Hommage an die Frauen

Ausstellung, Performance, Konzert: Großer Andrang bei der Eröffnung des Ingolstädter Fem*Festivals

05.03.2023 | Stand 17.09.2023, 1:27 Uhr

Impressionen vom Festivalstart: Maria Odilia Ostertag-Allwicher präsentiert in der Kulturhalle P3 ihre Ausstellung „Die berühmten Frauen der Banknoten“. Foto: Weinretter

Von Anja Witzke

Ingolstadt – Am Anfang stehen Zahlen. Zahlen, die deutlich machen, dass bei der Gleichstellung der Geschlechter noch vieles im Argen liegt. Beispiel: Gender Pay Gap, das besagt, dass Frauen in Deutschland pro Stunde durchschnittlich 18 Prozent weniger verdienen als Männer – und in Ingolstadt sogar 36 Prozent. Oder Politik: In keinem Parlament in Deutschland sind Frauen und Männer gleichberechtigt vertreten. Gerade mal 31 Prozent beträgt der Anteil der Frauen im Bundestag, 27 Prozent im Landtag und 27 Prozent auch im Ingolstädter Stadtrat. Die Liste ließe sich beliebig fortführen. „Es ist egal, wie gleichberechtigt sich eine Frau fühlt – faktisch ist sie es nicht“, sagt Barbara Deimel, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Ingolstadt. Und ihre Kollegin Anja Assenbaum fügt an, wie schwer es den Frauen über Jahrhunderte hinweg gemacht wurde, in Wissenschaft, Politik oder Sport Fuß zu fassen oder erfolgreich zu sein. „Man hat Dinge erfunden, um Frauen Macht zu nehmen“, sagt sie. Frauen seien in allen Bereichen oft genauso aktiv wie Männer, „aber sie sind nicht sichtbar“.

Das neue Fem*Festival, ein Kooperationsprojekt von Gleichstellungsstelle und Kulturamt Ingolstadt, soll dafür ein gesellschaftliches Bewusstsein schaffen. 25 Jahre lang hatte man stets im Herbst mit der Reihe „Der Oktober ist eine Frau“ Schlaglichter auf Stellung und Werk von Frauen in Kunst und Kultur geworfen. Doch in diesem Vierteljahrhundert hätten sich die Fragestellungen im Bereich Feminismus, Gender und Diversity weiterentwickelt, erklärt Kulturreferent Gabriel Engert am Freitagabend bei der Eröffnung des Festivals. Das neue Fem*Festival füge dem Schwerpunkt weibliches Kulturschaffen eine diskursive Ebene hinzu.

Rund um den Internationalen Frauentag und den Equal Pay Day stellt das Festival nun bis 12. März spannende Protagonistinnen der Kunst- und Kulturszene vor, gibt es Vorträge, eine Podiumsdiskussion und Workshops. Am Eröffnungsabend ist das Interesse groß. „Man sieht an der Resonanz, dass das Thema wirklich relevant ist“, sagt 2. Bürgermeisterin Dorothea Deneke-Stoll (CSU) in ihrer Begrüßung.

Vor allem Frauen sieht man in der Kulturhalle P3. Mit ernsten Gesichtern blicken sie von den Wänden: die Heilige Agnes von Böhmen, Dido, die Gründerin Karthagos, die deutsche Schriftstellerin, Zeichnerin und Komponistin Bettina von Arnim, die australische Opernsängerin Nellie Melba oder die österreichische Soziologin, Philosophin, Schriftstellerin und Malerin Rosa Mayreder. 108 Frauenporträts sind es insgesamt, die da in Neuner-Gruppen im Format 17 mal 17 Zentimeter auf zwölf Tafeln versammelt sind. Jede von ihnen hat Außergewöhnliches geleistet. Über einen QR-Code lassen sich ihre Biografien abfragen. Die Schweizerin Maria Odilia Ostertag-Allwicher bereitet ihnen in ihrem Ausstellungsprojekt „Die berühmten Frauen der Banknoten“ eine Bühne, präsentiert ihre Porträts, erzählt ihre Geschichten, die von Mut, Engagement, Erfindungsreichtum und Rebellion handeln. Und oft genug auch von Repression und Tod. „Viele waren Pionierinnen“, sagt die Künstlerin. „Die Ausstellung ist meine Hommage an die Frauen.“

