Wenn das Leben ins Wanken gerät
Ein Bewohner der Neuburger Obdachlosenunterkunft erzählt seine Geschichte

25.12.2022 | Stand 17.09.2023, 6:54 Uhr

Die Unterkunft in der Donauwörther Straße in Neuburg ist nicht besonders einladend: Das Bad ist im Flur und wird gemeinschaftlich genutzt. Eine Küche gibt es nicht.

Neuburg – Verheiratet, drei Kinder, Festanstellung, ein kleines Häuschen zur Miete: Es war ein anderes Leben, das Z. (Name von der Redaktion abgekürzt) noch vor ein paar Jahren hatte. Nun lebt der 59-Jährige seit rund zweieinhalb Jahren in der Obdachlosenunterkunft in der Donauwörther Straße 83 in Neuburg - und erzählt seine Geschichte.



16 Menschen leben momentan in der Obdachlosenunterkunft in der Donauwörther Straße in Neuburg. Die Sozialarbeiterinnen der Caritas-Fachstelle für wohnungslose Menschen beraten und begleiten die Bewohnerinnen und Bewohner der städtischen Notunterkunft. Doch eine neue Bleibe zu finden, ist schwer. Es ist ein Kampf gegen das Schicksal und gegen Vorurteile.

Martina Maass und Alija Catic beraten und begleiten wohnungslose Menschen in Neuburg. Sie sind Sozialarbeiterinnen und arbeiten für den Caritasverband Neuburg-Schrobenhausen, der seit 1. Januar 2022 die Trägerschaft der Fachstelle für wohnungslose Menschen in Neuburg übernommen hat. Maass und Catic geben im Gespräch mit unserer Zeitung einen Einblick in ihre Arbeit. Außerdem sprechen sie über die Herausforderungen und die Vorurteile, mit denen Menschen, die wohnungslos sind, zu kämpfen haben.

Die Gründe, warum Menschen in Neuburg ohne Wohnung sind, können vielfältig sein, sagt Catic. „Es gibt Leute, die wegen Mietschulden zwangsgeräumt werden.“ Manche kämen direkt aus der Haft. Andere fänden schlichtweg keinen bezahlbaren Wohnraum. Aber feststeht für Maass: „Es kann jeden treffen. Jeder könnte in eine solche Situation kommen.“

Wenn das Leben plötzlich ins Wanken gerät



Es gibt aber auch solche Fälle wie bei Z., wo ein Schicksalschlag dazu führte, dass das Leben plötzlich ins Wanken geraten ist. Und auf einen Schicksalschlag folgte ein weiterer. Nach dem Tod seiner Ehefrau geriet der 59-Jährige in eine schwere Krise. Er stürzte in eine Depression und kam deshalb in stationäre Behandlung. Als er nach geraumer Zeit aus der Klinik entlassen wurde, stand er vor einer ausgeräumten Wohnung. Doch nicht nur die Wohnung war weg, auch seine Arbeit, da sein Vermieter ebenfalls sein Arbeitgeber war. „Ich bin dann erst einmal bei meinen Kindern untergekommen“, erinnert sich Z. zurück. Aber auf längere Zeit sei das keine Lösung gewesen. Kurzzeitig lebte er auf der Straße, bis er dann vor rund zweieinhalb Jahren in die Obdachlosenunterkunft in Neuburg zog. Seit dem ist er auf der Suche nach einem neuen Zuhause.

Doch diese Suche ist keine einfache: Steht die Donauwörther Straße nämlich einmal auf den Papieren, sei es schwierig, eine neue Bleibe zu finden, sagt Maass. Abgestempelt als asozial oder arbeitsscheu: Vorurteile gehören für die Bewohner der städtischen Notunterkunft zur Tagesordnung. „Viele Vermieter sind nicht bereit, diesen Menschen eine Chance zu geben“, bedauert Maass.

