Ingolstadt
„Eltern, Kinder und Lehrer müssen darunter leiden“

BLLV-Kreisvorsitzende Karin Leibl über den akuten Pädagogen-Mangel an den Schulen

04.08.2022 | Stand 22.09.2023, 20:20 Uhr
Timo Schoch

Die BLLV-Vorsitzende Karin Leibl. Foto: privat

Es knarzt an allen Ecken und Enden: Viele Branchen beklagen aktuell einen akuten Fachkräftemangel. Auch bei den Lehrern sieht die Situation ähnlich aus. Um den Bedarf an den Schulen zu decken, verschickt das bayerische Kultusministerium nun einen sogenannten Werkzeugkoffer.

Damit sollen die Lücken für das kommende Schuljahr gestopft werden. Was es damit auf sich hat, welche Hürden und Probleme es gibt, hat Karin Leibl, die Kreisvorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV) und Personalratsvorsitzende der Lehrerinnen und Lehrer an den Ingolstädter Grund- und Mittelschulen, verraten.

Viele Lehrer bewerten die im Raum stehenden Pläne des Ministeriums als Katastrophe.
Karin Leibl: Es wird einen Werkzeugkoffer des Ministeriums geben, um diesen Mangel zu bewältigen. Dazu zählt beispielsweise: Man telefoniert Lehramtsanwärter und neue Probezeitbeamte in Ingolstadt ab, ob sie wirklich den Dienst antreten, sucht Nachrücker, versucht Studierende, Pensionisten und Willkommenskräfte für ukrainische Kinder zu rekrutieren und zu gewinnen. Aber es sind natürlich nicht unendlich viele Bewerber und Kandidaten da. In Ingolstadt gab es beispielsweise bereits eine Rundmail an Schulen, dass man wahrscheinlich Lehrer innerhalb der Stadt versetzen muss, um den aktuellen Bedarf zu decken. Der Lehrermangel wird trotzdem bleiben.

Mit welchen Folgen?

Leibl: Also wird es wohl eine Konzentration auf die Kernfächer geben, größere Klassen etc. Die größte Hürde ist jedoch: Die Förderung fällt aus. Das ist in der Regel der erste Schritt bei Lehrermangel. Gerade Ingolstadt hat an den Grund- und Mittelschulen natürlich besonders viele Kinder mit Förderbedarf und Migrationshintergrund – wobei natürlich Kinder mit Förderbedarf häufig die Förderschulen besuchen. Dort herrschen allerdings ähnlich prekäre Bedingungen.

Was heißt das konkret?
Leibl: Aus dem Unterricht wurden bislang einzelne Kinder herausgenommen, die individuell gefördert werden. Im Vertretungsfall wird dies meist als erstes gestrichen. Das bedeutet: Gerade diese Kinder, die in unsere Gesellschaft integriert werden müssten, fallen hinten runter. Das hat man bereits während der Corona-Pandemie bemerkt. Mit dem Lehrermangel potenziert sich das. Da dazu wohl noch Klassen zusammengelegt werden müssen, haben die Lehrer nicht mehr die Ressourcen, sich um die Kinder einzeln zu kümmern.

Sehen Sie aufgrund des Lehrermangels aktuell eine Alternative dazu?
Leibl: Man hätte natürlich früher reagieren können. Der Kultusminister sagt aber zurecht, dass er dieses Problem geerbt hat, denn aktuell kann man nicht viel mehr machen, weil keine Lehrer da sind. Insgesamt würde es helfen, das Lehramt attraktiver zu gestalten, sodass mehr Bewerber da sind. Das hieße dann: gleiche Besoldung für alle Schularten, plus bessere Arbeitsbedingungen. Die Sondermaßnahmen (Ausbildung von Masterabsolventen) sind eine gute Möglichkeit. Problem: Die meisten Lehrer werden in Oberbayern gebraucht, die Bewerber aus Oberbayern müssen aber in anderen Regierungsbezirken die Ausbildung machen. Das führt wiederum zu Abbrüchen – wieder weniger Lehrkräfte.

Aber das würde aktuell nur langfristig helfen.
Leibl: Natürlich verstehe ich, dass man haushälterisch denken muss und in Zeiten des Überflusses nicht mehr Lehrer einstellen möchte. Aber der richtige Vorgang wäre eigentlich: Man müsste auch einmal über den Bedarf einstellen, um genau auf solche, teilweise unvorhergesehenen Probleme wie der Flüchtlingskrise aus der Ukraine, reagieren zu können. Natürlich hofft das Ministerium in Bezug auf die Ukraine-Kinder, dass sich diese Krise schnell löst, weshalb man auf Sicht fährt. Doch in der aktuellen Situation hilft uns das wenig. Der Mangel ist da und die Eltern, Kinder und Lehrer müssen nun darunter leiden.

Das Gespräch führteTimo Schoch

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