Ingolstadt
Große Emotionen, feine Ästhetik

Trompeter Reinhold Friedrich und Pianistin Eriko Takezawa musizierten mit dem Georgischen Kammerorchester

15.01.2023 | Stand 17.09.2023, 5:27 Uhr

Die estnische Dirigentin Anu Tali war am Pult des Georgischen Kammerorchesters im Ingolstädter Festsaal zu erleben. Foto: Schaffer

Von Heike Haberl

Ingolstadt – Dass dieses Konzert tatsächlich stattfinden konnte, grenzt an ein kleines Wunder: Während der Generalprobe fiel eines der sechs Instrumente zu Boden, mit denen Trompeter Reinhold Friedrich das zeitgenössische Werk „Listen to our cry“ von Benjamin Yusupov zu bestreiten hat. Ein Ventil blockierte komplett, und nur eine kurzfristige Fahrt nach München zur Reparatur konnte den Auftritt retten. Was für ein Glück – denn sonst wäre dem Publikum eine hochemotionale, zutiefst erschütternde Musik entgangen, die der extra aus Tel Aviv angereiste Komponist dem Solisten sowie seiner Frau Eriko Takezawa am Klavier persönlich auf den Leib geschrieben hat.

Gleich zu Anfang ließ Friedrich den gellend ausgezierten Ruf des Schofars, eines Antilopen-Horns, in den Festsaal erschallen, mit dem traditionell der Kantor die Gemeinde zum jüdischen Neujahrsfest zusammenholt. So verdichtete sich eine biblisch konnotierte, klangsemantische Ausdeutung des Bußpsalms Davids, eine „symbolträchtige Geste gegen ideologisch verblendeten Fanatismus“, wie es treffend im Programmheft hieß.

Stimmungswandlerisch, gefühlsnah, ausdrucksflexibel und technisch enorm vielseitig versiert schöpfte Reinhold Friedrich imposant aus dem Vollen seines vor ihm aufgebauten Arsenals an Trompeten (inklusive Flügelhorn), intonierte einen Klagegesang, der aus der Schoah kommen könnte, imitierte muezzinartige Rufe. Alles gipfelte in einer kämpferischen, lautstark ausgetragenen Schlacht – und dann wieder in Klängen, welche entfernt an Johann Sebastian Bach erinnerten und die er an seinem Instrument regelrecht entzwei schlug, nur damit sie nie aufhören, immer wiederkehren sollten.

Bei allen signifikanten Solopassagen der Trompete kommt in diesem weitreichend empfundenen Doppelkonzert dem Flügel eine ähnlich exponierte Rolle zu. Pianistin Eriko Takezawa verkörperte hier eindrücklich hingebungsvoll, tiefgründig erspürt die Stimme des Menschen, alles, was jene heftigen, widerstreitenden Kontraste in ihm auslösen: Seine verzweifelt hämmernden Schreie, aber auch die ruhige, sanfte Innerlichkeit der Gefühle, des Weinens, der Gebete. Eine aufwühlende Reise ins Innere der drei Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam, ein Versöhnungsappell in Gestalt eines eindringlich geformten Plädoyers für die Völkerverständigung. Musikalisch ganz ohne Kitsch ausgedrückt. Großer, verdienter Beifall.

Gänzlich anderen Gestus atmete hingegen Leopold Mozarts Trompetenkonzert in D-Dur. Die estnische Dirigentin Anu Tali, insbesondere bekannt für Aufführungen von Neuer Musik, beherrschte in ihrer charismatischen Ausstrahlung am Pult zugleich souverän die historisch informierte Interpretation von frühklassischen Stücken. Die damalige Aufführungspraxis übertrug sie gekonnt auf die heutige Zeit, fand damit sofort den direkten Draht zu Friedrich, zu seiner Partnerin Takezawa (nun am Cembalo) und dem Georgischen Kammerorchester (GKO), vereinte alle Beteiligten apart zu einer gemeinsamen Linie.

Diese charmante zweisätzige Komposition gab Friedrich nicht, wie man vielleicht annehmen könnte, originalgetreu auf einer Naturtrompete zum Besten, sondern auf der Piccolotrompete – korrespondierend zu den Streichinstrumenten des GKO, die nicht mit Darmsaiten bespannt sind. Mit hörbar und sichtbar leuchtender Begeisterungsfreude spielte der Künstler seine exzellenten lyrischen und meisterhaft virtuos-brillierenden Qualitäten, die geschliffene Erlesenheit, den luftigen Glanz der Tongebung kunstvoll aus, brachte die melodischen Phrasen in nahezu barock anmutender Pracht festlich zum Strahlen, ohne dabei in übertriebenen Prunk abzudriften. Seine obligatorische Zugabe, das bezaubernde Andante aus dem Konzert in Es-Dur von Haydn, bot der Trompetenmagier auf einem neuen, eigens für ihn gebauten, vergoldeten Instrument dar – als Vorgeschmack auf die im Anschluss erklingende finale Sinfonie Nr. 104.

Doch eröffnet worden war der Abend zunächst spirituell, mit Arvo Pärts „Fratres“ für Streichorchester und Schlagzeug. Den in zurückhaltender Reduziertheit sich entfaltenden, meditativ an- und abschwellenden Klangstrom, getragen von bordunhaften Haltetönen, gestalteten die Musiker sowie die in wacher Subtilität zu Werke gehende Perkussionistin mit minimalistisch-repetitiv entwickeltem Duktus, mit ätherischem Fluss, wie luzide, transparente Spektren eines lichtreflektierenden Prismas. Anu Tali dirigierte das ausgesprochen klar, ausdrucksbezogen und geschmeidig, arbeitete feinste Veränderungen detailliert heraus. Wunderschöne, schwebende, ungemein ästhetisch präsentierte Musik, die sich wie Balsam auf die Seele legte.

Zum krönenden Abschluss die bereits erwähnte letzte Haydn-Sinfonie: Das durch einen hervorragenden Bläserapparat erweiterte Orchester musizierte dieses herrliche symphonische Vermächtnis in samtiger Fülle, sattem Klangreichtum, majestätischem Auftrumpfen, schwungvoller Frische, aber auch mit anmutiger Kantabilität, geistreichem Esprit und graziler Leichtigkeit. Dirigentin Anu Tali nahm die Sätze äußerst energetisch, agierte fast tänzerisch, ließ sowohl die dynamischen Gegensätze als auch jede einzelne reizvolle Phrase präzise durchartikulieren. Zugleich spannte sie jedoch – bis hin zu genauestens gesetzten Abwinkbewegungen – die Bögen über das große, allumfassende Ganze von Haydns Gipfel-Synthese seiner formvollendeten Kompositionskunst.

Ein epochenübergreifender, stilistisch vielfältiger Abend, ein Wechselbad der Emotionen, das bewies, dass es keine Rolle spielt, ob ein Klangkörper von einem Mann oder einer Frau geleitet wird. Entscheidend ist allein das künstlerische Niveau der Impulsvorlagen, der Schwingungen, die vom Taktstock ausgehen. Und die zeugten in diesem weiblichen Fall von hohem Format!

DK