Gedanken zum Sonntag
„Es macht die Wüste so schön, dass sie einen Brunnen hat“

Von Pastoralreferentin und Seelsorgerin Heidi Esch

21.05.2023 | Stand 16.09.2023, 21:53 Uhr

Heidi Esch, Pastoralreferentin und Seelsorgerin für hauptamtliche pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Foto: privat

Liebe Leserinnen und Leser,

in der Erzählung „Der kleine Prinz“ von Antoine de Saint-Exupéry trifft ein Pilot, der in der afrikanischen Sahara notlanden musste, den kleinen Prinzen. Nach vielen Tagen vergeblicher Mühe, das Flugzeug zu reparieren, machen sich die beiden kurz vor dem Verdursten auf, einen Brunnen zu suchen. In dieser existenziellen Not spricht der kleine Prinz den Satz: „Es macht die Wüste so schön, dass sie einen Brunnen hat.“ Dieser Satz hat mich angerührt – in unserer Not gibt es das Rettende – und so wollte ich diesen Gedanken in einem Bild umsetzen. Es drängte mich, dieses Bild mit ganz viel wässrigem Blau zu gestalten, die Wüste ebenso wie den Himmel.

„Ich habe ein geistliches Bild gemalt“



Das Bild, das entstanden ist, sieht überhaupt nicht nach Wüste aus. Jahrelang blieb mir dieses Bild selbst ein Rätsel. Warum dieses wässrige Blau für die Wüste? Bis ich irgendwann verstand: Ich habe ein geistliches Bild gemalt – letztlich haben wir immer Zugang zum Wasser, Zugang zu Gott, Zugang zum Wasser der Gnade.

Ignatius von Loyola spricht von der Gott-Unmittelbarkeit jedes Menschen.

In heutige Sprache übersetzt können wir die Zusage Gottes so hören: „Du hast direkten Zugang zu meinem Herzen.“ Auch Frère Roger wurde nicht müde zu betonen, dass wir alle zu ein und derselben Menschheitsfamilie gehören und Gott ausnahmslos jeden Menschen bewohnt. Wir sind nicht in der Wüste ausgesetzt, wir sind nicht ohne Hilfe. Gott ist bei jedem von uns.

Dieses mystische Denken weist Tomáš Halík auch als Weg aus der aktuellen Kirchenkrise in seinem neuen Buch „Der Nachmittag des Christentums. Eine Zeitansage“ auf. Reformen sind nötig, greifen aber zu kurz, wenn nur „manche institutionellen Strukturen und einige Absätze im Katechismus“ geändert würden. Die Fruchtbarkeit der Reform und die künftige Vitalität der Kirche hängen davon ab, ob es gelingt, eine neue Beziehung zur spirituellen und existenziellen Tiefendimension des Glaubens zu gewinnen. Die jetzige Krise halte ich für einen Scheideweg, an dem sich die Möglichkeit eröffnet, in eine neue, ‚nachmittägliche‘ Epoche der Geschichte des Christentums überzugehen. Das erschütterte Christentum kann – auch dank seiner schmerzhaften Erfahrungen – wie ein verwundeter Arzt das therapeutische Potenzial des Glaubens entfalten. Wenn die Kirchen der Versuchung der Egozentrik und des kollektiven Narzissmus, des Klerikalismus, Isolationismus und Provinzialismus widerstehen“, können sie der Menschheitsfamilie helfen, eine „Kultur der Kommunikation, des Teilens und des Respekts vor der Andersheit“ aufzubauen.

„Nicht aufgeben“



So lade ich uns alle ein, in den persönlichen Wüsten und in der momentanen gemeinsamen Wüstenwanderung unserer Kirche, in der so viel Dekonstruktion unserer Kirchenbilder stattfindet, nicht aufzugeben, sondern uns umso fester an Gott zu binden und gemeinsam lebensspendende Wege in die Zukunft zu suchen.

Heidi Esch, Pastoralreferentin und Seelsorgerin für hauptamtliche pastorale Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen