Koslanda/Eichstätt
Ein Heim für schwangere Kinder

Little Smile-Gründer Michael Kreitmeir hat weiteres Projekt in Angriff genommen – Tabuthema in Sri Lanka<?ZE?>

28.12.2022 | Stand 17.09.2023, 6:43 Uhr

Litte Smile-Gründer Michael Kreitmeir will in seinem Kinderdorf, das er vor mehr als 20 Jahren gründete, ein Heim für Kinder errichten, die ungewollt schwanger werden. Foto: Kreitmeir

Am 7. Dezember 1999 hat der Eichstätter Fernsehjournalist Michael Kreitmeir die ersten beiden Kinderhäuser in den Bergen Sri Lankas eröffnet. „Nie hätte ich mir damals träumen lassen, wie viel an diesem regnerischen Dienstag begann“, erinnert sich der 66-Jährige. Und seine Arbeit dort hat auch nach mehr als 20 Jahren kein Ende, wie ein Bericht aus seinem Kinderdorf zeigt.

Pria hatte Bauchschmerzen. Man gab ihr in dem Kinderheim, in das sie vor etwa 6 Monaten per Gerichtsbeschluss gebracht worden war, Panadol. Die 13-Jährige zog sich in einen Schlafsaal zurück. Dem Mädchen gefiel es im Kinderheim, hier wurde sie weder geschlagen noch ständig belästigt – so wie daheim (siehe eigenen Bericht). Irgendetwas zerreißt dem Mädchen den Bauch, sie presst das Kissen auf das Gesicht, stöhnt, Tränen und Schweiß, das Kissen ist nass, überall ist Blut, etwas kriecht aus ihrem Leib heraus, Pria denkt, dass sie nun sterben muss. Shanti kommt von der Schule, sie geht in den Schlafraum und schreit. Die Betreuerin kommt gelaufen, sie zittert, sinkt in sich zusammen, Shanti rennt aus dem Haus zum Tor, stammelt zum Wächter: „Etwas Schlimmes ist passiert, komm schnell.“

Das Heim hat jetzt jede Menge Probleme. Warum wurde das Kind damals, als man es in staatlichen Gewahrsam genommen hat, nicht untersucht? Warum hat keiner was gemerkt? Warum hat die Polizei im Dorf alle Hinweise auf den Missbrauch des Kindes ignoriert? Der Stiefvater wird verhaftet, ein Gentest wird zweifelsfrei ergeben, dass er der Vater ist.

Über Abtreibungen spricht man nicht

Pria bekommt von all dem nichts mit. Ihre zähe Natur hat ihr das Leben gerettet. Wie durch ein Wunder ist auch ihr Baby, ein Mädchen, gesund. Nach dem Krankenhaus wird sie an einen Ort gebracht, an dem viele Mädchen leben, die als Kinder bereits schwanger wurden, überwiegend missbraucht von einem nahen Verwandten. Fast alle hatten keine Ahnung vom Zeugungsakt. „He was troubling me“, ist meist die Aussage, die ihnen allen so schwerfällt und oft erst nach Monaten kommt, wenn überhaupt. Über solche Dinge spricht man in Sri Lanka nicht, weil sich das Opfer schämt. Und das macht es den Tätern so einfach. Es gibt weder verlässliche Zahlen, wie viele Kinder sexuell missbraucht werden, noch hat man im Land eine Ahnung von der Anzahl der Abtreibungen. Auch darüber spricht man nicht, zudem sind sie illegal. Irgendwie liegt die Schuld immer beim Mädchen, bei der Frau. Ein Leben mit einem Kind ohne Mann ist praktisch unmöglich. Und wenn man dann selbst noch ein Kind ist, wie soll es danach weitergehen? Zurück ins Dorf, zur Familie, ausgeschlossen. Oft wird dort das Opfer von den Verwandten des Täters bedroht, von der Gesellschaft gemieden, von der eigenen Familie verstoßen.

