Besuch in Ingolstädter Gymnasium
Charlotte Knobloch ermutigt junge Leute: „Erinnern ist unsere Zukunft“

31.01.2023 | Stand 17.09.2023, 4:16 Uhr

Nach dem offiziellen Teil unterhielt sich Charlotte Knobloch am Montag mit Schülerinnen des Katharinen-Gymnasiums. Fotos: Eberl

Es lief wie von (fast) allen gewünscht: Die junge Bundesrepublik gewann an Stärke, die Wirtschaftskraft näherte sich dem alten Niveau an, und die Westdeutschen blickten eisern nach vorne.





Keinesfalls zurück. Die Verbrechen der Nationalsozialisten, Diktatur, rassistischer Vernichtungskrieg, Holocaust, fast 60 Millionen Tote – davon wollte man in den 50ern nichts wissen. Der Zeitgeist gebot nun Verdrängung. Hitlers Reich war in dieser Wahrnehmung schon seit 1000 Jahren vergangen. Den Krieg gab es im Erinnerungsreservoir der Bundesbürger – wenn überhaupt – nur als Wiederaufbau. Hunderttausende Mitläufer, Belastete, fanatische „Führer“-Fans, Täter und Täterinnen pflegten – von Justiz und öffentlicher Empörung unbehelligt – wieder ihre bürgerlichen Existenzen. Einstige Karrierenazis kehrten völlig frei von Scham auf hohe Positionen zurück, als wäre nie etwas gewesen. Das kollektive Schweigen über das Grauen, das der deutsche SS-Staat über halb Europa gebracht hatte, gehört fest zum Gründungskonsens der Bonner Republik.

Kollektives Schweigen in der Bundesrepublik

„Bis in die 70er-Jahre forderte fast alltäglich jemand öffentlich einen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit“, erzählt Charlotte Knobloch in der voll besetzten Bibliothek des Katharinen-Gymnasiums. „Doch das war widersinnig! Die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus war lange von Abwehr, Verdrängung und Verharmlosung geprägt. Aber das liegt heute hinter uns.“

Denn seither wurde viel bewegt, sagt die Prädidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Erinnerungsarbeit und Gedenkkultur hätten sich – auch dank engagierter junger Menschen – in einem Maße entwickelt, „wie ich es lange nicht zu träumen gewagt habe“. Das Katharinen-Gymnasium biete ein hervorragendes, ermutigendes Vorbild, betont die 90-Jährige.

Sie ist an diesem Montag hier, um die Einweihung einer Gedenktafel zu beehren. Diese erinnert an Holocaust-Zeitzeugen, die im Katherl zu Gast waren. Neben Namen wie Max Mannheimer, Hugo Höllenreiner (ein Auschwitz-Überlebender aus Ingolstadt) oder Ignatz Bubis (in den 90ern Vorsitzender des Zentralrats der Juden) steht auch der von Charlotte Knobloch. Sie entging der Deportation, von guten Menschen auf einem fränkischen Bauernhof versteckt. Ein großer Teil ihrer Familie wurde in Vernichtungslagern getötet.

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde kommt am 90. Jahrestag der so genannten Machtergreifung Hitlers zu Besuch. Sie stellt fest, dass der 30. Januar im öffentlichen Diskurs ebenso „allgegenwärtig ist wie der 27. Januar“, der Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz 1945. „Doch es brauchte lange, sehr lange, bis das öffentliche Gedenken, das wir heute kennen, Realität wurde.“ Das Vergessen „konnte nie eine Antwort sein“. Nach diesen grauenhaften Verbrechen. Bei all dem Schmerz und der Traumatisierung der Opfer, „die versuchten, irgendwie weiterzuleben“.

„Ein neues Kapitel in der Erinnerungskultur“

Die Gedenktafel in der Aula des Katherls – konzipiert von Schülerinnen und Schülern gemeinsam mit dem Kunstlehrer Sebastian Schnackenburg – eröffne „ein neues Kapitel in der Erinnerungskultur“, sagt sie. „Auch Schüler, die noch nicht geboren sind, werden eines Tages diese Namen lesen.“ Charlotte Knobloch ermutigt dazu, „die Vergangenheit zu retten“: vor dem Vergessen. Denn: „Erinnern ist unsere Zukunft.“ Der Gast schließt mit einem Appell: „Lasst euch von niemandem sagen, wen ihr zu lieben und wen ihr zu hassen habt!“

Riesenbeifall. Matthias Schickel, der Schulleiter, bekennt, gerührt zu sein. Zuvor, bei der Begrüßung, sagt er: „Die Menschen, die an unserer Schule zu Gast waren, haben gezeigt, dass man Terror, Diskriminierung und Ausgrenzung Widerstand entgegensetzen kann, entgegensetzen muss.“

Michael Erber, Leiter der Fachschaft Geschichte, erzählt von Besuchen beeindruckender Zeitzeuginnen und Zeitzeugen – Begegnungen, die ihn stark bewegt hätten. Er denkt an die Kinder, die unter dem Eindruck des Völkermords fragen: Wie konnte das passieren? „Ihnen möge die Gedenkwand zuflüstern: Nie wieder!“

OB Christian Scharpf hebt hervor, wie wertvoll Zeitzeugen sind. Wenn sie verstummen, „verbannt das nicht die Gräuel des Unrechtsstaats aus unserer Zeitgeschichte“. Nichts dürfe vergessen werden. „Die Jugend trägt die Geschichte weiter.“

So wie Mannat Multani. Die Elftklässlerin berichtet am Rednerpult beseelt vom Austausch mit einer Schule in Israel, den das Katharinen-Gymnasium seit Langem pflegt. Voriges Jahr waren die jungen Leute aus beiden Staaten gemeinsam in Berlin. „Ich bin dankbar für diese Erfahrung!“ Und sie ist stolz auf die Gedenktafel. Auch daran erkenne man, so die junge Frau, „dass die Schule ihren Auftrag, Herz und Charakter zu bilden, erfüllt hat“.

DK