Neuburg
„Rampenfieber“: Liebhabertheater im besten Wortsinne

Neue Formation feiert im Neuburger Stadttheater Premiere

06.06.2022 | Stand 22.09.2023, 22:32 Uhr
Josef Heumann

Vereint wie einst bei Wilhelm Tell zum Rütlischwur: Georg Thaller (von links), Hans Hüttinger, Ludwig Krätzig und Sepp Egerer. Foto: Heumann

Von Josef Heumann

Neuburg – Die eleganteste Form, das Unwort „Rampensau“ zu vermeiden und gleichzeitig seinem Lampenfieber Einhalt zu gebieten, bildet die neue Wortkreation „Rampenfieber“. Meint beides, sagt alles. Damit präsentiert sich jetzt eine neue Schauspielformation, ein Liebhabertheater um Regisseur Gundolf Hunner im besten Sinne des Wortes. Die Premiere fand am Freitagabend im Neuburger Stadttheater statt.

In selbstmörderischer Spiellust, mit flammendem Rampenfieber eben, stürzen sich die vier Akteure Sepp Egerer, Hans Hüttinger, Ludwig Krätzig und Georg Thaller auf Friedrich Schillers sämtliche Werke. In gut 90 Minuten sind sie damit auch schon durch! Es begegnen sich gebündelte Theaterpower, gewiss nicht kleinlaut und doch so fernnervig, ein lachmuskelprovozierender Bonmot-Klamauk geistreichster Natur, mal vorwitzig, sogleich wieder hintersinnig, hervorgebracht von vier total geforderten, traumwandlerisch sicher agierenden Mimen in mindestens 50 verschiedenen Rollen. Man erlebt wahre Wortgefechte mit ständig wechselndem, bevorzugt in eitler Selbstüberschätzung sich ergehendem Personal, ein Szenenschnipselsalat, der höchste Konzentration verlangt, umso lässiger im Ergebnis rüberzukommen. Es sind Szenen, die nur so vor Selbstbewusstsein strotzen, gespielt sein zu müssen.

Warum eigentlich? Die Frage stellt sich nach diesem begnadet unsäglichen Abend nicht mehr, der eigentlich nur ein Manko kennt. Es ist sein Titel, „Schillers sämtliche Stücke“, zwar leicht gekürzt, aber doch nicht frei der Gefahr, es mit deutschem Klassiker zu tun zu bekommen. Die Frage, die einen als Schüler schon beschäftigte, ob das alles so gründlich, so ausführlich, so erhaben sein muss, beantwortet Autor Michael Ehnert, dessen absolut Tik-Tok-unverdächtige Komödie jetzt schon lustvoll an die 15 Jahre durch bevorzugt natürlich deutsche Bühnenlandschaft mäandert, auf frappierend geistreich freche Weise. In eineinhalb Stunden ist eigentlich alles gesagt, ist man darüber hinaus mit Friedrich Schiller längst auch in der Jetztzeit gelandet und Quentin Tarantino plötzlich näher. Ach, was soll’s, ist ja längst auch ein Klassiker schon.

Denen entkommt man so leicht eben nicht, und entgleitet so in einem knappen Halbsatz nur Georg Thaller vom Präsidenten in „Kabale und Liebe“ zu Ford Coppolas „Paten“, schließlich auch so ein Vater-Sohn-Konflikt, schauspielerisch vielleicht der delikateste Moment des Abends. Was jetzt aber wieder absolut ungerecht ist, denn die ganze Aufführung sprüht nur so vor solchen Glanzpunkten, sie verbreitet einen wahren Sprühnebel gerade in ihrer Kurzlebigkeit so beglückender Sternschnuppen.

Das verlangt von den Akteuren höchste Wandlungsfähigkeit – und noch einmal mehr einen in Timing, Situationsempfinden und ganz einfach gutem Geschmack absolut sicheren Gundolf Hunner. Wie trefflich er stimmige Stimmungen entwerfen kann, weiß man schon lang. Das Ganze jetzt auf Zeitrastertempo runtergebrochen, ist noch einmal eine Klasse für sich.

Hunner macht aus vier höchst ambitionierten Charakteren das Beste. Da ist Georg Thaller das geborene Alphatier, Sepp Egerer der mächtig dagegen aufbegehrende, doch nicht aus seiner Haut könnende Underdog, Ludwig Krätzig ganz Grand-Seigneur mit hoher Klassik-Affinität, dazu ein voran mit sprachlicher Raffinesse auffallender Hans Hüttinger. Im Ergebnis ein Abend, der nichts ganz ernst nimmt und doch allem und jedermann – selbstredend Friedrich Schillers sämtlich wichtige Frauenrollen damit inbegriffen – Anstand, Respekt, irgendwie dann doch wieder Hochachtung auch und ganz viel in kühler Keckheit verpackte Herzenswäme entgegenbringt.

DK