Im Moment ist das für Pria noch weit weg. Sie muss sich wieder in einer völlig neuen Lebenssituation einrichten. Als 13-jährige Mutter sein ist nicht leicht. Aber dann noch an einem Ort zusammen mit bis zu 20 Mädchen und jungen Frauen, manche noch schwanger, andere schon mit Baby, die alle dieses oder ein ähnliches Schicksal teilen. Niemand hilft ihnen bei der Bewältigung der meist traumatischen Erfahrungen. Es gibt keinen Besuch. Sie leben in einem Haus, das einst für Beschäftigte des Jugendamtes gebaut wurde und schon bessere Tage gesehen hat. Drei kleine Zimmer, ein Wohnbereich gleich nach der Eingangstür, eine Küche mit Lehmplatz für Feuerholz, die Toilette draußen, daneben ein Wassertrog zum Duschen und Waschen. Und Wäsche gibt es mehr als genug. Derzeit leben hier 16 Mädchen und junge Frauen, sieben Säuglinge und eine ständige Betreuerin, die eher wie eine Wächterin auftritt.

Schandfleck der Gesellschaft

Es hat lange gedauert, sehr lange. Diese Mädchen sind sowas wie ein Schandfleck, den die Gesellschaft lieber versteckt. Viele Jahre hat sich Michael Kreitmeir, Gründer und Leiter von Little Smile, um eine Besuchsgenehmigung bemüht. Unmöglich. Sowohl die Schwangeren als auch die Kindermütter und erst recht die Babys waren tabu. Dann aber kam ein neuer Leiter der Kinderschutzbehörde. Und plötzlich war möglich, was vorher undenkbar war. Vorbei an schier endloser über Bäume und Sträucher ausgebreiteter Wäsche betritt Kreitmeir das heruntergekommene Haus. Einige Mädchen haben sich neugierig in einer dunklen Ecke versammelt, andere sind durch die rückwärtige Türe geflüchtet. Besuch bedeutet hier selten was Gutes. Ein Weißer war vermutlich noch nie hier. Der Commissioner ist mitgekommen, Gajanthani, die junge Betreuerin aus Little Smile, erklärt, wer dieser Weiße ist, spricht ganz selbstverständlich von ihm als dem „Lokuthathe“, dem großen Vater. Das Eis schmilzt, weil Gajanthani aus Little Smile auch Tamilin ist und als sie dann erzählen von dieser so anderen Welt, die nur etwas mehr als 30 Kilometer entfernt ist, kommen sie alle näher, teilweise mit oft winzigen Babys im Arm. Kreitmeir will wissen, was sie sich denn am meisten wünschen? Einen Reiskocher, meint die Betreuerin, einen Fernseher rufen die Mädchen und in ihren Augen blitzt ganz kurz etwas wie Hoffnung auf. Genau eine Woche später ist der ehemalige Eichstätter wieder da. Mit Fernseher, Reiskocher und Satellitenschüssel.

Ende Oktober 2022 gibt es fast nichts in Sri Lanka zu kaufen, was über die absolut notwendige Grundversorgung hinausgeht. Das, was es gibt, Baumaterial etwa, ist unglaublich teuer und es ist auch nur das zu haben, was im eigenen Land hergestellt wird. Und das ist nicht viel und oft von minderwertiger Qualität. Es ist also bei Gott keine Zeit zum Bauen. Aber diese Mädchen und jungen Frauen weiter in diesem Provisorium überleben lassen? Denn auch das Babyhome lässt mehr Wünsche offen, als es erfüllt. Und weil Little Smile gewohnt ist, auch das Unmögliche anzupacken, will Kreitmeir den vom Leben so gebeutelten Mädchen und jungen Frauen einen Ort geben, an dem sie ihre Babys gut aufgehoben wissen.

Neue Weihnachtsgeschichte für junge Frauen

Ab 2023 wird dann für viele Babys in den Bergen Sri Lankas eine neue Weihnachtsgeschichte geschrieben, eine, in der diese schutzlosesten der Armen einen Platz haben, damit sich nicht wiederholt, was der Evangelist Matthäus beschreibt: „Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe, denn sie hatten sonst keinen Raum in der Herberge…“ Und Pria? Sie lebt seit Anfang Dezember im Kinderdorf von Little Smile.

EK/smo