Jetzt geht’s um die Wurst

31.08.2008 | Stand 03.12.2020, 5:38 Uhr

Frühstück am Kochlöffel: Renate Stark, Betreiberin des unteren Standes, fischt Weißwürste aus dem dampfenden Kessel.

Ingolstadt (DK) Jetzt geht’s um die Wurst. Eigentlich schon seit einer knappen Stunde. Aber jetzt so richtig, in der Zeit zwischen fünf und sechs Uhr früh. Und danach. Um die Wurst im wahrsten Sinne des Wortes.

Am zurückliegenden Samstag waren es wie zumeist und in der Mehrzahl die Nachtschwärmer, die die ungewöhnliche Szene zu noch nachtschlafender Zeit beherrschten. Aber da ging gerade auch eine besondere Nacht zu Ende. Das sieht man vielen schon an ihrem Outfit an. Denn bei den Burschen und jungen Männern ist Lederhose Trumpf, bei den Mädchen und jungen Frauen Dirndl. Mit dem Trachtengwand haben sie sich eingekleidet für den Barthelmarkt-Auftakt am Freitagnachmittag vor den Toren der Stadt im nur wenige Kilometer entfernten Oberstimm. Da jedenfalls hat für viele die Tour begonnen. Vor zehn Stunden. Vor zwölf. Vor 14. Und an ein Ende ist nicht zu denken. Jetzt schon gar nicht. So frisch gestärkt. Mit Weißwürsten. Mit Bauernwürsten. Mit Wienern. Mit einer Breze. Einer Semmel. Einem allerletzten Bier. Oder dem allerersten. An einem noch jungen Tag. In einer nicht zu Ende gehenden Nacht. Je nachdem, wann die Zeitrechnung begonnen hat.

Wie auch immer: Kathrin aus Manching und Olli aus Unsernherrn haben es sich auf jeden Fall erst einmal mit jeweils einem Paar Weißwürsten am Fuße eines der Akazienbäume auf dem Wochenmarktplatz gemütlich gemacht. Sofern man von gemütlich sprechen kann, auf dem harten Kopfsteinpflaster in der nur spärlich beleuchteten Szenerie. Olli erzählt vom Barthelmarkt und – weil es dort kurz vor Mitternacht die letzte Maß Bier gegeben hat – von den Kneipen danach in der Innenstadt, in denen er sich die Nacht um die Ohren geschlagen hat. Bis seine Freundin zum gemeinsamen Würstlfrühstück gekommen ist, um ihn danach sicher nach Hause zu bringen.

Eine ganz ähnliche Geschichte haben um diese Zeit die Jenny, der Ande, nochmal der Ande – die beide größten Wert auf das "e" am Ende ihres abgekürzten Vornamens legen – und der Tobi hinter sich. Ande Nummer eins beklagt sich gerade darüber, dass ihn die Jenny nicht mag. "Aber die will mich schon seit fünf Jahren nicht", sagt er mit einem Augenzwinkern. Dabei sieht die Wirklichkeit ganz anders aus. Denn, wenn sich die zwei – er in der Krachledernen und sie im Dirndlgwand – aneinander drücken, dann sehen sie eher aus wie ein rechtes Liebespaar.

Aber dann pressierts auch schon. Die Fahrräder werden flott gemacht. Am Hauptbahnhof will man den nächsten Zug erwischen, damit man nicht so weit nach Hause radeln muss. Derweil der Tobi – was keiner so recht glauben mag – irgendwas vom Joggen von Mailing nach Vohburg erzählt.

Überhaupt scheint es vielen um diese Zeit am unteren, an der Südseite des Platzes gegenüber dem Gasthof Anker gelegenen Würstlstand, zu pressieren. Den einen mit dem Ankommen und damit, dass sie endlich die schon heiß ersehnten Würstl bekommen. Den anderen, die sich ihre frühmorgendliche Brotzeit schon einverleibt haben, mit dem Nachhausekommen. Ein Festtag für die Taxifahrer, den ihnen der Barthelmarkt und die anschließende Würstlstand-Tour bescheren. Da bleibt gerade einmal so viel Zeit, um auch schnell eine Weiß- oder Bauernwurst gegen den Hunger der Nacht zu verdrücken. Und schon geht es weiter.

"Nackerte" gehen gut

Da hat auch Renate Stark alle Hände voll zu tun, um die frühen Gäste an ihrem Würstlstand zu bedienen. Vor allen Dingen mit den "Nackerten" und den "Auszognen". Die wie immer besonders gut gehen. Und die nichts anderes sind als Weißwürste, denen Renate Stark als besonderen Service für ihre Kunden die Haut abzieht. Soviel zur Erklärung für die, die das Ganze zum ersten Mal erleben und die aufgrund ihrer Herkunft der bayrischen Sprache nicht mächtig und mit hierzulande üblichen Bräuchen nicht so vertraut sind, wenn sie sich nicht genug wundern können über die Bestellung von "einem Paar Nackerten mit Brezen".

Auf dem Weg nach oben zum zweiten Würstlstand, der sich ebenso wie der untere als weiß-blau gestreifte Insel in der allmählich einsetzenden Morgendämmerung abzeichnet, beginnt der Platz allmählich zu leben. Die ersten Marktbeschicker sind bereits angekommen und beginnen im diffusen Licht der Tag-und-Nacht-Grenze ihre Stände für den Wochenmarkt aufzubauen.

Doch dafür hat Christian Pfafflinger, dessen Familie ebenso wie die von Renate Stark jeweils in der dritten Generation einen Würstlstand an den in der Vergangenheit verschiedenen Standorten des Ingolstädter Wochenmarks betreibt, momentan keinen Blick. Denn auch hier warten jede Menge hungriger Mägen auf das eine oder andere Paar Würstl, die Christian Pfafflinger unentwegt aus dem dampfenden Kessel fischt.

Und natürlich haben auch hier die "Nackerten" ihren großen Auftritt. Aber nicht nur die, sondern zum Beispiel auch die Kathi aus Ringsee, der Hans aus Lenting. Und die Sabine aus Manching, die ein bisschen wenig aufgedreht ist, weil sie als Fahrerin der kleinen Clique als einzige die ganze Nacht keinen Alkohol getrunken hat. Nicht auf dem Barthelmarkt, nicht in den Kneipen, Bars und Discos danach. Und auch jetzt nicht am Würstlstand. Trotzdem amüsiert sie sich genauso mit all den anderen Vögeln dieser Nacht: aus Hepberg, Etting, Großmehring, Hundszell und wer weiß woher. Von denen manch eine und manch einer im Spaß meint: "Was werd da wohl mei’ Oma sag’n, wenn s’ mi in der Zeitung drin sieht" Und die in dieser zu Ende gehenden Nacht, an diesem beginnenden Tag alle nur ein beherrschendes Thema kennen: den Barthelmarkt. Der für die meisten "super" begonnen hat. Und der für die meisten bis zum heutigen Montag "super" weitergegangen sein wird.

Der Tag ist nicht mehr aufzuhalten. Die Scheinwerfer eines Bierautos zerschneiden den Platz vorübergehend in zwei Hälften. Die Brauerei schickt Nachschub an flüssiger Nahrung für die beiden Würstlstände.

Allmählich gehen die Lichter aus. Und im Osten bahnt sich die aufsteigende Morgenröte ihren Weg. Der Vorhang nach dem ersten Akt des Wochenmarktes fällt. Der Vorhang für den nächsten Akt des Wochenmarktes öffnet sich. Von der Moritzkirche schlägt es sechs Uhr.