Ingolstadt
Das Generationenprojekt

Schadstoff-Entsorgung auf dem Vierheilig-Gelände wird die Stadt noch auf viele Jahrzehnte beschäftigen

08.06.2021 | Stand 23.09.2023, 19:04 Uhr
  −Foto: Hammer, Archiv

Ingolstadt - Die Probleme auf einem Baugrundstück an der Hindenburgstraße um bislang nicht fachgerecht entsorgte chemische Altlasten im Boden (DK berichtete am Dienstag) wecken Erinnerungen an die ähnlichen - aber sicher deutlich schlimmeren - Verunreinigungen auf dem Vierheilig-Gelände in der südwestlichen Altstadt.

Hier muss sich die Stadt bereits seit 40 Jahren um die bedenklichen Hinterlassenschaften einer früheren Reinigung kümmern - wahrscheinlich noch auf viele weitere Jahrzehnte hinaus.

Franz Götz, früherer Landtagsabgeordneter und SPD-Fraktionschef im Stadtrat, hatte den Fall Vierheilig seinerzeit als "größten Umweltskandal in der Geschichte Ingolstadts" bezeichnet, womöglich ist es sogar der bislang größte LHKW-Schadensfall in ganz Bayern. LHKW ist die gängige Abkürzung für leichtflüchtige halogenierte Kohlenwasserstoffe - giftige Substanzen, die in Reinigungen zwar ihren Zweck erfüllen, die aber tunlichst nicht in die Umwelt gelangen sollten.

Durch Fahrlässigkeiten und handwerkliche Fehler und Missgeschicke ist das in der weiteren Vergangenheit in manchen Betrieben (nicht nur in Ingolstadt) aber dennoch passiert. Diese vormals mitunter nicht so tragisch genommenen und teils auch in Vergessenheit geratenen Störfälle können auch viele Jahre später noch zu bösen Überraschungen führen. Auf dem Vierheilig-Gelände zwischen Gerber- und Gartengasse, unweit vom Münster, war das so.

Angefressene Gummistiefel

Als die Stadt, die das frühere Wäscherei-Areal 1974 gekauft hatte, hier 1981 Ausschachtungen für eine Kinderkrippe veranlasste, sahen sich die Bauarbeiter mit gleich zwei Phänomenen konfrontiert: Je tiefer sie gruben, desto penetranter stach ihnen der Geruch von Lösungsmitteln in die Nase, und als sich auch noch ihre Gummistiefel aufzulösen begannen, war klar, dass hier böse chemische Reaktionen im Gange waren. Probebohrungen brachten alsbald Gewissheit: Hier lag ein massiver Fall von Bodenverunreinigung durch LHKW vor.

An eine Bebauung war erst mal nicht mehr zu denken; die städtischen Behörden und die Kommunalpolitik waren gefordert, einen weit und breit in dieser Intensität einmaligen Umweltschaden in den Griff zu bekommen. Streng genommen ging es damals und geht es auch heute noch darum, einmal im Boden und vor allem im Grundwasser angekommene Schadstoffe wenn schon nicht vollständig zu beseitigen, so doch so weit wie möglich herauszufiltern und ein weiteres Abströmen auf Nachbargrundstücke zu unterbinden.

Beim Vierheilig-Gelände ist das zu einer Generationenaufgabe geworden. Wer diesen Schaden, der nun mal an der Stadt hängengeblieben ist, völlig beseitigen wollte, der müsste praktisch auch im Umfeld des Grundstücks sämtliche Bausubstanz abreißen und den Untergrund tief abtragen. Da das nicht möglich ist, kam und kommt nur die dauerhafte Entgiftung des Grundwassers auf dem oder unmittelbar um das problematische Grundstück herum infrage. Das geschieht mittels mehrerer Brunnen und Pumpen, die hier 1986 in Betrieb gingen. Gesteuert wird das alles von einer unscheinbaren Doppelgarage an der Gerbergasse aus, wo die Leitungen der aufwendigen Filteranlage zusammenlaufen.

Millionenaufwand

Die Technik musste über die Jahre bereits erneuert werden, und nach DK-Informationen wäre in Kürze erneut darüber zu entscheiden, mit welchem Aufwand die Anlage erneut langfristig zukunftsfähig gemacht werden kann. Die technische Betreuung liegt hier seit einiger Zeit in Händen der Kommunalbetriebe; als Aufsichtsbehörde fingiert weiterhin das städtische Umweltamt.

Jahr für Jahr muss der Finanzreferent bei der Haushaltsplanung die ständigen Betriebskosten der Pump- und Filteranlage in fünfstelliger Höhe in den Etat einstellen; wenn es um Neuanschaffungen (zum Beispiel beizeiten für modernere Steuerungstechnik) geht, darf es gut und gern auch mehr sein. Allein in den ersten 30 Jahren verschlang die Dauersanierung gut zwei Millionen Euro - und dieses Fass hat bis heute keinen Boden. Dagegen nehmen sich die 72000 Mark Entschädigung, auf die sich die Stadt 1982 in einem Vergleich mit der verursachenden Firma Vierheilig geeinigt hatte, eher wie ein Almosen aus.

Um das Grundstück wenigstens noch zu verwerten, ist dort ab 2002 ein Studentenheim gebaut worden. Mit Rücksicht auf die Probleme im Untergrund wurde es auf einer undurchlässigen Folie und ohne Kellerräume errichtet. Dort lässt es sich auch durchaus ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen leben, und manchem Bewohner mag heute gar nicht mehr bewusst sein, über welch hoch belastetem Untergrund er da zu Hause ist.

DK

Bernd Heimerl