Schon während der Reden werden die einzelnen Porträts an die Wand projiziert. Und als Hanna Sikasa, Jules und Nadja Lea Letzgus die Bühne betreten, schaffen die historischen Frauen den perfekten Hintergrund für das musikalische Programm. Denn Hanna Sikasa hat – inspiriert durch Maria Odilia Ostertag-Allwichers Projekt – Stücke über sie geschrieben, die die Musikerinnen an Keys und Gitarre nun vortragen. Songs, die zwischen Soul, Pop und R’n’B changieren, mal wehmütig klingen, mal trotzig. Und von unterschiedlichen Lebenswegen erzählen.

Und zwischendrin schwirrt ein Bienenvolk – in Zeitlupe. „ORO“ hat das Münchner Kunstkollektiv „Die Villa“ seine Performance zur Festivaleröffnung genannt. Schweigend und in höchster Konzentration verrichten Tanja Hirschfeld, Cendra Polsner, Katja Brenner, Samantha Mariuzzi und Sabine Magnet dabei ihre Tätigkeiten, umrunden wieder und wieder eine riesige Tafel, verteilen kleine Zettel darauf, schöpfen mit großen Kellen Wachs auf die Fläche, das in Töpfen brodelt. „Unser Anliegen ist, Arbeitsprozesse sichtbar zu machen, weil oft und gerade in der Kunst nur das Werk im Vordergrund steht, der Wert nur dem Resultat zugeschrieben wird, während die Arbeit unsichtbar bleibt“, sagt Cendra Polsner. „Frauen leisten viel Care-Arbeit, viel emotionale Arbeit in Familie und Gesellschaft, die aber nicht sichtbar ist.“ Die Performance will den Blick auf solche Arbeitsprozesse lenken. Das Material Wachs ist dabei nicht nur Heilmittel, Kosmetik und Lichtquelle, es nährt und konserviert auch.

Schicht um Schicht werden die Papierstreifen mit Zustandsbeschreibungen, Hoffnungen, Wünschen von Frauen in dieses Wachs eingegossen. Ein Teil verschwindet in der Masse, ein Teil bleibt als handschriftliche Fossilien sichtbar. Es geht um die Energie, mit der das Werk aufgeladen wird. „Fleiß hat keinen Wert“ kann man da beispielsweise lesen. Oder „S.O.S. an alle Mädchen“. Oder „Königinnenschaft für alle“. Denn in „ORO“ – der Begriff spielt einerseits auf die goldgelbe Wachsfarbe an, andererseits auf das Lateinische „Ich bete“ – sind alle gleich, wechseln Arbeiterin und Königin die Plätze, die Aufgaben. „Wir sind ein egalitäres Volk“, sagt Cendra Polsner und lacht. „Das ist auch aus dem Geist unseres Kollektivs entstanden. Wir kommen aus völlig verschiedenen Genres. Da ist das Kollektiv immer auch ein Freiraum sich auszuprobieren.“

525 Kilo Wachs haben die fünf Performerinnen nach Ingolstadt mitgebracht. Solange die Ausstellung läuft, wird dieses Wachs im extrem verlangsamten Arbeitsritual weiterhin aufgetragen. Schicht um Schicht. Die riesige Wachstafel, die dabei entsteht, wird zum Dokument einer sonst temporären, vergänglichen Performance – und im Kunstschaffen der „Villa“ weiter Verwendung finden.

DK


Kulturhalle P3, Peisserstraße 3, Ausstellung „Die berühmten Frauen der Banknoten“, bis 26. März, Do bis So, 14 bis 18 Uhr.