Schuldige sitzen in Berlin und München
Situation in Peutenhausen: Schrobenhausener Grünen-Politiker Joachim Siegl äußert sich

31.01.2023 | Stand 17.09.2023, 4:13 Uhr

Neue Wohnhäuser entstehen derzeit in der Peutenhausener Dorfmitte. Im ehemaligen Bergwirt, dem gelben Gebäude hinter den Büschen, sind wohl noch für rund ein Jahr geflüchtete Menschen untergebracht – so lange läuft jedenfalls der Mietvertrag, den der Landkreis Neuburg-Schrobenhausen abgeschlossen hat. Foto: Hofmann (Archiv)

In einer Stellungnahme äußert sich nun auch Joachim Siegl, Grünen-Fraktionssprecher und Referent für Integration und Inklusion im Stadtrat Schrobenhausen, zu den Vorfällen und der Berichterstattung über Peutenhausen. Die Aufregung sei jetzt auf allen Seiten groß.



Rechte Propagandisten versuchten unter anderem auf Youtube, die Straftaten einzelner zu nutzen, um alle Geflüchteten zu kriminalisieren. Das, schreibt Siegl in seiner Pressemitteilung, sei „offensichtlicher, aber wohlkalkulierter Blödsinn“, denn in Peutenhausen lebten seit mehr als sieben Jahren Geflüchtete, ohne dass die Menschen dort Anlass gehabt hätten, sich mit Pfefferspray zu bewaffnen. Im Gegenteil, nicht zuletzt dank der Unterstützung ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer sowie der Dorfgemeinschaft sei man ganz gut miteinander ausgekommen.

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Auf der anderen Seite werde Menschen Fremdenfeindlichkeit unterstellt, die Angst und Unwohlsein ausdrückten, weil sie ganz konkret erlebt hätten, was alle immer schon wussten: „Unter den vielen Geflüchteten, die unsere Solidarität und Unterstützung dringend brauchen, sind halt – wie übrigens unter den sogenannten Einheimischen auch – einige wenige, die sich nicht an die Regeln und Gesetze halten“, heißt es in der Mitteilung weiter.

In beiden Fällen sei der Versuch, alle in einen Topf zu werfen, das Problem. „Selbstverständlich sind nicht alle Flüchtlinge kriminell und ebenso selbstverständlich ist nicht das ganze Dorf gegen Flüchtlinge“, formuliert es Siegl. Und weiter: „Es mag einzelne geben, deren Ansichten bedenklich weit ins rechte Spektrum abdriften. Aber diese Extrempositionen sind sicher nicht repräsentativ für die gesamte Dorfgemeinschaft.“

Ohne viele der engagierten Helfer vor Ort persönlich zu kennen, ist Siegl der Überzeugung, dass die Peutenhausener genau das umtreibe, was ehrenamtliche Helferinnen und Helfer auch in Schrobenhausen und anderswo erlebt hätten: Mit den meisten Menschen, die zu uns kämen, könne man gut zurechtkommen.

Gesetze und bürokratische Regularien

Der große Frust, den viele der Ehrenamtlichen davongetragen hätten, werde weniger von den Geflüchteten ausgelöst, als vielmehr von den Gesetzen und bürokratischen Regularien, die für die meisten der Asylsuchenden die Integration verhinderten, schreibt der Referent für Integration. „Wenn Menschen über sieben Jahre wegen einer angeblich schlechten Bleibeperspektive kein Sprachkurs ermöglicht wird, sie keine Arbeitserlaubnis bekommen und keine Genehmigung erhalten, aus den Unterkünften auszuziehen, dann laufen die ehrenamtlichen Integrationsanstrengungen ins Leere“, so Siegl. Da seien Geflüchtete, die sich integrieren wollten. Da seien Ehrenamtliche, die sie dabei unterstützen wollten. Da seien Unternehmen, die höchstes Interesse an Mitarbeitenden hätten. Aber alle miteinander scheiterten an einer Asyl- und Einwanderungspolitik, die nach wie vor – allen Sonntagsreden zum Trotz – auf Ausgrenzung, Abschottung und Abschreckung setze, „obwohl wir seit Jahrzehnten erleben, dass das alles nicht funktioniert“, heißt es in dem Schreiben.

