Neuburg
Die Gewalt der Aufklärung

Gegen Rechtsextremismus, für Toleranz und Menschenrechte: Neuburger Schüler sehen das Stück "Elly und Ingo"

05.06.2014 | Stand 02.12.2020, 22:36 Uhr

Ausdrucksstark und präsent: Trotz spärlicher Bühne vermitteln Kirstin Rokita und Daniel Zimpel als Elly und Ingo einen beeindruckenden Einblick in die Gefühlswelten zweier Menschen, die in ihrer Kindheit Hass und Prügel erlebt haben – aber Wege gegangen sind, die gegensätzlicher nicht sein könnten. - Foto: Belzer

Neuburg (vb) Auf den ersten Blick könnten sie kaum unterschiedlicher sein: Sie in weißer Hose und weißem Oberteil, das braune Haar lockig um die Schultern flatternd. Er in Springerstiefeln, Bomberjacke und T-Shirt, auf dem „Skinhead“ steht. Sie spricht leise und sanft.

Er schreit sich die Seele aus dem Leib, gestikuliert wild und zeigt den Hitler-Gruß.

Und doch sind sich die Beiden bei näherem Betrachten gar nicht so unähnlich. Elly Maldaque, eine Volksschullehrerin zu Zeiten der Weimarer Republik, und Ingo, der Nazi, der in unserer Zeit aufgewachsen ist. Beide sind in Elternhäusern groß geworden, die nicht auf Toleranz und Liebe setzten, sondern auf Schläge, Unterwürfigkeit und Gehorsam. Beide sind Rollen des Stücks „Elly und Ingo“ des Ue-Theaters aus Regensburg, das die Neuntklässler des Descartes-Gymnasiums nun erlebten.

Sinn und Zweck der Aufführung ist die Aufklärung, die Sensibilisierung für die Gefahren des Rechtsextremismus. „Elly und Ingo“ von Regisseur Kurt Raster beruht auf den Tagebucheinträgen von Elisabeth Maldaque, der Menschenfreundin, die das herrschende System hinterfragt hat, sich für freidenkerische und kommunistische Ideen interessiert hat und die nach Denunziation durch Hakenkreuzler erst gekündigt und dann in die Nervenheilanstalt eingewiesen wurde – wo sie schließlich 1930 starb. Sie gilt heute als das erste Opfer der Nationalsozialisten in Regensburg. Der Fall hatte bundesweit Aufsehen erregt, auf der Beerdigung der überaus beliebten Lehrerin sollen 3000 Schüler und Freunde gewesen sein. Kirstin Rokita spielt Elly stark in ihren Emotionen und Überzeugungen und ihrem Plädoyer für das Gute im Menschen.

Die Figur des „Ingo“, außerordentlich kraftvoll und erschreckend zugleich dargestellt von Daniel Zimpel, ist ein Konglomerat aus realen Personen, die in zwei Büchern zu Wort kommen – in „Unter Glatzen. Meine Begegnungen mit Skinheads“ von Christian Tramitz und in „Exit. Ein Neonazi steigt aus“ von Kent Lindahl.

Für Ingo ist die Welt ein Dschungel – „fressen oder gefressen werden“. Als „Brillenschlange“ in der Schule verspottet, von den Eltern geschlagen, rutscht er in die rechte Szene ab. „Wir waren eine Gemeinschaft. Noch nie war ich so glücklich.“ Seine Wut auf die Gesellschaft mündet in der Verehrung für Hitler und in grenzenlosem Hass. Doch tief in ihm drin hinterfragt er die Hetzparolen, das Saufen und die Gewalt. Eigentlich will er doch nur eines: Ein Haus im Grünen, eine Familie.

Elly dagegen reagiert anders auf die Erlebnisse in ihrer Kindheit. Sie wendet sich ab vom System, vom Hass, vom Gehorsam. Sie geht den Weg des Menschenrechts. „Gebt den Menschen ihre Rechte, und sie werden alle gut sein“, schreibt sie in ihr Tagebuch. Sie befreit sich, ist überzeugt, dass man etwas bewegen, etwas verändern kann. Nicht die rohe Gewalt sei der Weg, etwas zu verändern, sondern die Gewalt der Aufklärung. „Wie ich es genoss, meinen freien Verstand zu benutzen“, sagt Kirstin Rokita als Elly Maldaque in einer Szene.

Rokita und Zimpel spielen ihre so unterschiedlichen Figuren aus so unterschiedlichen Zeiten auf eine Weise, dass sie mal scheinbar miteinander sprechen, anstatt im Monolog von ihren Geschichten erzählen, um dann sogar völlig aus der Handlungsebene auszubrechen und sich als Schauspieler über die Glaubwürdigkeit und Motivation ihrer Rollen zu unterhalten. „Elly und Ingo“ ist ein bewegendes und aufwühlendes Stück, das jede Schule ihren Schülern zeigen sollte.