Schulstart am Dienstag
Ingolstädter BLLV-Kreisvorsitzende Karin Leibl: „Schulen sind im Ausnahmezustand“

11.09.2023 | Stand 12.09.2023, 15:33 Uhr

Die Schule geht am Dienstag wieder los. BLLV-Vorsitzende Karin Leibl über Lehrermangel, Quereinsteiger und das „Stiefkind des Schulsystems“. Foto: IMAGO/Bihlmayerfotografie

Am Dienstag beginnt für Tausende von Schülerinnen und Schülern in Ingolstadt wieder die Schule. Doch was erwartet sie? Karin Leibl, die Kreisvorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands in Ingolstadt, sagt: „Die Schulen in Bayern sind seit Jahren in einem Ausnahmezustand. Eine Krise folgt auf die nächste.“



Auf Anfrage unserer Zeitung analysiert sie die Lage und scheut sich nicht vor deutlichen Worten: „Der Lehrermangel wird uns noch viele Jahre begleiten. Die Kolleginnen und Kollegen vor Ort sind am Limit.“ 2020 wurden die sogenannten Notmaßnahmen für Grund-, Mittel- und Förderschulen sowie Fachlehrkräfte eingeführt. Diese brachten laut Leibl nicht den erhofften Effekt. Wie auch?, fragt sie. Die Kolleginnen und Kollegen erkrankten, wurden reihenweise dienstunfähig pensioniert oder begrenzt dienstfähig. Jedes Jahr, jede Woche berate sie Lehrkräfte, die nicht mehr können. Die aber die Kinder und die Schulleitungen nicht im Stich lassen wollen.

Ohne Quereinsteiger keine Förderung



Die werden nun durch verschiedene andere Gruppen ersetzt, so Leibl: Substitutionslehrkräfte, Nachrücker, Drittkräfte, Schulassistenzen, Kräfte im Rahmen von gemeinsam.Brücken.bauen, Quereinsteiger und noch weitere. Ohne diese Kräfte könnte der Unterricht nicht gewährleistet werden und vor allen Dingen könnten die Kinder, die sie dringend brauchen, keine Förderung erhalten.

Die Kernmannschaft, also die ausgebildeten Lehrkräfte, sei damit beschäftigt, die anderen Professionen an die Hand zu nehmen und in die Arbeit einzuführen, teilt Leibl mit. „Das schlaucht zusätzlich.“ Viele Lehrkräfte sagen, sie wollen einfach nur in Ruhe unterrichten und ihre Arbeit machen.

Das Kultusministerium hat für den Oktober wieder die Woche der Nachhaltigkeit anberaumt, berichtet Leibl. Eine Projektwoche jetzt in diesen turbulenten Zeiten, wo die Verantwortlichen nicht wissen, wie sich die Lehrkräfteversorgung entwickelt? Und konterkariert sich eine Woche der Nachhaltigkeit nicht schon im Titel?

Mittelschule ist das Stiefkind



Lobenswert ist aus Leibls Sicht, dass das Ministerium im Bereich der Gymnasien nachhaltige Personalpolitik betreibe. Wissend, dass spätestens 2026 alle ausgebildeten Lehrkräfte dringend gebraucht werden, stellt man schon seit letztem Jahr „über den Durst“ ein. „Das ist das erste Mal, seit ich denken kann, dass so vorausschauend geplant wird.“ Bislang habe man die Kolleginnen und Kollegen auf Wartelisten gesetzt und dadurch viele an die Wirtschaft verloren.

„Ich selbst arbeitete als arbeitslose Lehrerin als Sekretärin bei Audi und bekam ein recht lukratives unbefristetes Angebot“, erzählt sie. Zeitgleich habe sie für ein halbes Jahr einen Aushilfsvertrag an der Mittelschule angeboten bekommen. Eigentlich sei es „dumm“ gewesen, sich für die Schule zu entscheiden, sagt sie heute rückblickend.

Die Abschaffung des Numerus Clausus für das Studium für Lehramt an Grundschulen ist für sie eine nachhaltige Lösung, um dem Lehrermangel in der Grundschule Herr zu werden. Lobenswert sei auch, dass die genannten Aushilfskräfte heuer schon im Juni/Juli für das kommende Schuljahr eingestellt wurden. Das bedeutet: Die Sommerferien wurden bezahlt. Was ihr mehr Sorge bereite, seien die Studierenden, die in den Schulen aushelfen. Denn die Zeit des Unterrichtens gehe ja von der Studienzeit weg.

Ihre eigene Schulart, die Mittelschule, beschreibt Leibl immer noch als das „Stiefkind des Schulsystems“. Wie soll es auch anders sein?, fragt sie. Die geringsten Studierendenzahlen. Kein Arbeitszeitkonto, weil man nicht wisse, wie man jemals den Lehrkräften die Stunden zurückgeben könne, weil über Jahrzehnte ein Lehrermangel gesehen werde. Die schwerwiegendste pädagogische Arbeit, weil man in den Jahrgangsstufen fünf und sechs die Kinder aufbaut, die es „nicht geschafft haben“ und in den übrigen dann die, die aus anderen Schularten zurück kommen. An keiner anderen weiterführenden Schule werde Inklusion intensiver betrieben. Und an keiner anderen weiterführenden Schule werden mehr Geflüchtete oder Migranten aufgefangen. „Die Lehrkräfte machen das, machen es gerne und machen es gut.“ Und weiter: „Wir sind in Ingolstadt auch weiter als im ländlichen Raum, weil wir ja seit den späten 1980er-Jahren Konzepte in den damaligen Hauptschulen entwickelten. Hier sind Vollblutpädagogen. Wir geben alles. Aber halt nur, so weit unsere Kräfte ausreichen.“ Leibl schließt darin auch die Schulleitungen ein. Was hier jongliert worden sei, um am Dienstag starten zu können, das verdiene Bewunderung und Anerkennung.

Quereinsteiger



Bei Quereinsteigern gibt es zum einen diejenigen, die „Sondermaßnahme“ absolvieren. Das sind Personen mit einem Masterabschluss, die ein zweijähriges Referendariat mit zusätzlichen pädagogischen Fortbildungen machen und sich so professionell qualifizieren. Für die Ingolstädter BLLV-Kreisvorsitzende Karin Leibl eine Bereicherung. Solche Maßnahmen gibt es für Mittelschulen und gewisse Fächerkombinationen der Realschulen, Gymnasien und Beruflichen Schulen. Für Grundschulen, Mittelschulen und Förderschulen gibt es außerdem die Zweitqualifikation für die Absolventen anderer Lehrämter. Aber niemand könne wollen, dass in Zeiten des Lehrermangels die Schularten sich die Lehrkräfte gegenseitig abwerben, so Leibl.

Die anderen Quereinsteiger sind Personen, die zwei Jahre als angestellte Lehrkräfte arbeiteten, dann entfristet wurden und sich durch ein sogenanntes Trainee-Programm die Lehramtsbefähigung erwerben. Der BLLV sieht das äußerst kritisch und befürchtet eine Entprofessionalisierung des Berufs. Leibl: „Warum soll jemand ein Staatsexamen machen, wenn ein Master reicht? Warum soll jemand den Vorbereitungsdienst machen, wenn ein Trainee-Programm reicht?“

DK