Wettbewerb
Kopf-an-Kopf-Rennen: Das „Daimona Ensemble“ gewann den Biagio-Marini-Wettbewerb

09.08.2023 | Stand 12.09.2023, 23:51 Uhr

Dichtes Zusammenspiel: Das „Daimona Ensemble“ musiziert im Neuburger Kongregationssaal. Foto: Haberl

Die Überraschung stand den Siegern deutlich ins Gesicht geschrieben. Fast schien es, als könnten sie es selbst nicht glauben, dass sie soeben den 24. Biagio-Marini-Wettbewerb für sich entschieden hatten. Überwältigt und dankbar nahm das „Daimona Ensemble“ aus Berlin den mit 2500 Euro dotierten ersten Preis aus den Händen von Neuburgs Kulturreferentin Gabriele Kaps entgegen. Letztlich war es eine sehr knappe Entscheidung. Denn alle sechs zum Finale angetretenen Ensembles aus Italien, England, Österreich, der Schweiz und Deutschland zeigten große künstlerische Qualitäten und ein äußerst hohes musikalisches Niveau. Vermutlich war es das enge, dichte, stringente Zusammenspiel der vier „Daimonas“, das die elfköpfige Jury – bestehend aus der künstlerischen Leiterin Xenia Löffler sowie den renommierten Dozentinnen und Dozenten im Bereich Alte Musik der Neuburger Sommerakademie – am meisten überzeugte.

Norddeutscher und süddeutscher Stil

Programmatisch setzte das Quartett zwei nach dem Dreißigjährigen Krieg entstandene Triosonaten zueinander in Beziehung. Den norddeutschen Stil repräsentierte diejenige in g-Moll von Dietrich Buxtehude. Die hervorragenden Musiker (Semion Gurevich/Barockvioline, Mireia Peñalver Guilleumes/Gambe, Johann Martin Krampe/Violone und Agnieszka Skorupa/Cembalo) spielten sie weich, fragil, elastisch, aber doch mit der genau richtig ausgeloteten, lebendig gewichteten Intensität.

Für die süddeutsche Schule stand Johann Philipp Kriegers Sonate in D-Dur. Hier kam der bereits zuvor durchscheinende eloquente Dialog zwischen den Streichern noch stärker zur Geltung. In wunderbarem, manchmal beinahe humorvoll-wettstreitartigem rhetorischen Austausch trat das Ensemble in wechselseitige Interaktion, agierte mit ganz eigener, drahtiger, launiger Klangfärbung, mit schillernder, spontan-durchdachter Eleganz und leichtem, bestechendem Witz.

Den zweiten, mit 1500 Euro prämierten Platz sicherte sich die seit dem letzten Jahr bestehende Formation „Barock_Plus“ aus Nürnberg, die sich dem musikalischen Rollenverständnis der Frau in der Barockzeit widmete. Zum einen anhand der „Sonata IV“ der mysteriösen „Mrs. Philharmonica“, einer namentlich unbekannten Komponistin des Spätbarock, deren Identität bis heute nicht enthüllt ist. Zum anderen anhand der mythologischen Figur der Daphne, die der Begierde und dem Werben von Gott Apollo nicht entrinnen kann. Beim anonymen „When Daphne from fair Phoebus did fly“, der instrumental dargebotenen Händel-Arie „Ardi, ardori, e preghi invano“ oder Vivaldis „La Follia“ setzte der bestens aufeinander abgestimmte Klangkörper, bestehend aus Tabea Wink und Marie Erndl (Blockflöten), Anna Maria Rudolph (Cello) und Dominik Heidl (Cembalo), gekonnt die vielseitigsten Facetten seiner Ausdruckspalette in Szene – von anmutigem Charme über grazile Schwermut bis hin zu brennend entfachtem, starkem, selbstbewusstem, ungezügeltem Furor. Die Gunst der Zuhörerschaft, nämlich den vom Förderverein gestifteten Publikumspreis in Höhe von 750 Euro, errang das erst vor wenigen Monaten gegründete Ensemble „Tra Noi“ aus dem Raum Basel für sich. Die vier Künstler, Daria Spiridonova an der Geige, Silvia Berchtold an den Blockflöten, Rafaela Salgado am Cembalo und Giulio Sanna am Violoncello, setzten sich in ihrer amüsanten, dramaturgisch punktuell gesetzten Darbietung augenzwinkernd mit dem Thema „Human (&) Nature“ auseinander, indem sie kammermusikalisch bewiesen, dass Menschheit und Fauna sich – gerade in Liebesdingen – gar nicht so sehr voneinander unterscheiden. In lichtdurchwebter, heller, durchsichtig-virtuoser Klangtextur begeisterten sie nicht nur mit einer „Ouverture“ von Giovanni Battista Buonamente, der Canzone „La Gallina“ (Die Henne) von Tarquinio Merula, einer Monteverdi-Arie im Widerstreit zwischen Freiheit und Käfig, mit irischer Folklore und einem sogar gesungenen Ausschnitt aus Purcells Oper „Dido und Aeneas“, sondern ließen auf ihren Instrumenten wie auch auf Tonpfeifen wirkungsvoll-raffiniertes Gackern, Vogelgezwitscher und sonstige Tierlaute entstehen.

Neben den Siegerformationen gingen außerdem drei weitere Gruppen ins Rennen, die alle mit gesanglicher Solistin auftraten. Auch ihre herausragenden Leistungen hätten ausnahmslos eine Auszeichnung verdient. Als einziges Ensemble im Wettbewerb fokussierte sich „Vitamin Baroque“ aus Sizilien dabei rein auf eine zusammenhängende, längere Komposition. Antonio Caldaras Kantate „Porgete per pietà“ interpretierten Sopranistin Agnese Allegra, Violinist Simone Pirri, Cembalist Nicola Benedetti und Cellist Borys Piszczatowski tatsächlich als wahre Frischzellenkur für die Seele, mit feiner Empfindsamkeit, in schwingendem Flow.

Erfrischende Bandbreite der Alte-Musik-Szene

Beim Salzburger Trio „Dolce Consonanza“ war der Name Programm: homogen abgerundet, melancholisch-subtil, farbenreich, dramatisch und spannungsgeladen ließen Mezzosopranistin Franziska Weber, Gambistin Réka Nagy und Lautenistin Sophie Esterbauer in Arien von Pierre Sandrin, Händel, Monteverdi und Giulio Caccini die unterschiedlichsten Gefühlsschattierungen der Liebe aufflammen. Vor allem die Sängerin faszinierte durch ihre Bühnenpräsenz, die sie insbesondere im überraschenden, nahtlos-fließend eingestreuten Rocksong „I will survive“ von Gloria Gaynor voll ausspielen konnte.

Ein humoristisch-komödiantisches Porträt der zu ihrer Zeit gefeierten Sängerin und Schauspielerin Kitty Clive zeichnete auf halbszenische Weise das Londoner Barock-Ensemble „Apollo’s Cabinet“ (Teresa Wrann/Blockflöten, Ella Bodeker/Sopran, Harry Buckoke/Gambe und Thomas Pickering/Cembalo) mit viel Charisma, leuchtender Wärme und bezaubernder Ausstrahlung.

Bis zuletzt ein wahrhaft spannender Kontest, der von der bunten Vielseitigkeit, der reichhaltigen Professionalität der Beiträge ebenso lebte, wie er auch die enorm erfrischende Bandbreite der aktuellen Alte-Musik-Szene vor Ohren und Augen führte.

DK