Ingolstadt
„Den Mut hätte heute keiner mehr“

Horst Seehofer und Hermann Regensburger über die kommunale Neuordnung Bayerns in den 1970er-Jahren

28.06.2022 | Stand 22.09.2023, 21:47 Uhr

Er pfiff auf die Gebietsreform: Im November 1971 demonstrierte der junge Horst Seehofer vor der Staatskanzlei gegen die Neuordnung der Landkreise und Gemeinden. 50 Jahre später sagt er: „Ich bin überzeugt: Das war richtig.“ Foto: dpa-Archiv

„Eine turbulente Zeit war das“, sagt Horst Seehofer und lacht. „Oder, was meinst du, Hermann?“ Hermann, das ist der frühere Innenstaatssekretär Hermann Regensburger. Und die Zeit, das war zwischen 1970 und 1972, unmittelbar vor und während der Gebietsreform. Die beiden Grandseigneurs der CSU waren damals gerade junge Mitarbeiter am Landratsamt in Ingolstadt.

Sie erinnern sich dieser Tage oft an die Monate der Auflösung des Landkreises, gegen die der damalige Landrat Adolf Fink (CSU) so sehr gekämpft hat. Erst am Dienstagabend plauderten die beiden beim Historischen Verein. Schon zuvor hatte der DONAUKURIER sich mit den beiden im Regensburgerschen Wohnzimmer zusammengesetzt.

Aus den 1970er-Jahren geht heute noch ein Bild um die Welt: Der junge Horst Seehofer steht pfeifend vor der Staatskanzlei in München und demonstriert gegen die Gebietsreform. „Wir mussten ja was tun“, sagt er. „Es ging um unseren Arbeitsplatz.“ Auch bei einer zweiten Demo gegen die Gebietsreform – ein großer Autokorso in Ingolstadt – war Seehofer mit von der Partie. Heute sieht der CSU-Politiker die Sache anders: „So sehr ich damals dagegen war, so sehr bin ich heute davon überzeugt: Das war richtig.“ Eine Staatsreform, die sich heute niemand mehr trauen würde, hat Innenminister Bruno Merk damals initiiert, ist Seehofer überzeugt. „Den Mut hat keiner mehr!“

Hermann Regensburger, der „Uralt-Landratsamtler“, wie er sich selbst bezeichnet, sah die ganze Sache damals auch eher skeptisch. „Das hat uns nicht so ganz behagt“, sagt er, der im Landratsamt Ingolstadt auch Personalratsvorsitzender war. Und nahe dran an Landrat Fink – weswegen er sich auch ein wenig zurückgehalten hat mit Demonstrationen wie dem Autokorso. Aber: „Die Gebietsreform war doch ein Riesengewinn.“ Regensburger verweist auf die Fläche, die Ingolstadt dazubekommen hat. Und auch umgekehrt: „Die Landkreise sind viel enger an die Stadt Ingolstadt herangerückt.“ Aus heutiger Sicht „eine kluge Entscheidung“, kommentiert Horst Seehofer. Nur: „Die Geburt war halt schwierig.“

Und was sagten die Bürger damals zur Gebietsreform? „Vielen war das doch egal“, meint Regensburger. Der Bewohner eines Landkreises müsse durchschnittlich alle 61 Jahre einmal ins Landratsamt – sozusagen ein einziges Mal im Leben. „Da hat, nach allem Widerstand den es gab, der Landkreis Eichstätt gut daran getan, eine Außenstelle in Ingolstadt zu errichten“, lobt Seehofer die Weitsicht seines politischen Ziehvaters, dem früheren Landrat Konrad Regler (gestorben 2012). Regler, der sich bei der Gebietsreform enorm engagiert hat und in Eichstätt als „Architekt des Landkreises“ geadelt wurde, sei der Erfolg der Gebietsreform mit zu verdanken. Ebenso wie auf Ingolstädter Seite dem nachmaligen Oberbürgermeister Peter Schnell (CSU). „Wir sind da ja später als Ministranten nebenher gelaufen“, meint Seehofer und grinst spitzbübisch.

Die Region habe vom Zuschnitt der neu gebildeten Gebietskörperschaft enorm profitiert, sagt Seehofer, der am Freitag bei der 50-Jahr-Feier des Landkreises Eichstätt auch die Festrede halten wird. „Ingolstadt und die drei Landkreise prosperieren wie nie!“ 28 Jahre lang habe er die Region im Bundestag vertreten: „Ich kenne beide Seiten“, versichert Seehofer. Ob es eine andere Lösung gebraucht hätte? „Diesen Beweis brauchen wir nicht mehr, oder Hermann?“ Regensburger nickt und lächelt. Sie sind sich einig. Wie damals.