„Viele Leute in der Unterkunft sind berufstätig“



Die Obdachlosenunterkunft in der Donauwörther Straße 83 hat 48 Zimmer, 16 sind momentan belegt. Menschen, die in Neuburg draußen schlafen müssen, gebe es also nicht, betont Maass. Die Menschen hier in der Region seien von Wohnungslosigkeit betroffen und hätten das Problem, keinen bezahlbaren Wohnraum zu finden. „Viele Leute, die in der Unterkunft leben, sind berufstätig“, sagt Catic. Es sei die Kombination aus Herkunft, der Tatsache, dass man vielen Menschen die oftmals bewegte Vergangenheit ansehe und dass die Donauwörther Straße als derzeitige Adresse auf dem Ausweis steht, die die Suche nach einem neuen Zuhause so schwer mache, sagt Maass.

So auch bei Z., der bislang 13 Wohnungen besichtigen konnte. Einen Mietvertrag habe er nicht bekommen. „Die Leute scheren alle über einen Kamm“, sagt er. Eine Wohnung bedeutet, eine Perspektive zu bekommen. Dabei würde ihm eine Einzimmerwohung reichen. „Ich brauche keinen Palast.“ Kleine Renovierungsarbeiten würde der 59-jährige Maler, Fliesenleger und Maurer auch selbst übernehmen, sagt er.

Neue Unterkunft in der Nördlichen Grünauer Straße



Jeder Bewohner der Obdachlosenunterkunft in der Donauwörther Straße hat ein Zimmer. Das Bad befindet sich im Flur und wird gemeinschaftlich genutzt. Eine Küche gibt es nicht. Doch das soll sich bald ändern, wenn die neuen Räumlichkeiten in der Nördlichen Grünauer Straße bezogen werden können. „Da gibt es dann Nasszellen in jedem Zimmer, eine Küche und auch Familienzimmer“, sagt Catic. „Die Stadt Neuburg hat gut investiert, um die Zustände zu verbessern. Dort wird es dann für die Bewohner auch mehr Privatsphäre geben“, fügt Maass hinzu. Wann genau die neuen Örtlichkeiten im kommenden Jahr bezogen werden können, steht noch nicht fest – Lieferengpässe verschieben den Termin laufend nach hinten.

Existenz sichern, beraten und Anträge stellen



Für die beiden Sozialarbeiterinnen soll im ersten Schritt die Existenz der Betroffenen gesichert werden. Im weiteren Verlauf werde versucht, eine Beziehung und Vertrauen zu den Menschen in Not aufzubauen. Sie stehen in enger Zusammenarbeit mit anderen Stellen wie der Sucht- oder Schuldnerberatung sowie dem Jobcenter. „Wir helfen auch bei Anträgen. Das muss niemanden peinlich sein, wenn man da nicht zurecht kommt, weil es wirklich komplex sein kann“, sagt Catic. Ist eine Wohnung gefunden, hört die Arbeit für die Sozialarbeiterinnen aber nicht auf. „Die Nachbetreuung spielt auch eine bedeutende Rolle.“

Dreimal pro Woche sind Maass und Catic in dem Büro in der Obdachlosenunterkunft, die Tür für die Bewohner ist offen. „Es ist ein freiwilliges Angebot. Wir arbeiten nicht aufsuchend.“ Manche, die in der Donauwörther Straße leben, sehen die Unterkunft als eine Art „Endstation“, sagt Catic. „Bei den Menschen, die hier gelandet sind, fehlt meist der familiäre Rückhalt und es gibt keine Freunde, keine Bekannten, die helfen.“ Natürlich gebe es Schicksale, die einem nah gehen, sagt Maass. Die professionelle Distanz muss trotzdem gewahrt werden. Besonders frustrierend sei, wenn die Sozialarbeiterinnen Hilfe anbieten, aber der Klient dann nicht mitarbeite. „Manchmal müssen wir dann zusehen, wie Leben zugrunde gehen“, sagt Catic nachdenklich.

„Ich würde mir wünschen, dass es mehr Vermieter gibt, die soziale Verantwortung übernehmen. Daran mangelt es leider in der Region“, sagt Maass. Den Betroffenen solle eine Chance gegeben werden. Und dass die Menschen weniger Vorurteile gegenüber den Betroffenen haben, die es im Leben nicht einfach gehabt hätten.

DK