nicht ab. Im Gegenteil, es scheint, als schärfe sich dadurch der Blick nur umso mehr für die Abgründe der menschlichen Seele sowie ihre Dramatik und schafft zudem eine wohltuende Distanz zu den Figuren mit ihrem Leid.

Christian Kaiser überzeugt in der Rolle des schwachen Gatten, der auf seine Weise ebenso realitätsverweigernd lebt wie Emma und so - blind gegenüber ihren Eskapaden - ungewollt zum Verhängnis beiträgt. "Die Ehe ist eine Prüfung", mehr fällt dem Abbé nicht ein, als Emma zur Beichte kommt. So aalglatt wie der Priester sind auch die anderen Figuren, die Hans Piesbergen spielt. Da ist vor allem Rodolphe, der das Klischee des Liebhabers par excellence bedient, Emma als leicht zu haben einstuft und schon vor ihrer Eroberung darüber nachdenkt: "Wie wird man sie hinterher wieder los?" Deutlich sympathischer kommt Sebastian Strehler - beeindruckend auch dessen klangschöne Singstimme - als Jurastudent Léon rüber, der Emma in romantischer Seelenverwandtschaft verbunden ist, dabei aber die Grenze zur Obsession keineswegs überschreitet. Beide Darsteller schlüpfen in weitere Nebenrollen, was stets anhand von Perücken, reduzierten Kostümen und Attitüde klar erkennbar ist. Den Vogel schießt hier Ursula Berlinghof ab, die mal als hagere Maman Bovary mit zusammengepressten Lippen ihre Missbilligung der Schwiegertochter ausdrückt, dann wieder kugelrund ausgestopft als schwer von sich selbst überzeugter Apotheker Homais auf alles eine Antwort zu haben glaubt.

Neben den furios agierenden Schauspielern und dem wahnsinnigen Drive der ironisch bis grotesken Inszenierung trägt auch das schlichte, aber raffinierte Bühnenbild (Stefan Morgenstern) zur Faszination des Stücks bei. Weiße, um ihre eigene Mittelachse drehbare Tafeln werden mal zum Bett, mal öffnen sie die Tür zur Welt, mal engen sie auch ein oder lassen die Figuren wie Gefangene im Kreis laufen. Immer wieder holt der begeisterte Applaus des Neuburger Publikums die Akteure am Ende zurück auf die Bühne - absolut verdient, denn das war hohe Schauspielkunst, was die fünf Ensemblemitglieder gut zwei Stunden lang gezeigt haben.