„Wir müssen hellwach sein“
AWO lädt Josef Pröll, Regisseur des Filmes „Die Stille schreit“, nach Neuburg ein

03.03.2024 | Stand 03.03.2024, 6:54 Uhr
Josef Heumann

Jüdisches Leben einst und bundesdeutsches Vergessen jetzt beschreibt Josef Pröll in seinem Film über das Schicksal zweier Augsburger Familien. Foto: Heumann

Gerade weil er das laut Schreierische vermeidet, ist es ein so starker Film. Es ist ein starker Film gegen das Vergessen, auch gegen das Vergessen-wollen. Schmeckt zwar nicht gerade nach Blockbuster, die Zuschauer bleiben denn auch überschaubar. Die Betroffenheit indes ist enorm. Die AWO hatte „Die Stille schreit“ samt Macher nach Neuburg eingeladen.

Es ist nicht der erste Film Josef Prölls. Überhaupt, das ganze Leben des 1953 Geborenen ist von Arbeit gegen das Vergessen gekennzeichnet. Er stammt aus einer Familie, die aktiven Widerstand im Dritten Reich geleistet hatte. All das kann doch nicht umsonst gewesen sein, wenn heute schon wieder und längst nicht mehr leise Deutschtum und Antisemitismus sich gefährlich breitmachen. Pröll engagiert sich in der Gedenkstätte in Dachau – überhaupt das allererste Konzentrationslager, und eigentlich erschreckend nah.

Holocaust-Überlebende auf Spurensuche



Eine Überlebende des Holocaust, 2001 auf Spurensuche nach Augsburg zurückgekehrt, bittet Pröll nun, einen – ja: Familienfilm zu machen. Der Filmemacher lässt sich zögerlich nur darauf ein, die Intimitätsschwelle scheint für den Außenstehenden hoch, aber Miriam Friedmann, die Initiatorin, wird zur unermüdlichen Komplizin, es folgen vier Jahre Recherche. Das Ergebnis besticht durch überlegene Schlichtheit.

Weit entfernt vom bloßen Abschnurren von Fakten, historischen Daten und biographischen Notaten, vermeidet der Film jedes Sentiment, spricht eine deutliche Sprache und schwingt sich nicht zum Richter aus der bequemen Position des Nachgeborenen auf. Aber er wirft Fragen auf. Warum etwa der Co-Autor der furchtbaren Rassegesetze noch mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt werden musste oder wenn die IHK zum hundertjährigen Firmenjubiläum gratuliert, ohne auch nur mit einer Silbe zu erwähnen, dass es da einen recht markanten Eigentümer-Wechsel gegeben hat. Exakt der ist Teil der Familiengeschichte der Miriam Friedmann, die mit ihrer Erinnerungsarbeit keinerlei finanzielle Absichten verfolgt.

Dass sie heute überhaupt zur Zeugenschaft auffordern kann, verdankt sie dem einen Umstand, dass ihre Eltern, weltoffen aufgeschlossene Sprosse jüdischer Eltern, in Italien lebten, als von dort gerade noch die Flucht gelang. Nicht so der Generation davor. Die Großeltern Selma und Ludwig Friedmann nahmen sich einen Tag vor der Deportation im März 1943 das Leben, Emma und Eugen Oberländer kamen im KZ um.

Weg von Augsburg nach Auschwitz „eine gerade Linie“



Zwei Familien, zwei Firmengeschichten auch erloschen, gehörten längst dem Vergessen an, fragten jetzt zwei außergewöhnliche Menschen aus Betroffenheit und Sorge vor dem Heute nicht nach. Es ist auf diese Weise ein ausgesprochen Augsburger Film geworden. Aber wie zufällig (und letztlich austauschbar) der Ort, so exemplarisch ist diese Stille – und erschreckend die Erkenntnis, dass, so Josef Pröll, „der Weg von Augsburg nach Auschwitz eine gerade Linie war.“

„Wir müssen hellwach sein“, befand Mini Forster-Hüttlinger betroffen nach dem Schauen des Filmes. „Reicht das?“, fügte ein bewegter Werner Widuckel hinzu.

DK