Reden kann Leben retten
Zwischenbilanz des Suizid-Präventionsprojekts in Gaimersheim: „Raus aus dem Abseits“

17.06.2023 | Stand 14.09.2023, 23:09 Uhr

Bei der „Ab- und An-Schlussfeier“ am Donnerstag sprachen unter anderem Arno Drinkmann (Psychologieprofessor an der KU, von links), Michael Leubert (Psychosoziale Notfallversorgung des BRK) und Udo Pabst (Krisenseelsorger im Schulbereich (KIS). Fotos: Hauser

Eine „Ab- und An-Schlussfeier“ hatten die Initiatorinnen des Suizidpräventionsprojektes „Raus aus dem Abseits“ angekündigt.

Nicole Fichtner und Regine Morich aus Wettstetten berichteten am Donnerstagabend in Gaimersheim Mitstreitern, geladenen Experten, Unterstützern und Betroffenen von den vergangenen knapp zwei Jahren, in denen sie mit viel ehrenamtlichem Engagement Aufklärungsarbeit zu diesem schwierigen, manchmal tabuisierten Thema betrieben haben. Das Präventionsprojekt wurde vom Bayerischen Gesundheitsministerium gefördert. Diese Unterstützung läuft jetzt aus. Morich und Fichtner stellen ihr Engagement deswegen aber nicht ein, sondern wollen die Kontakte, die sie in den vergangenen Monaten geknüpft haben, für die Gründung eines regionalen Netzwerks nutzen. Auch ein Verein ist im Gespräch.

36 Aktionen innerhalb von knapp zwei Jahren



In den vergangenen knapp zwei Jahren haben die Projektinitiatorinnen insgesamt 36 Aktionen auf die Beine gestellt: Im Stadion des FC Ingolstadt 04 machten sie gemeinsam mit der Mannschaft auf das Thema Suizid aufmerksam, sensibilisierten in Unternehmen und Vereinen mit Infoveranstaltungen für das Thema, organisierten Podiumsdiskussionen, gestalteten Broschüren und Ausstellungen, stellten den Kontakt zu den Filmern Kevin und Toby Schmutzler her, die mit ihrem Spot „Tabu“ viele fruchtbare Diskussionen angestoßen haben. Und immer wieder waren Regine Morich und Nicole Fichtner an Schulen. „Wir waren überrascht, wie häufig wir von Schulleitern, Eltern, Lehrerinnen und Lehrern angesprochen wurden“, berichtete Morich. „Damit hatten wir nicht gerechnet.“ In der Arbeit an Schulen soll deswegen auch in Zukunft ein besonderer Schwer- punkt ihrer Arbeit liegen.

Professionelle Unterstützung von Experten



Bei aller Erfahrung ist Morich und Fichtner stets klar: „Wir sind Laien.“ Deswegen haben sie sich professionelle Unterstützung geholt. Bei der Veranstaltung am Donnerstag berichteten unter anderem Michael Leubert von der Psychosozialen Notfallversorgung des BRK in Ingolstadt und Udo Pabst, Krisenseelsorge im Schulbereich (KIS) der Diözese Eichstätt von ihren Erfahrungen. Mit dabei war auch Arno Drinkmann, Professor für Psychologie an der Fakultät für Soziale Arbeit der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt. Er hat das Projekt nicht nur inhaltlich begleitet, sondern auch wissenschaftlich evaluiert. Grundsätzlich gebe es in der Suizidprävention zwei Zielgruppen, erklärte er. Menschen, die suizidale Absichten hegen, müssen professionelle Hilfe bekommen. Das Projekt von Fichtner und Morich setzt aber beim sozialen Umfeld der Betroffenen an. Es geht ihnen um Aufmerksamkeit, Gesprächskultur und die Förderung eines gedeihlichen Miteinanders. „Und da kann jeder helfen und einen wichtigen Beitrag leisten“, stellte Drinkmann klar. Das Bewusstsein dafür zu stärken, gelinge mit „Raus aus dem Abseits“ zweifellos, was unter anderem Befragungen ergeben haben.

Viele Menschen sind direkt oder indirekt betroffen



Wie bei etlichen vorangegangenen Veranstaltungen wurde auch am Donnerstag schnell deutlich, wie viele Menschen direkt oder indirekt vom Thema Suizid betroffen sind. Als Lutz Morich, der die Podiumsdiskussion moderierte, die Frage ans Publikum richtete, gingen etliche Finger nach oben. Fichtner und Morich haben ihre Erfahrungen und gewonnenen Erkenntnisse in einem Buch zusammengefasst. Ihre wesentliche Botschaft lautet: „Reden hilft.“ Es sei ein Irrglaube, dass das Sprechen über Suizid Menschen gefährde. Im Gegenteil: Es könnten auch Menschen, die den Entschluss gefasst haben, sich das Leben zu nehmen, durch Gespräche gerettet werden. Denn wie Morich und Fichtner immer wieder betonen: „Die allermeisten Menschen, die Suizidgedanken haben, wollen nicht sterben. Sie wollen leben, aber aus ihrer aktuellen Lage gerettet werden.“

Wer suizidale Gedanken hat oder einen Angehörigen/Bekannten in einer solchen Situation unterstützen will, erhält rund um die Uhr anonyme Unterstützung bei der Telefonseelsorge unter den Rufnummern 0800/111 0 111 und -222. Auf www.telefonseelsorge.de ist eine Online-Beratung möglich.