56 Messerstiche
Ingolstädter Staatsanwaltschaft erhebt Anklage im Doppelgängerinnenmord

31.08.2023 | Stand 12.09.2023, 22:31 Uhr

In der Ingolstädter Peisserstraße wurde der Mercedes mit der blutüberströmten Frau gefunden. Damals dachten sogar die Eltern, dass es sich bei der Toten um die Deutsch-Irakerin handele. Am Tag darauf stellte sich heraus: Die Tote ist eine ihr täuschend ähnlich sehende Frau aus Eppingen. Foto: Reiß

Nach mehr als einjähriger, akribischer Ermittlungsarbeit hat die Staatsanwaltschaft Ingolstadt im sogenannten Doppelgängerinnen-Mord jetzt am Landgericht Ingolstadt Anklage erhoben – wegen des Verdachts des gemeinschaftlich begangenen Mordes und versuchter Anstiftung zu weiteren Morden. Die beiden Angeklagten erwartet damit bei einer Verurteilung eine lebenslange Freiheitsstrafe.



Wie die Behörde am Donnerstag mitteilte, wird den beiden in Ingolstadt lebenden Beschuldigten – eine mittlerweile 24-jährige Deutsch-Irakerin und ein gleichaltriger, aus dem Kosovo stammender Mann – vorgeworfen, am 16. August 2022 gemeinschaftlich eine 23-jährige Frau aus Eppingen (Baden-Württemberg) in einem Waldstück zwischen Eppingen und Heilbronn mit einer Vielzahl von Messerstichen getötet zu haben.

Doch das ist nur ein Teil der Anklage, denn beide sollen darüber hinaus versucht haben, zu weiteren Morden anzustiften: die Deutsch-Irakerin zum Mord am Bruder des von ihr getrennt lebenden Mannes, ihr Komplize zu dem an Zeugen des Ermittlungsverfahrens.

Der Kosovare soll während der U-Haft versucht haben, einen Mithäftling zur Tötung von Zeugen zu überreden und ihm zu diesem Zweck eine Liste mit Personen übergeben und eine entsprechende Bezahlung zugesichert haben. Der Mithäftling weigerte sich jedoch, dem Auftrag nachzukommen.

Angeklagte wollte ihren Tod vortäuschen

Die Staatsanwaltschaft geht in ihrer Anklage von folgendem, vor Gericht noch zu beweisendem Sachverhalt aus: Aufgrund innerfamiliärer Streitigkeiten soll die damals 23-Jährige zusammen mit dem ihr bis dahin nur flüchtig bekannten Mann aus dem Kosovo den Entschluss gefasst haben, unterzutauchen und ihren eigenen Tod vorzutäuschen, um ein neues Leben zu beginnen.

Zwischen ihrer Familie und der ihres Mannes sei es aufgrund von Trennung und Versöhnungsversuchen zu diversen Meinungsverschiedenheiten gekommen. Offenbar habe die Beschuldigte die Beziehung fortführen wollen.

„Ein Schlichtungstreffen scheiterte jedoch wohl am Widerstand der Familie ihres Lebensgefährten“, so die Mitteilung. Die Staatsanwaltschaft verwendet den Begriff „Lebensgefährten“, denn die beiden waren nach jesidischem Recht, aber nicht nach bürgerlichem Recht verheiratet.

Ab Anfang August 2022 soll die in Ingolstadt lebende Deutsch-Irakerin versucht haben, über verschiedene Instagram-Accounts Kontakt zu ihr optisch ähnelnden jungen Frauen aufzunehmen. Sie wollte diese durch Versprechungen zu einem Treffen bewegen.

Am 9. August kontaktierte die Beschuldigte schließlich das spätere Opfer, eine Beauty-Bloggerin, um ein Treffen für eine angebliche Teilnahme an einem Musikvideo zu vereinbaren. Die 23-jährige Frau aus Eppingen war beiden Angeklagten bis dahin unbekannt, teilte die Strafverfolgungsbehörde mit.