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„Wollen die Peutenhausener keine Flüchtlinge mehr?“, fragt Siegl. Oder hätten sie nur die Praxis der Zuweisung und der staatlich organisierten Verantwortungslosigkeit satt. Die Grabscher von Peutenhausen seien in eine andere Unterkunft verlegt worden. Dort kümmere sich aber genauso wenig jemand um sie wie hier. Es fehle eine sozialpädagogische Betreuung, die aber weder von der unterbesetzten Asylsozialberatung noch von den Unterkunftsbetreuern des Landratsamtes und erst recht nicht von Ehrenamtlichen geleistet werden könne, heißt es in der Pressemitteilung. In Schrobenhausen habe es vor einigen Jahren dasselbe Phänomen mit dem Freibad-Grabscher gegeben. Der sei woanders unterhalb der Schwelle „Haftstrafe“ auffällig geworden und deshalb von der Regierung von Oberbayern von dort hierher in die alte Grundschule verlegt worden, ohne dass irgendwer in Schrobenhausen auf die mögliche Gefährdung hingewiesen worden wäre. Es sei genau diese Praxis, die das Klima vergifte, so Siegl. Denn am Ende müssten die Menschen vor Ort ausbaden, was in Berlin und München versäumt werde.

Mit den Hausaufgaben im Verzug

„Leider ist auch die neue Bundesregierung mit ihren Hausaufgaben in Verzug, das ist nicht nachvollziehbar und unerträglich“, schreibt Siegl. Viele Menschen, die aus Afghanistan geflohen seien, lebten hier seit über sieben Jahren in einem laufenden Verfahren ohne einen Aufenthaltsstatus, der es ihnen erlaube, sich hier eine Existenz aufzubauen. Jedem Tagesschau-Zuschauer sei klar, dass sich die Situation in Afghanistan nicht verbessere und deshalb selbst bei Menschen, denen kein Asyl gewährt werden könne, an eine Rückführung nicht zu denken sei. „Aber anstatt daraus endlich die einzig vernünftige Konsequenz zu ziehen und diese Menschen wenigstens jetzt schnell zu integrieren, kann sich die Bundesregierung bis heute nicht dazu durchringen, die entsprechenden Beschlüsse zu fassen und die laufenden Verfahren abzukürzen“, so Siegl. Ebenso fehle eine klare Anweisung der Staatsregierung an die Ausländerbehörden, ihrerseits alle laufenden Verfahren zu beschleunigen. Dafür könnte Personal, das in der Covid-Nachverfolgung der Gesundheitsämter nicht mehr gebraucht werde, eingesetzt werden.

„Jetzt werden Afghaninnen und Afghanen bundesweit über BAMF und Verwaltungsgerichte Abschiebungsverbote angeboten, es dauert aber immer noch ein halbes Jahr und mehr, bis diese Menschen damit eine Aufenthaltserlaubnis in der Hand haben“, schreibt der Grünen-Politiker. Aber nur mit dieser Aufenthaltserlaubnis hätten die Geflohenen den rechtlichen Status, mit dem sie arbeiten dürfen, der ihnen Spracherwerb und den Umzug in eine eigene Wohnung ermögliche.

Es sei geradezu sträflich, dass diejenigen, die in Berlin und München Verantwortung tragen, es nicht schafften, hier die dringend notwendige Zeitenwende einzuleiten. „Stattdessen lassen sie uns weiter auf einer Zeitbombe sitzen“, schreibt Siegl, „wenn es dann wie in Peutenhausen knallt, schaut die Öffentlichkeit verwundert und erschreckt dorthin und schimpft wahlweise über undankbare Flüchtlinge oder eine angeblich fremdenfeindliche Dorfbevölkerung.“ Nur über die Verantwortlichen und ihre Untätigkeit werde nicht gesprochen.

SZ