Richard Auer liest in Thalmässing
Auch Franken braucht einen Morgenstern

10.06.2022 | Stand 22.09.2023, 22:23 Uhr

Ausgerüstet mit Sperrholzkoffer und Fahrrad besucht Richard Auer seine Fangemeinde in Thalmässing. Foto: Karch

Von Andrea Karch

Thalmässing – Ermittelt Polizeioberkommissar Mike Morgenstern künftig auch in Franken? Erste Indizien sprechen dafür, dass der von Nürnberg nach Ingolstadt versetzte und in Eichstätt wohnende Polizist nicht mehr nur in Eichstätt und seiner Umgebung auf Spurensuche gehen wird. Beweise gibt es freilich keine. Aber der Schöpfer des Kommissars, sein Autor Richard Auer, unternimmt bei seiner Lesung in Thalmässing keine Anstrengungen, diesen Verdacht zu entkräften. Im Gegenteil.

Denn im fränkischen Thalmässing hat Mike Morgenstern mitsamt seiner Jeansjacke, den unvermeidlichen Cowboystiefeln und dem Traum von der großen Freiheit auf zwei Rädern eine treue Fangemeinde. Das unterstreicht Martin Koch, der Leiter der evangelischen Gemeindebücherei, bei der Begrüßung. Acht Romane des Eichstätter Autors Richard Auer stehen im Regal im Haus des Buches, der neueste, der neunte, ist zwar schon da, aber noch nicht eingebunden. „Im Moment sind fünf Bände ausgeliehen“, erzählt Koch. „Bei 150 Ausleihungen ist Auer der erfolgreichste Lokalkrimiautor, den wir haben.“

Ein guter Grund also, Auer für eine Lesung im Rahmen des 50. Geburtstags der Bücherei zu engagieren. Die war im Jubiläumsjahr 2020 für den 20. April angesetzt, doch dann kam der Lockdown. Umso mehr freute es Koch, mit dem Besuch von Richard Auer die Lesereihe der Bücherei wieder zu beginnen.

Radius des Journalistenist größer geworden

Nach diesem ersten Indiz für eine Ausdehnung des Einsatzgebiets folgt gleich der zweite. Denn Mike Morgenstern ermittelt normalerweise im Umkreis von rund 25 Kilometern um Eichstätt, das ist die Strecke, die Auer mit dem Fahrrad – ohne E-Motor – problemlos schafft. Da der Lokaljournalist aber vor eineinhalb Jahren in die Redaktion des Hilpoltsteiner Kurier versetzt worden ist, ist der mit dem Rad zu schaffende Radius plötzlich größer geworden.Und noch ein weiteres Indiz: „Ich schreibe nur über Dinge, bei denen ich mich auskenne.“ Und kennengelernt hat er in den vergangenen eineinhalb Jahren im südlichen Franken schon viel. Dank seines Fahrrads, das er bei der Lesung auch dabei hat, seiner Neugierde auf Menschen und seines Mopeds.

Um das fahren zu dürfen, musste er erst den Führerschein machen. Womit wir wieder bei Mike Morgenstern wären. Denn der träumt zwar davon, mit einer Harley über die amerikanischen Highways zu brettern, doch fehlt ihm dafür nicht nur die Maschine, sondern vor allem der Führerschein. Auf die ersten Fahrversuche im neuesten Band „Endstation Altmühltal“ nimmt Richard Auer bei seiner Premierenlesung in St. Marien die Zuhörer mit, auf dem Sozius sozusagen. Das Publikum in Thalmässing ist das erste, das in den Genuss dieser Lesung kommt, konnte Mike Morgenstern coronabedingt in den vergangenen zwei Jahren nur zwischen Buchdeckeln ermitteln.

Wer mit dem Kommissar auf einer blauen Honda mit nur wenig PS, mit Leihhelm und Leihlederjacke über die Asphaltbahn brettert und dabei abwechselnd „Born to be wild“ oder „Free bird“ schmettert, den erstaunt es nicht, wenn der Traum von der großen Freiheit zum „Highway to hell“ wird und in der Plexiglasscheibe eines Wohnmobils endet. Kein Abenteuer, auf das Morgenstern stolz sein kann, zumal er von seinem Sohn Marius und dessen Schulklasse beobachtet wird, aber eine Schilderung, die die, die den gern in peinliche Situationen geratenden Kommissar so richtig liebenswert macht.

Als heimatgeschichtlich sehr interessierter und auch kundiger Autor erzählt Richard in seinem neuen Band die – wahre – Geschichte der in Titting geborenen Johanna Sophia Kettner, die es 1730 als Soldatin sogar zum Unteroffizier in der kaiserlichen Armee in Österreich bringt. Deren Leben will ein internationaler Starregisseur mit Eichstätter Wurzeln verfilmen, ganz großes Kino im Altmühltal. Als der größte Fan der Hauptdarstellerin ermordet wird, beginnt der Part für Polizeioberkommissare Mike Morgenstern und Peter Hecht.

Dresdnerin macht Urlauban den Tatorten

Die beiden müssen schon in Auers erstem Krimi „Vogelwild“ ans Werk gehen, in dem es um Diebstahl, Hehlerei und einen Schwarzmarkthandel geht. Der Autor greift dabei abgewandelt einen Fall auf, den er als Lokaljournalist des Eichstätter Kuriers live erlebt hat: Dem Museum in Solnhofen wird vorgeworfen, einen Archaeopteryx auf dem Schwarzmarkt gekauft zu haben, den ein Arbeiter einem Steinbruchbesitzer gestohlen hatte. „Wenn ich einmal Zeit habe, mache ich eine Geschichte draus“, hat er sich damals gedacht. Dieser erste Krimi verkauft sich gleich 15000 mal – „das hat mich selber überrascht“. Gefreut hat ihn die Begegnung mit einer Dresdnerin, die jedes Jahr Urlaub im Altmühltal macht und dabei Morgensterns Tatorte erkundet.

Und weil Richard Auer stets Themen abarbeitet, die typisch sind für diese Gegend, führen Morgensterns Wege ins Kloster Walburg, zur Teufelsmauer oder zum Lammauftrieb. Oder zur Fronleichnamsprozession, für deren Begleitung als Polizist er sich zur besseren Integration in seinem Wohnort freiwillig gemeldet hat. Die köstliche Schilderung, wie Morgenstern in dickem Mantel und gefütterten Stiefeln – andere Festtagsschuhe hat er nicht – den Weihrauchkessel schwenkenden Ministranten hinterhertappt und schließlich ohnmächtig wird, macht auch den Letzten im Publikum zum Fan dieses ganz besonderen Kommissars. Ebenso wie die Schilderung einer Einladung zum Essen, bei der er mit Bratwürsten rechnet, aber mit einer fast flüssigen Blutwurst konfrontiert wird.

„Ich greife Themen sehr dicht an der Realität auf“, lässt Auer seine Zuhörer auf seinen Schreibtisch blicken. Auf diesem schmalen Grat „bewege ich mich gerade noch auf der guten Seite“. Ein gewisses Risiko sei natürlich schon damit verbunden, wenn es zum Beispiel wie im Buch „Reliquienraub“ um einen zwielichten Domkapitular gehe. „Da werfe ich immer verschiedene Charaktere zusammen und schaffe einen Patchworkmenschen.“ Und er bitte darum, Milde walten zu lassen, um nicht in Teufels Küche zu kommen.

Autor lüftet Geheimnisdes grauen Sperrholzkoffers

Wie eine Schatzkiste hat er einen unscheinbaren grauen Sperrholzkoffer vor sich liegen, aus dem er ununterbrochen Requisiten hervorholt, eine Blutwurst, ein Bier in einer Plastikflasche, ein Kinder-Walkie-Talkie und eine täuschend echte Spielzeugpistole. Die stammt von seinen Kindern – ebenso wie die, auf die Morgenstern bei einem Einsatz zurückgreifen muss, weil er seine echte Pistole mal wieder vergessen hat. Das Geheimnis der grauen Kiste lüftet Auer ganz am Schluss. 1986 hat er sie in einem Sperrmüllhaufen beim Kloster St. Walburg entdeckt und mitgenommen. Seit einigen Jahren hat er sie bei Lesungen dabei, auch bei einer im Kloster selbst. Und dort bekam er auch gleich die Geschichte dazu geliefert, denn die Schwestern haben sie wiedererkannt. Sie war einst die Bücherkiste von Schwester Katharina.

Dass die Zuhörer nach dieser Lesung nach neuen Fällen von Mike Morgenstern fragen, ist nicht verwunderlich. Aber Richard Auer kann noch keinen neuen Krimi ankündigen, weil er alle „Altmühltalthemen abgegrast“ hat. Womit wir wieder bei einem weiteren Grund wären, den Kommissar auch in Franken ermitteln zu lassen. Zudem muss Auer ja noch aufklären, warum Morgenstern eigentlich nach Eichstätt versetzt wurde. Und ein letztes Indiz: „Dass ich hier so viele Leser habe, ist für mich eine große Ehre und auch Verpflichtung.“

HK