Konzertkritik
Ein Abend voller Melancholie und Poesie

Konzertlesung der Superlative im Studio: Gastspiel von Klezmorim erinnert an Pavel Fieber

31.01.2023 | Stand 17.09.2023, 4:11 Uhr

Frenetischen Applaus gab es für Pavels Klezmorim und Victoria Voss im Studio. Foto: Luff

Von Robert Luff

Ingolstadt – Das Studio im Herzogskasten bot mit seiner Gewölbedecke und der erstklassigen Akustik einen Rahmen par excellence: Genau hier musste der Abend für den 2020 verstorbenen Sänger, Schauspieler, Regisseur und Intendanten Pavel Fieber über die Bühne gehen: Im ausverkauften Gewölbe fanden sich zahlreiche ehemalige Mitstreiter, Kollegen und Bewunderer des deutsch-österreichischen Multitalents ein, unter ihnen auch der derzeitige Intendant des Stadttheaters Knut Weber, der Fiebers Leben und Wirken vorstellte.

Von 1974 bis 1978 war Pavel Fieber Oberspielleiter in Ingolstadt und machte durch Erst- und Uraufführungen von Stücken Pavel Kohouts und Václav Havels von sich reden. Am Ende seiner Ingolstädter Ära veröffentlichte der begnadete Sänger auch seine erste Schallplatte. Er nannte sie „Wo ist die Zeit: Pavel Fieber singt Jiddische Lieder“ und eben unter diesem Motto stand auch der Liederabend in Ingolstadt, der durch eine Lesung von Gedichten, vor allem von Mascha Kaléko, reizvoll ergänzt wurde.
Rezitiert wurden die hochkarätigen poetischen Texte der deutsch-jüdischen Dichterin von Victoria Voss in unaufdringlicher und gleichwohl sinntragender Intonation. Sie gingen vor allem deshalb unter die Haut, weil Maléko in ihnen als Unbehauste spricht, als Heimatlose, die Deutschland nach der Machtergreifung verlassen musste und rastlos durch die Welt reiste. Sesshaft und glücklich wurde sie nie mehr und ihre Natur- und Großstadtlyrik mündet mitunter in einen bitteren, melancholischen Ton voller Sinnsuche und unerfüllter Sehnsüchte.

Dass dabei immer wieder die menschliche Vergänglichkeit und die Zufälligkeit unserer Existenz betont wird, faszinierte bereits Pavel Fieber am lyrischen Werk Kalékos. „Die Zeit steht still. Wir sind es, die vergehen. / So weht wohl auch die Landschaft unsres Lebens / an uns vorbei zu einem andern Stern“ heißt es im ersten der gelesenen Gedichte. Bisweilen aber hält Kaléko, die Zeit ihres Lebens auf der Flucht und unterwegs war, auch weise Ratschläge bereit, die ein angstfreies Leben ermöglichen können. Als Hoffnungsschimmer galt ihr einzig die Liebe, die sie sich, auf dem Strom des Lebens wie ein Blatt umhertreibend, als Wahrheit erkor.

Zu diesem melancholischen Grundtenor passte die jiddische Klezmer-Musik wie kaum eine andere Stilrichtung. Ursprünglich als volkstümliche Festtagsmusik in den osteuropäischen Kleinstädten entstanden, entwickelten sich die Stücke unter dem federführenden Instrument der Klarinette zu immer wieder neuen, überraschenden, orientalisch inspirierten Klangkompositionen, die stets einen Freiraum für die Improvisation lassen. Und was die Klezmorim, wie sich die Klezmer-Musiker hebräisch nennen, im Gewölbekeller erklingen ließen, war hochprofessionelle Extraklasse.

Von emotionsgeladenen Klageliedern und voluminösen, zwischen behutsamen Passagen und leidenschaftlichen Tempi changierenden Balladen bis hin zu temperamentvollen Freylekhs, den Tanzliedern im 2/4-Takt, boten die professionellen Musiker Frank Nebl (Klarinette), Markus Munzer-Dorn (Gitarre und Moderation), Peter Cerny (Kontrabass) und Rainer Engelhardt (Percussion) von der Badischen Staatskapelle Karlsruhe Klezmer-Lieder in atemberaubender Virtuosität. Was allen voran Frank Nebl seiner Klarinette entlockte, zeigt eine Bandbreite und Melodielinien, die an die menschliche Stimme erinnern. Sein Instrument schmeichelte und liebkoste, schluchzte und jammerte, verschärfte das Tempo und wechselte rasend schnell die Tonart. Das soll die Leistung der anderen Musiker nicht schmälern, denn Munzer-Dorn, Cerny und Engelhardt ergänzten Nebls Klarinette nicht nur kongenial, sondern fanden auch zu mehreren, spontan beklatschten Soli. So fand sich das Publikum akustisch in die Weiten ukrainischer Getreidefelder versetzt oder atmete die Luft Galiziens, verfolgte das jüdische Leben von der Kindheit bis ins Alter, liebte unglücklich ein Mädchen oder schwamm auf den Wogen des Schwarzen Meeres. Frenetischer Applaus.

DK