Vom Firmenchef in Obdachlosigkeit
68-Jähriger kommt nur mit Lebensmittelspenden der Tafel in Eichstätt über die Runden

22.12.2023 | Stand 23.12.2023, 10:23 Uhr

Seine Ration für eine Woche hat sich Jochen Maurer bei der Eichstätter Tafel abgeholt. Dieses Mal gab es sogar frische Eiernudel und Lachs. „Ich bin froh, dass ich die Lebensmittel bekomme. Wenn ich das alles kaufen müsste, wäre ich 40 oder 50 Euro los. Foto: Bader

„Habt ihr vielleicht noch einen Presssack? Ah, Leberkäse is auch okay. Oh, heut gibts geräucherten Lachs, der ist immer gut. Ja, Brot und Semmeln, aber bitte Körnersemmel, die Weizensemmeln vertrag’ ich nicht. Na, Obst mag ich doch immer gern und die Radieschen für die Brotzeit.“



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An diesem Tag ist der Korb mit Lebensmitteln, die der Besucher der Eichstätter Tafel für einen symbolischen Euro mit nach Hause nehmen darf, besonders gut gefüllt. Von Fleisch und Wurst über Kartoffeln, Zwiebeln, Butter und Milch bis hin zu einem Brot, einer Mohnstange, Zaziki, Weintrauben, und einem Töpfchen Basilikum reicht die Auswahl. Und aus Spenden gibt es dieses Mal auch noch für jeden ein Päckchen Eiernudeln und frische Zahnbürsten.

„Ich bin froh, dass ich von der Tafel Lebensmittel bekomme. Wenn ich das alles kaufen müsste, wäre ich 40 oder 50 Euro los“, sagt Jochen Maurer. Das ist allerdings nicht sein richtiger Name, denn „es gibt Menschen, die würden mir sogar das noch neiden und sagen, ,schau hin, und der kriegt auch noch Sozialhilfe’“.

War selbstständiger Heizungsmonteur



Dabei hätte sich Maurer noch vor einigen Jahren niemals träumen lassen, irgendwann auf Lebensmittel von der Tafel angewiesen zu sein. „Ich war selbstständiger Heizungsmonteur, hatte zeitweise sogar sieben oder acht Angestellte“, erzählt er. Maurer war in München als Subunternehmer unterwegs und hat in dieser Zeit gut verdient. Deshalb hat er sich irgendwann entschlossen, mit seiner damaligen Ehefrau ein Haus zu bauen. „Das hat mich allerdings ohne Grundstück 650000 Euro gekostet. Für 500000 musste ich einen Kredit aufnehmen. Damals noch für 9,25 Prozent.“ Über eine Altersvorsorge hat er sich zu dieser Zeit nie Gedanken gemacht. „Ich habe nichts zurückgelegt, es war nichts mehr da, es ging alles für das Haus drauf.“

Doch die Freude währte nicht lange. „Meine Frau hat sich einen Freund gesucht und wollte sich scheiden lassen.“ Das hat ihn damals psychisch und körperlich stark mitgenommen. „Ich bin ein ganzes Jahr im Krankenhaus gelegen, musste sogar meine Angestellten entlassen.“

Seine Frau auszuzahlen und gleichzeitig die Raten für die Bank zusammenzukriegen, war nicht zu machen. „Aber die wollten natürlich ihr Geld zurück. Noch während ich im Krankenhaus war, ist mein Haus versteigert worden.“ Gerade einmal 200.000 gab es dafür. Auf den restlichen 300.000 Euro Schulden sitzt er noch immer.

Treppensturz und Operation



In die Selbstständigkeit ist Maurer nicht mehr zurückgekehrt, sondern hat sich als Angestellter über Wasser gehalten. Als er nach einem Treppensturz und einer Operation dann mit knapp 66 Jahren in Rente ging, kam die Ernüchterung: 601 Euro Rente sollte er bekommen er. Doch auf die erste Rentenzahlung musste er immerhin fünf Monate warten. Und auch wenn er das später als Nachzahlung zurückbekam, hat es ihm das Genick gebrochen. „Mein Vermieter hat mir fristlos gekündigt, weil ich schon im Rückstand war. Ich war dreieinhalb Monate obdachlos.“

Und Maurer ist verbittert: „Ich habe 50 Jahre gearbeitet, hab’ in dieser Zeit rund eine Million an Steuern bezahlt“, rechnet er vor. „Und jetzt müssen 600 Euro reichen?“ Sie reichen nicht, weshalb er zusätzlich 310 Euro aus der sogenannten Grundsicherung im Alter bekommt. Zusammen sind es also rund 900 Euro.

„Ich wüsste nicht, wie es ohne die Tafel gehen sollte“



„Ich habe jetzt ein kleines Zimmer in einem Studentenwohnheim, das mich mit Nebenkosten 505 Euro kostet. Es bleiben mir im Monat also gerade noch 400 Euro übrig.“ Große Sprünge kann er damit nicht machen. „An Lebensmitteln kaufe ich nur noch, was im Angebot ist, meine Kleidung trage ich so lange als möglich auf.“ Maurer schwimmt gern, aber er muss sich dreimal überlegen, ob er sich mal wieder eine Zehnerkarte für das Hallenbad leisten kann.

„Ich wüsste nicht, wie es ohne die Tafel gehen sollte“, sagt der heute 68-Jährige. „Durch die Lebensmittel von der Tafel hab’ ich sogar die Chance, im Sommer einmal in den Biergarten zu gehen und eine Halbe zu trinken – sonst hätte ich in meinem Leben gar keine Freude mehr.“

EK