Geheimnis lüften
Die Ursprünge der Lentinger Mondsichelmadonna durch kunsthistorische Detektivarbeit aufgedeckt

27.05.2023 | Stand 16.09.2023, 21:21 Uhr

Eine Rekonstruktion des Spätgotischen Retabel-Altars St. Nikolaus-Kirche Lenting. Foto: Weyergraf-Streit

Der kleine Ort Lenting hat eine reiche Geschichte. Ein Beispiel dafür bot der kürzlich vom Geschichtskreis Lenting organisierte Vortrag im Pfarrsaal.

Der renommierte Theologe und Künstler Stefan Weyergraf-Streit teilte dabei seine Erkenntnisse über die Mondsichelmadonna in der Kirche St. Nikolaus mit. Rund 30 Gästen versprach der Vortrag, interessante neue Erkenntnisse zu bringen.

Die im frühen 16. Jahrhundert geschaffene Madonna ist das einzig erhaltene Relikt eines ehemaligen Flügelaltars. Auf einem Foto aus dem Jahr 1926 ist eine gotische Figur des Heiligen Nikolaus zu sehen. Sie stand einst im Retabelschrein rechts von Maria mit dem Jesuskind. Die übrigen Schreinfiguren, darunter die heilige Katharina und der heilige Sebastian, lassen sich unter anderem aus den Altarpatrozinien rekonstruieren. Ein Inventarverzeichnis nach dem Dreißigjährigen Krieg berichtet von mehreren „Fürtüchern“ und „Schleiern“ für das „Biltnus unserer Lieben Frau im Altar“ sowie von „Hemdchen“ für das Jesuskind auf ihrem Arm, ähnlich der Verehrung der Altöttinger oder Wemdinger Madonna.

Schutzpatron des Nachbarbistums



Kurioserweise zeigt die Turmmonstranz von 1617 in der Kirche den heiligen Wolfgang, den Schutzpatron des Nachbarbistums Regensburg, obwohl Lenting zum Bistum Eichstätt gehört. Bei der Barockisierung der Kirche wurde dies später korrigiert, indem der Regensburger Wolfgang dem Eichstätter Willibald gegenübergestellt und der heilige Nikolaus im Altarbild zu Maria versetzt wurde. Der Grund für den „fremden Wolfgang“ geht auf den Pfarrer Dr. Wolfgang Crener aus Sulzbach, der die Figur seines Namenspatrons für den gotischen Altar gestiftet hat. Crener arbeitete an der Kurie in Rom, tauschte aber seine Präbende mit Heinrich Hopfenstatt, um als Lehrer an der Hohen Schule in Ingolstadt zu arbeiten. Im Jahr 1502 wurde er der erste Prediger in der Heiltums-Stiftung in Hall in Tirol und blieb gleichzeitig Pfarrer von Lenting. Die Seelsorge für Lenting wurde allerdings Vikaren (Stellvertretern) übertragen. Creners Ruf wuchs, als Tausende von Menschen nach Hall pilgerten, darunter auch einflussreiche Adelige. Argula von Grumbach kritisierte 1510 die mangelnde Seelsorge des Klerus in Lenting.

Crener erwirkte Jubiläumsablass



Von Hall aus kümmerte sich Crener auf andere Weise um das Seelenheil der Menschen in Lenting. Er erwirkte bei 12 Kardinälen einen Jubiläumsablass, der am 20. April 1500 vom Borgia-Papst Alexander VI. ausgestellt wurde und der die Erlösung von zeitlichen Sünden versprach, wenn Geld für das Kirchengebäude und seine Ausstattung gezahlt würde. Martin Luthers Kritik an diesen Ablasspraktiken führte schließlich zur Reformation. Am Vorabend dieses Umbruchs wurden mit dieser Praxis überall die kostbarsten Altäre finanziert, die Aufträge für Maler und Bildhauer boomten. Es ist offensichtlich, dass Crener einen Altarentwurf beim Ingolstädter Gabriel Herlin (geboren in Nördlingen) in Auftrag gab, denn er ließ ein Wappen von ihm malen.

Charakteristische Merkmale treffen zu



Ist die Mondsichelmadonna ein Meisterwerk von Peter Strauß gen. Trünklin aus Nördlingen unter Einfluss der Erharts? Viele charakteristische Merkmale seiner Arbeit treffen auf die Lentinger Madonna zu. Zudem ist die Silbermadonna des Eichstätter Bischofs Wilhelm von Reichenau stilistisch mit ihr verwandt. Die Silbermadonna ist in der Physiognomie sehr ähnlich und ist stattlicher als die Patronin. Es wird vermutet, dass sie von Gregor Erhart geschaffen wurde, der in Augsburg eng mit Hans Daucher und dem Maler Holbein dem Älteren kooperierte. Gregor Erhart ist auch der Schöpfer der sitzenden Figur des heiligen Willibald im Eichstätter Dom. Bernhard Erhart, der „große Unbekannte“ der Familie, könnte durch belegte Zusammenarbeit mit dem Nördlinger Peter Strauß an einem Altar Stilmerkmale weitergegeben haben. Angesichts der Orientierung Gabriel Herlins nach Nördlingen ist es sehr wahrscheinlich, dass die Lentinger Madonna in der Werkstatt von Peter Strauß/Trünklin unter dem Einfluss der Erhart-Schule entstanden ist. Anhand ausgewählter Bildbeispiele und historischer Hintergrundinformationen gab Weyergraf-Streit einen Einblick in die „kunsthistorische Detektivarbeit“, die zum Bau des gotischen Altars in Lenting und seiner kostbaren Figuren führte. Allerdings ist nur die Mondsichelmadonna erhalten geblieben.