Nachdem dieser Kontaktversuch gescheitert war, nahm die Beschuldigte nach den Ermittlungen der Behörde am 11. August nunmehr von einem anderen Instagram-Account aus erneut Kontakt zu dem späteren Opfer auf und bot der Frau eine kostenlose Behandlung in ihrem Kosmetikstudio an, für welches die 23-Jährige Werbung auf Instagram machen sollte.

Zu diesem Zweck vereinbarte die Beschuldigte ein Treffen für den 16. August und bot der 23-Jährigen aus Eppingen an, sie an ihrem Wohnort abzuholen, schildert die Staatsanwaltschaft den ermittelten Hergang.

Schlag auf den Kopf und 56 Messerstiche

Die Deutsch-Irakerin und ihr Komplize fuhren mit dem Mercedes der Beschuldigten am 16. August nach Eppingen und holten das spätere Opfer an deren Wohnort ab.

Auf der Fahrt nach Ingolstadt wurde die 23-Jährige in einem Waldstück unter einem Vorwand aus dem Auto gelockt und durch den Komplizen der Deutsch-Irakerin mit mindestens einem Schlag auf den Hinterkopf zu Boden gebracht und anschließend mit 56 Messerstichen tödlich verletzt.

Den Leichnam transportierten die beiden wie geplant nach Ingolstadt. Dort stellten sie das Fahrzeug in der Peisserstraße ab, wo es nachts von den Eltern der Beschuldigten gefunden wurde. Selbst diese glaubten zunächst, dass es sich bei der Toten um ihre Tochter handelt.

Erst am nächsten Tag wurde bekannt, dass die vermeintlich Tote lebt und als tatverdächtig gilt. Wenig später klickten die Handschellen. Der verwirrende Fall machte als „Doppelgängerinnen-Mord von Ingolstadt“ bundesweit Schlagzeilen.

„Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt geht in Anbetracht der ermittelten Tatumstände davon aus, dass die beiden Angeschuldigten aus niedrigen Beweggründen und heimtückisch handelten, so dass die gemeinschaftlich begangene Tat als Mord zu qualifizieren ist.“

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen hat die Beschuldigte bereits zuvor versucht, den Bruder ihres Mannes, von dem sie vermutete, er stünde einer Versöhnung entgegen, töten zu lassen.

Am 16. Juli 2022, auf den Tag genau vier Wochen vor dem Mord an der Beauty-Bloggerin, hat die damals 23-Jährige zu einem anderen Mann, gegen den ebenfalls ermittelt wird, Kontakt aufgenommen.

Bei mehreren Treffen soll vereinbart worden sein, dass dieser für die Summe von 10.000 Euro den Bruder ihres ehemaligen Lebensgefährten töten solle. Der Mann nahm laut Staatsanwaltschaft am 20. Juli in München 5000 Euro als Vorschuss entgegen, führte den Auftrag jedoch trotz mehrfacher, nachdrücklicher Aufforderung nicht aus, heißt es weiter.

Doch damit nicht genug: Der ebenfalls angeklagte Komplize aus dem Kosovo wird verdächtigt, während seiner Untersuchungshaft im April 2023 versucht zu haben, einen Mithäftling zur Tötung von Zeugen des Ermittlungsverfahrens zu überreden.

Die beiden sitzen seit 18. August 2022 in Untersuchungshaft. Die Deutsch-Irakerin hat den Sachverhalt, was die Anstiftung zum Mord am Bruder ihres Mannes anbelangt, weitgehend eingeräumt.

„Im Übrigen haben beide den Tatvorwurf bestritten und machen nun von ihrem Schweigerecht Gebrauch.“

Mehr als 190 Zeugen benannt

Die Staatsanwaltschaft Ingolstadt hat am 28. August Anklage beim Landgericht Ingolstadt erhoben.

Darin werden mehr als 190 Zeuginnen und Zeugen benannt. Darüber hinaus stützt die Staatsanwaltschaft den Tatnachweis unter anderem auf zahlreiche DNA-Spuren und Inhalte diverser Chatverläufe.

Über die Eröffnung des Hauptverfahrens vor dem Schwurgericht und damit über einen Termin für die Hauptverhandlung entscheidet das Landgericht Ingolstadt.