Altmannstein
In den letzten Kriegstagen geflüchtet

Georg Eichenseer hat sich kurz vor der Kapitulation auf den gefährlichen Weg nach Schafshill gemacht

12.05.2022 | Stand 23.09.2023, 1:25 Uhr

Georg Eichenseer hat frühzeitig den Zweiten Weltkrieg für sich als beendet erklärt. In einer abenteuerlichen Flucht kam der nun 93-Jährige zurück nach Schafshill. Fotos: B. Meyer/ Repro

Schafshill – In diesen Tagen jährt sich das Ende des Zweiten Weltkrieges zum 77. Mal. Viel Not und Elend hat der Krieg über zahlreiche Länder gebracht. Gerade in Deutschland waren ganze Landstriche und Städte zerstört. Viele Zeitzeugen gibt es nicht mehr, doch der eine oder andere erinnert sich noch an diese Kriegstage und wie es ihm dabei ergangen ist. Einer dieser Kriegsteilnehmer ist Georg Eichenseer aus Schafshill.

Der 93-Jährige wurde am 18. August 1928 geboren. „Im August wurde ich 16 Jahre alt und Anfang Dezember 1944 wurde ich als einer der ersten jungen Männer in der Umgebung eingezogen“, sagt Eichenseer. Zuerst ging es nach Regensburg zur Einkleidung. Mehrere Tage dauerte das damals. Es wurden Freiwillige für den Küchendienst gesucht und Eichenseer hat sich gemeldet. „Wir mussten in den Keller und dort Karotten aussortieren, bevor sie verderben. Tags darauf gab es dann Karottengemüse.“ Noch heute isst er sie deshalb nicht allzu gern.

Er wurde nach Neuburg verlegt und dort am Fliegerhorst zur Flugabwehr an einer Vierlings-Flak eingesetzt. Doch schon bald wurde diese von Tieffliegern zerstört. Anschließend hatte Eichenseer Dienst an den Scheinwerfern zur Ortung von Flugzeugen. Dieser Dienst fand nur in den Nachtstunden statt und tagsüber mussten sich die Soldaten in ihren Ein-Mann-Löchern verstecken. „Es war furchtbar, am liebsten wäre ich auf und davon“, erinnert sich der Kriegsteilnehmer.

Im weiteren Verlauf des Krieges wurden die Soldaten mit Panzerfäusten zu Panzerjägern ausgebildet. „Auf einen Panzer habe ich dann nicht mehr geschossen“, sagt Eichenseer. Der als Chef an der Flak eingesetzte Stabsgefreite war ein großes Vorbild für seine jungen Soldaten. Bei Fliegerangriffen stand er bis zum Schluss tapfer am Wall und gab die Befehle. „Wenn es so weit ist, dann haut ihr vorher ab“, sagte er den Soldaten angesichts der anrückenden Amerikaner. Die US-Armee stand damals schon in Nürnberg. Am 20. April 1945 besetzten die Amerikaner das Reichsparteitagsgelände in der Frankenmetropole.

Mit einem Kameradenauf der Flucht

Für Eichenseer und einen Kameraden aus Bamberg war nun die Zeit gekommen, sich aus dem Staub zu machen. „Als junge Burschen haben wir uns noch keine großen Gedanken gemacht. Nicht über den Krieg und auch nicht über die Flucht.“ Leider haben die beiden keine Adressen ausgetauscht, wie Eichenseer bedauert. Er hätte gerne gewusst, wie es seinem Kameraden ergangen ist. Dessen Vater hatte damals eine Zigarrenfabrik in Bamberg, an mehr erinnert er sich nicht mehr.

Zunächst fanden die beiden keinen Übergang über die Donau. Die Brücken waren gesprengt worden. Bei der Eisenbahnbrücke versuchten sie dann, über den Fluss zu kommen. Eichenseer konnte aber nicht schwimmen. „Die acht Meter schaffen wir schon“, ermunterte ihn sein Kamerad.

Am anderen Ufer angelangt, erblickten sie als erstes einen US-Soldaten. „Nichts wie weg“, lautete die Devise. Sie hatten auch keine Zeit, sich umzuschauen. Da sie keine Uniformen mehr trugen, wurden sie nicht verfolgt. Bei Hundszell versteckten sie sich die Nacht über.

Am Morgen versuchten die jungen Männer auf einem Hof, etwas zu Essen zu bekommen. Als Eichenseer die Tür zur Stube öffnete, erblickte er mehrere SS-Mitglieder. Sofort die Türe wieder zu und weg, hieß es da für ihn. Schließlich versuchten sie ihr Glück bei einer Schreinerei. Der Schreiner versteckte die beiden eine Nacht lang in seinem Kuhstall, danach trennten sich ihre Wege. Sein Kamerad versuchte, entlang der Autobahn in Richtung Bamberg weiterzukommen. Georg Eichenseer machte sich dagegen auf die Suche nach einer Tante am Ingolstädter Hauptbahnhof. Sie lieh ihm ein altes Damenfahrrad, mit dem er Richtung Heimat fuhr.

Schlosswiese schon von US-Soldaten besetzt

Als er in Sandersdorf zur Schlosswiese kam, war diese bereits von US-Soldaten besetzt. Durch die Soldaten hindurch ging es für ihn weiter in Richtung Schafshill. In den Abendstunden kam er an.

Sein Vater bemerkte ihn zuerst. Beide waren sehr vorsichtig, da auch in Schafshill noch SS-Männer untergebracht waren. Nach nur einer Nacht im Elternhaus machte er sich also wieder davon und versteckte sich bis zum Kriegsende.

Probleme hatte Georg Eichenseer dann, als er in Riedenburg seine Entlassungspapiere angefordert hat. Auf der Flucht hatte er alles weggeworfen. Zu seinem Glück kamen damals zwei Bekannte ebenfalls ins Amt, um sich Entlassungspapiere zu besorgen. Sie bestätigten seine Aussage. Auch diese beiden haben den Krieg nicht bis zum bitteren Ende in ihren Stellungen verbracht, sondern sind rechtzeitig nach Hause zurückgekehrt.

Im rechtlichen Sinne sind die drei Soldaten desertiert, aber wer will ihnen das verdenken, zumal niemand wusste, wie es für jeden mit Kriegsgefangenschaft oder in den letzten Gefechten noch ausgegangen wäre. Sie haben überlebt und für sich die richtige Entscheidung getroffen.

Dabei haben sie alle einen prominenten Zeitgenossen. In der Biografie von Papst Benedikt XVI. liest man: „Kurz vor Kriegsende wird er als Minderjähriger zum Flakhelfer eingezogen. Er desertiert.“

mby