Er pfiff das DEL-Finale 2014
Eishockey-Profischiedsrichter Daniel Piechaczek: „In der Schweiz geht es gesitteter zu“

07.05.2024 | Stand 07.05.2024, 6:00 Uhr

Redebedarf: Referee Daniel Piechaczek (Mitte, Nummer 24) erklärt in einem Halbfinalduell 2024 zwischen Zürich und Zug eine Entscheidung. Foto: Imago Images

Bern statt Berlin, Davos statt Düsseldorf und Ambri-Piotta statt Augsburger Panther: Eishockey-Schiedsrichter Daniel Piechaczek aus Landsberg am Lech pfeift seit Corona in der Schweiz.

In der abgelaufenen Saison leitete der 49-Jährige inklusive Vorbereitung stolze 74 Spiele. Ein Gespräch über Fehler, Mitleid, „Schiri-Opas“ und warum die Schweiz in vielen Dingen gegenüber Deutschland die Nase vorn hat.

Herr Piechaczek, nach rund 13 Jahren als Profischiedsrichter in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) pfeifen Sie seit 2020 in der Schweiz. Welche Berührungspunkte haben Sie noch mit dem deutschen Eishockey?
Daniel Piechaczek: Im August 2023 habe ich ein Testspiel zwischen Langnau und Augsburg in Kreuzlingen am Bodensee geleitet. Da war das Erstaunen groß bei den zahlreichen Panther-Fans, als vor dem Spiel mein Name durchgesagt wurde. Es gab sogar einen kurzen Gesang, bei dem sie meinen Namen gerufen haben (lacht). Das hat mich gefreut, dass man nicht in Vergessenheit geraten ist.

Wo liegen die Unterschiede zwischen der DEL und der Schweizer National League?
Piechaczek: Eigentlich sind die gar nicht so groß. Vielleicht ist in der DEL das Showelement, das man aus der NHL kennt, etwas wichtiger. In der Schweiz probiert man, den Sport mehr in den Vordergrund zu stellen. Das spielerische Niveau ist einen Tick höher, weil sie „nur“ sechs Ausländer auf dem Spielberichtsbogen haben dürfen. Die sind dann im Normalfall richtig stark. Das ist schon beeindruckend, was die aufs Eis zaubern.

Ist dort das Publikum auch etwas fachkundiger?
Piechaczek: Würde ich schon sagen. In der Schweiz steht das Eishockey mit dem Fußball auf einer Stufe. Jeder Spieltag wird beim Pay-TV-Sender MySports analysiert – ähnlich wie in der Sportschau die deutsche Fußball-Bundesliga. Dort nehmen auch ehemalige Schiedsrichter Stellung zu Entscheidungen und Spielszenen. Dadurch wird das Regelwerk gut erklärt, der Fan wird abgeholt. Das ist in Deutschland so noch nicht gegeben.

Mehr Verständnis für Referees in der Schweiz

In der DEL werden die Schiedsrichter teils heftig angegangen. Nürnbergs damaliger Geldgeber Thomas Sabo wütete in den Play-offs 2018 beispielsweise, es grenze „fast schon an Geschäftsschädigung“, einen Schiedsrichter wie Piechaczek pfeifen zu lassen. Trifft Sie sowas? Und wie ist der Umgangston in der Schweiz?
Piechaczek: Kritik geht nicht spurlos an einem vorüber, aber sie gehört dazu. In der Schweiz geht es gesitteter zu. Ich denke, dass durch die eben erwähnten TV-Experten mehr Verständnis für die Schiedsrichter herrscht. Wenn man die Sicht des Unparteiischen erklärt bekommt, lösen sich viele Fragen auf, die Entscheidungen werden nachvollziehbarer. In Deutschland werden – so vermute ich – die Fans eher im Unklaren gelassen. Da gehört natürlich auch Manpower dazu, den Fan aufzuklären, warum der Schiedsrichter so oder so entschieden hat. Auch da hat die Schweiz die Nase vorne.

Bekommen Sie es mit, wenn ein DEL-Referee wie Roman Gofman durch umstrittene Entscheidungen in die Kritik gerät?
Piechaczek: Das bekommt man definitiv mit. Wer den Job mal gemacht hat, weiß, dass man – mal mehr, mal weniger – in solche Situationen kommt. Es gibt einfach Graubereiche, in denen man Argumente für und wider finden kann. Da hat man Mitleid mit den Kollegen und kann sich gut in sie hineinversetzen. Das wünscht man keinem.

