Ingolstadt
Kammerspiele: Des Dramas nächster Akt

Bürgerbegehren möglich: Freie Wähler sammeln 5700 Unterschriften gegen Standort an der Schutterstraße

09.03.2022 | Stand 23.09.2023, 2:26 Uhr

So sollen sie aussehen: Entwurf des Hamburger Architekturbüros Blauraum für die Kammerspiele an der Schutterstraße. Gegenüber liegt das 1966 eingeweihte Stadttheater, das saniert werden muss. Foto: Blauraum (Grafik)

In einer Erklärung der FW heißt es: Die über 5700 Unterschriften seien „ein Zeugnis dessen, dass viele Bürgerinnen und Bürger die Kammerspiele an diesem Ort ablehnen“ würden. „Die große Mehrheit will das einfach nicht“, schreibt der FW-Vorsitzende Franz Appel. Mitinitiator Armin Herker wird wie folgt zitiert: „Wir würden uns sehr freuen, wenn unser Oberbürgermeister diese Bürgerbeteiligung als Zeichen der Demokratie anerkennt und die Ordner persönlich entgegennehmen würde. Dies wäre ein tolles Zeichen der Wertschätzung.“

Gerade in der Corona-Zeit sei ein Bürgerbegehren keine einfache Sache, so Ralf Bauernfeind, ein ehemaliger CSU-Stadtrat. Man habe die Unterschriften „in Rekordzeit gesammelt“. Die Teams und Unterstützer des Bürgerbegehrens seien etwa sechs Wochen lang unterwegs gewesen und hätten an 20 Ständen die Unterschriften gesammelt. Herker: „Ganz spontan haben sich ganz viele Ingolstädter Bürgerinnen und Bürger enorm ins Zeug gelegt.“

OB Christian Scharpf (SPD) nahm die Mitteilung der Freien Wähler „zur Kenntnis“, wie er auf Anfrage erklärte. „Wir warten jetzt, bis die Unterschriften bei uns angekommen sind und werden sie prüfen. Dann muss das in den Stadtrat. Er fasst den Beschluss, ob ein Bürgerbegehren zulässig ist.“ Wenn ja, habe die Stadt drei Monate Zeit, die Abstimmung durchzuführen. Scharpf hält den Tonfall, den die Initiatoren anschlagen, für „beeindruckend, denn sie geben vor, für die gesamte Bevölkerung zu sprechen – das ist mutig“. Doch ein Bürgerbegehren sei „dazu da, herauszufinden, wie die Mehrheitsverhältnisse wirklich sind“.

Die Argumente für und wider den Standort Schutterstraße seien oft ausgetauscht worden, so der OB. „Jetzt müssen wir sie noch mal in der Bürgerschaft diskutieren – das ist wie Wahlkampf.“ Es überrasche ihn, dass auch bekannte Namen aus der CSU in den Reihen der Gegner des kleinen Theaters auftauchen. Die CSU-Fraktion habe diesen Bauplatz doch unter OB Christian Lösel (CSU) mit auf den Weg gebracht „und allem zugestimmt“. Scharpf: „Ich verstehe es nicht.“

Kulturreferent Gabriel Engert hat fest damit gerechnet, dass die Initiatoren des Bürgerbegehrens die nötige Zahl von Unterschriften zusammenbekommen; das lehre die Erfahrung. „Es ist aber die Frage, ob jeder genau gewusst hat, gegen was er da unterschreibt.“ Wer 5000 Unterschriften sammle, „spricht zunächst nicht für die Mehrheit der Bürger, sondern für die 5000 Unterzeichner“. Er erinnert daran, dass der Stadtrat im vergangenen Dezember „mit überwältigender Mehrheit für die Kammerspiele an der Schutterstraße gestimmt hat“. Das Ergebnis: 36 zu 11. Dagegen votierten die Fraktionen von FW und AfD sowie drei weitere Stadtratsmitglieder. Im alten Stadtrat hätten CSU und FW die Beschlüsse zum geplanten Standort meist einstimmig mitgetragen, sagt Engert. „Aber gut: Das Instrument des Bürgerentscheids gibt es.“ Er werde alles dafür tun, dass die Bürger sämtliche für ihre Entscheidung wichtigen Informationen erhalten. Ein Appell vorneweg: „Die Kammerspiele sind eine Riesenchance für die Weiterentwicklung der Innenstadt!“

Nach Angaben der Stadt soll das Projekt Kammerspiele insgesamt etwa 45 Millionen Euro kosten, davon trägt die Stadt 18 Millionen (verteilt auf vier Jahre), 27 Millionen Euro wird der Freistaat übernehmen.

Neben den Kammerspielen könnte noch ein Bürgerbegehren auf die Stadt zukommen: Das gegen die geplante Mittelschule am Augraben in Oberhaunstadt (zweiter Grünring). Wie berichtet, entscheidet das Verwaltungsgericht München demnächst über dessen Zulässigkeit. Einen Termin gibt es allerdings noch nicht.

DK



SCHÜLERIN: „EIN THEATER IST FÜR ALLE MENSCHEN DA“


Ingolstadt – Sie saß im Publikum, als der Stadtrat am 14. Dezember 2021 den Grundsatzbeschluss zum Bau der Kammerspiele an der Schutterstraße fasste: Lara-Shirin Pecjak, 17 Jahre alt, Schülerin des Katharinen-Gymnasiums (Q11) und zweite Vorsitzende des Jugendparlaments. Sie verfolgt die Debatte über das Projekt seit Langem interessiert und ist selbst um keinen Diskussionsbeitrag verlegen. Lara-Shirin Pecjak setzt sich für das neue Theater ein.

Im Stadtrat habe sie mit Bedauern erlebt, wie sich FW-Fraktionschef Hans Stachel „über die Kammerspiele empört hat“, erzählt sie. Sie befürchtet, dass die Freien Wähler nicht nur den Standort an der Schutterstraße ablehnen, sondern das gesamte Projekt, „und das ist absolut schade“. Das Bürgerbegehren „geht gegen die Kultur – und das ist damit auch ein Schuss gegen die Jugend“, denn ein Theater „ist für alle Menschen da, für alle Generationen“. Sie erinnert an die vielen Schülerinnen und Schüler jedes Alters, die Vorstellungen besuchen.

Die 17-Jährige kritisiert, „dass die Gegner die Kammerspiele als Projekt für eine Elite darstellen“. Aber das sei längst nicht mehr so. „Es ist doch Jahrhunderte her, dass Theater nur für Eliten waren!“ Sie bieten „für jeden etwas“ – nicht nur Schauspiel. „Dort finden auch Kunstausstellungen statt“, sagt die Schülerin, oder Matinees, Diskussionsrunden und viele weitere gesellschaftliche Begegnungen. Die Standortdebatte „geht an der Grundidee eines Theaters vorbei und ist deshalb unnötig“. Die Kammerspiele als neues Kleines Haus des Stadttheaters „sind auch für die Jugend wichtig“, so Lara-Shirin Pecjak. „Wir im Jugendparlament freuen uns drauf!“

sic