Konzertkritik
Christoph Prégardien und ein fantastischer Liedbegleiter

Der Tenor gastierte beim Konzertverein Ingolstadt

31.01.2023 | Stand 17.09.2023, 4:11 Uhr

Ein fantastischer Klavierbegleiter für einen echten Star: Daniel Heide und Christoph Prégardien (Tenor) im Ingolstädter Festsaal. Foto: Schaffer

Von Jesko Schulze-Reimpell

Ingolstadt – Eigentlich hätte der Konzertabend des Konzertvereins am Montag ein Hauskonzert im frühen 19. Jahrhundert sein können. Einige Musiker treffen sich, spielen in unterschiedlichen, auch ungewöhnlichen Besetzungen Werke, die ihnen gefallen – mal eher volkstümlich und populär, dann wieder sublim artifiziell. In diesem Fall waren es durchweg Stücke, die um das Jahr 1820 herum komponiert wurden, von nur zwei Komponisten: Ludwig van Beethoven und Franz Schubert.

Genau in diesem Spannungsbogen zwischen historischer populärer Musik und klassischer Kunstmusik spielte sich der Abend mit dem Tenor Christoph Prégardien, dem Pianisten Daniel Heide, der Geigerin Franziska Hölscher und dem Cellisten Jens Peter Maintz ab. Der Star des Abends war dabei der berühmte Sänger, im Zentrum stand allerdings – auf den ersten Blick fast ein wenig unscheinbar – der Pianist Daniel Heide, dem die Konzertvereinsbesucher bereit beim letzten Liederabend zusammen mit dem Bariton Andrè Schuen begegnen konnten. Heide bildete nicht nur den Mittelpunkt des Geschehens, weil er bei allen Werken immer dabei war – sondern durch seine unglaubliche geistige Präsenz, sein unfassbares musikalisches Einfühlungsvermögen, seine klangliche Fantasie. Mit wem er auch zusammenspielte, man hörte ihm mit besonderer Neugierde zu.

Etwa den Volksliedbearbeitungen von Ludwig van Beethoven, die sonst kaum je auf dem Programm klassischer Konzerte zu finden sind. Obwohl dem Bonner Komponisten durchaus eine gewisse Begeisterung für das Sujet anzumerken ist – immerhin hat er mehr als 50 Volkslieder in englischer Sprache bearbeitet. Die Melodien sind dabei originale Volksmusik, die Begleitung hingegen von Beethoven – und so erwartungsgemäß in hohem Maße kunstvoll, so verfeinert sogar, dass sein Auftraggeber George Thomson Änderungen verlangte, auf die Beethoven allerdings nicht eingehen wollte. Es hat einen erstaunlichen Reiz zu sehen, wie hier Kunstmusik und Volkslied aufeinanderprallen, wie die kunstvollen Einleitungen, gespielt von einem Klaviertrio, auf den schwelgerischen, aber etwas rustikalen Charme des Volkslieds treffen. Prégardien sang die Melodien volksliedhaft schwingend, ohne dabei übermäßig artifiziell vorzugehen. Ganz anders Heide am Klavier, der die Töne verträumt schimmern ließ, der aus den Begleitfiguren so viele Varianten und Farben herausholte, dass man aus dem Staunen kaum herauskam.

Dem gegenüber standen im zweiten Teil des Abends die Kunstlieder von Franz Schubert, die mal nur vom Flügel aus begleitet wurden, dann wieder (in einer Bearbeitung von Wolfgang Renz) mit dem Klaviertrio. Auch hier sang Prégardien mit größtem Ausdruck, mit enormer Energie. Der Reiz seines Tenors ist vielleicht die kraftvolle, männliche Substanz der Stimme verbunden mit der psychologischen Präzision der Textdeutung. Es ist nicht nur so, dass jedes Wort perfekt zu verstehen ist, wenn er singt. Sondern man fühlt sich im Publikum besonders angesprochen von diesen Liedern, so als würde uns unmittelbar eine Geschichte erzählt. Eine besondere Herausforderung war etwa der „Erlkönig“, bei dem drei verschiedene Sprecher auftreten, der Erlkönig, das Kind und der Vater. Prégardien verzichtete darauf, die Stimme zu verstellen, wie es einige Sänger tun, vielmehr deutet er die Unterschiede klanglich nur an, das Drama entstand durch die unterschiedliche Intensität des Vortrags. In „Nacht und Träume“ vermochte Prégardien berückend lyrisch zu singen, mit ewiglich langen Tönen und einem Minimum an Vibrato.

Den Liedern standen an diesem Abend rein instrumentale Werke gegenüber – etwa die eher etwas leichtgewichtige Violinsonate in a-Moll von Schubert und Beethovens C-Dur-Sonate für Cello und Klavier. Franziska Hölscher wählte einen modernen, feinnervigen Ansatz, spielte die Geige mit schlankem, intensivem Ton und setzte dabei das Vibrato sehr gezielt ein. Aber auch hier konnte Heide ihr die Show stehlen – mit seiner Wendigkeit, seiner klanglichen Fantasie. Genauso schien auch beim Beethoven eher die musikalischen Initiativen von ihm auszugehen als von Jens Peter Maintz. Kaum ein anderes Bild bot das Werk, bei dem alle drei Instrumentalisten sich zum Klaviertrio zusammenfanden, beim „Gassenhauer“-Trio von Beethoven. Allein der Witz und die Ironie, mit der Heide das Gassenhauer-Thema im dritten Satz vortrug, war verblüffend. So, als wollte er noch einmal besonders deutlich auf das implizite Thema des Abends hinweisen: wie aus Volksmusik hohe Kunst werden kann und wie volkstümlich doch Klassik ist.

DK