Theater-Vorbericht
„Das Fegefeuer ist immer hier“

Schirin Khodadadian bringt Marieluise Fleißers Bühnenerstling „Fegefeuer in Ingolstadt“ ins Kleine Haus

06.12.2022 | Stand 18.09.2023, 4:10 Uhr

Von Anja Witzke

Ingolstadt – Ein Stück „über das Rudelgesetz und die Ausgestoßenen“ nannte Marieluise Fleißer ihr 1926 uraufgeführtes Werk. In „Fegefeuer in Ingolstadt“ machen Jugendliche einander das Leben zur Hölle: Der Außenseiter Roelle sieht seine Stunde gekommen, als die Gymnasiastin Olga ungewollt schwanger wird und versucht mit seinem Wissen ihre Nähe zu erpressen. Peps ist der Kindsvater, doch der zieht nun mit Hermine herum. Von der Familie kann Olga keine Hilfe erwarten: die Mutter ist tot, der Vater zu schwach. Also beschließt sie, ihrem Leben ein Ende zu setzen – und wird ausgerechnet von Roelle gerettet.

22 Jahre alt war Marieluise Fleißer, als sie ihren Bühnenerstling schrieb. Knapp 100 Jahre später steht „Fegefeuer in Ingolstadt“ wieder einmal auf dem Spielplan des Stadttheaters Ingolstadt. Premiere ist am Freitag um 20 Uhr im Kleinen Haus. Regie führt Schirin Khodadadian, deren Beschäftigung mit der Autorin schon lange andauert. Schon vor 20 Jahren hat sie sich – damals noch als Regieassistentin unter der Intendanz Peter Rein – mit Fleißers Roman „Eine Zierde für den Verein“ durch die Stadt begeben, um die Orte von damals wiederzuentdecken. Mit dieser „persönlichen Entdeckungsreise, mit der Suche nach dem Exemplarischen, Parabelhaften“ begann die Auseinandersetzung mit Fleißers Leben und Werk. Stimmt das, was Fleißer beschreibt? Dass ein falscher Platz immer ein falscher Platz bleibt? Dass man einen Menschen eben nicht überall hinstellen kann? Was bedeutet das für unsere Welt? Was erzählt das über die Gestaltungsmöglichkeiten von Welt? Oder gilt immer noch das Prinzip: Wir treten, um selber nicht getreten zu werden?

Schirin Khodadadian erkennt eine Parallele zu den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts: „Überall in Europa erstarkt erschreckenderweise der Nationalismus. Warum haben wir den rechtspopulistischen Kräften nichts entgegenzusetzen? Etwa mit einem solidarischen Miteinander? Wie kann ich überhaupt so etwas wie Demokratie prozesshaft weitergestalten? Das ist die große Frage. Fleißer hat sie damals schon gestellt. Heute gilt es sie umso virulenter zu untersuchen.“ Und so versucht die Regisseurin mit ihrer Inszenierung den Sprung aus den 20er, 30er, 40er Jahren nach heute. Zeigt eine Art von parabelhafter Welt, in der die Figuren ausgestellt werden.

„Aufregend“ findet Schirin Khodadadian Fleißers Figuren. Und will in ihrer Inszenierung bestimmte Beziehungsmuster aufzeigen. Wobei ein besonderen Fokus auf den Frauen liegt. Aus drei Schauspielerinnen (Sarah Horak, Sarah Schulze-Tenberge, Judith Nebel) und vier Schauspielern (Sascha Römisch, Peter Rahmani, Enrico Spohn, Philip Lemke) besteht das Ensemble. „Das bedeutet eine spielerische Setzung: Dass Figuren in andere hineinspringen, dass dadurch offen gelegt wird, dass so anders diese Prinzipien vielleicht gar nicht sind“, erklärt die Regisseurin. „Fleißer hat keine psychologischen Figuren geschaffen. Sie treibt Brechts Prinzip des Verfremdungseffekts sogar noch weiter. Es ist eine Art von Entfremdungskonzept, wo man nicht mehr richtig zuschreiben kann, warum welche Figur agiert. Es geht nur noch um bestimmte Thesen und Themen. Das haben wir versucht in der Besetzung zu spiegeln.“

Dass „Ingolstadt“ Teil des Stücktitel ist, deutet die Regisseurin so: „Das Fegefeuer ist immer hier. Immer dort, wo ihr seid. Wenn wir diesen Abend in Münster machen würden, wo ich studiert habe, müsste es ,Fegefeuer in Münster‘ heißen. Ingolstadt steht nicht für eine konkrete Stadt, sondern für das Hier und Jetzt. Theater entsteht immer im Augenblick und will etwas erzählen über die Stadtgesellschaft, aus der heraus es entsteht.“

DK


Premiere ist am 9. Dezember um 20 Uhr im Kleinen Haus. Kartentelefon (0841) 30547200.