Haben Sie es in der Schweiz auch erlebt, dass Sie nach einem Fehler am Pranger standen?
Piechaczek: Am Pranger nicht, aber ich habe auch Situationen erlebt, in denen man anders hätte entscheiden können oder müssen. Ich erinnere mich an ein Spiel in Fribourg. Da verschob der Goalie von Lugano das Tor, und ein Fribourg-Spieler schoss den Puck dorthin, wo eigentlich das Tor gestanden wäre. Ich gab dem Lugano-Torwart zwei Minuten Strafzeit, dabei hätte ich laut der neuen Interpretationen des Regelwerks auf technisches Tor entscheiden müssen. Da ärgert man sich schon, auch wenn es nicht spielentscheidend war.

Wie hoch ist Ihr Verdienst? Gibt es ein Grundgehalt und zusätzlich eine Pauschale pro Spiel?
Piechaczek: Die Profischiedsrichter haben unterschiedliche Verträge. Ich bekomme ein Grundgehalt und einen Tagessatz. Es ist nicht überragend, aber auch nicht schlecht (lacht).

Rückkehr in die DEL nicht ausgeschlossen

Auch der Erdinger Lukas Kohlmüller pfeift inzwischen in der Schweiz. Ist es nicht kurios, dass die DEL wegen des Mangels an qualifizierten Schiedsrichtern ausländische Referees importieren muss und zugleich zwei der besten deutschen Schiedsrichter in der Schweiz unterwegs sind? Ist die DEL selber schuld, dass sie Ihren Vertrag während Corona nicht verlängert hat?
Piechaczek: Ich würde nicht von Schuld sprechen. Bei mir hat sich das so ergeben, dass mein Vertrag zu der Zeit ausgelaufen ist. Die Schweiz hat ihre Saison trotz Corona regulär begonnen, in Deutschland dauerte es bis Dezember. Ich habe dann in der Schweiz angefragt, ob ich dort aushilfsweise pfeifen darf. Die Schweizer haben mein Angebot gerne angenommen, und als es in Deutschland wieder losging, wollten sie mich behalten. Ich war 13 Jahre lang Profischiedsrichter in Deutschland, da bietet man natürlich eine Angriffsfläche. Das liegt in der Natur der Sache. Es war okay, dass ich meinen Horizont erweitern und „unbelastet“ neu anfangen konnte. Ich fühle mich sehr wohl und bin den Schweizern dankbar für die Chance.

Also hegen Sie gegenüber der DEL keinen Groll.
Piechaczek: Nein, überhaupt nicht. Vielleicht geht die Tür in die DEL ja noch mal auf. Wer weiß, was die Zukunft bringt.

Sie werden zum Start der kommenden Saison 50 Jahre alt sein und sind mit Daniel Stricker der Senior der Schweizer Profireferees – wie lange möchten Sie noch Spiele leiten?
Piechaczek: Ich habe einen unbefristeten Vertrag, der immer am Ende einer Saison gekündigt werden kann. Die kommende Spielzeit bin ich definitiv noch in der Schweiz. Daniel und ich sind die „Schiri-Opas“ (lacht). Früher gab es eine Altersgrenze, da musste man mit 50 aufhören. Jetzt ist das anders. Natürlich bin ich nicht mehr so schnell wie früher, aber ich investiere sehr viel Zeit in meine körperliche Fitness. Die ist mein Kapital. Auch kann ich mit meiner Erfahrung einiges wettmachen. Noch macht es mir Spaß.

ZUR PERSON

Daniel Piechaczek (49) pfeift seit 25 Jahren Eishockey-Spiele. Von 2007 bis 2020 war er Profischiedsrichter in der DEL, seitdem in der Schweiz. Der Landsberger leitete Spiele bei Olympia 2014 und neun WM-Turnieren. Piechaczek war zudem bei zwei Champions-League-Endspielen und mehreren DEL-Finalserien im Einsatz – so pfiff er 2014 sechs der sieben Finals zwischen dem ERC Ingolstadt und den Kölner Haien (fünf mit dem heutigen DEL-Schiedsrichterchef Lars Brüggemann).