Knapp 100 Fehlbelegungen
Appartements in Ingolstadt nur für Studenten: Falsche Mieter ahnungslos?

Betreiberfirma hat viele Wohnungen offenbar widerrechtlich vermietet – 100 Mieter von 222 betroffen

08.09.2022 | Stand 22.09.2023, 5:56 Uhr

Schick und modern lässt es sich in der Wohnanlage von iLive an der Theodor-Heuss-Straße leben. Die „Comfort-Apartments“ in dem Block sind eigentlich für Studierende und Azubis vorgesehen – daran soll sich iLive aber nicht gehalten haben. Fotos: Hauser

Von Johannes Hauser

Dutzende Mieterinnen und Mieter des Wohnheims an der Theodor-Heuss-Straße in Ingolstadt könnten in den nächsten Wochen ihre Wohnung verlieren. Sie leben unberechtigt in dem größtenteils Studierenden und Azubis vorbehalten Wohnblock.



Unklar ist, ob die Betroffenen zum Zeitpunkt des Einzugs überhaupt wussten, dass sie eigentlich nicht in der Anlage leben dürfen. Der Vermieter hat sie offenbar nicht darüber informiert. Das jedenfalls lassen die Reaktionen vermuten, die die Redaktion erreicht haben, nachdem der DONAUKURIER im Mai das erste Mal von dem Fall berichtet hat.

Nicht nur Studierende und Azubis im Haus

Ein ehemaliger Mieter meldet, er sei vor der Unterschrift seines Mietvertrags nie nach einer Immatrikulationsbescheinigung oder einem Ausbildungsvertrag gefragt worden. In dem Wohnheim lebten vor allem „Airbus- und Audi-Mitarbeiter“, schreibt er. Nach der Schilderung eines anderen Mieters wohnen – neben Studierenden – auch etliche Angehörige der Bundeswehr in dem Haus.

Das widerspricht den geltenden Regeln. Laut einer so genannten „beschränkten persönlichen Dienstbarkeit zugunsten der Stadt“, die auch im Grundbuch festgeschrieben ist, dürfen in den 222 modernen „Comfort-Appartments“ der Anlage (Warmmiete ab 525 Euro für 20,73 Quadratmeter) nur Studierende, Auszubildende sowie Schülerinnen und Schüler leben. Dazu hat sich die Betreibergesellschaft iLive aus Aalen verpflichtet. Dafür mussten für den im Juli 2019 eröffneten Wohnkomplex weniger als die Hälfte der Parkplätze gebaut werden, die bei einem frei zu vermietenden Anlage vorgeschrieben wären.

Im Mai hat der DK berichtet, dass sich iLive an diese Vorgabe offenbar nicht hält. Die Stadt hat die Rechercheergebnisse bestätigt. Sie hat iLive aufgefordert, die „aktuellen Belegungsdaten mit dem jeweiligen Berechtigungsstatus“ zu melden, aber zunächst lange keine Antwort bekommen, wie aus dem Rathaus zu erfahren war.

Rund 100 Mieterinnen und Mieter betroffen

Nach der Veröffentlichung des DK-Artikels hat sich iLive an die Mieterinnen und Mieter gewandt. In der Mitteilung heißt es unter anderem, iLive sei aufgefordert, der Stadt das geltende „Belegungskonzept“ offen zu legen. Die Betreiberfirma verweist auf die Regelung, dass in den Comfort-Appartments nur Studierende, Azubis und Schüler leben dürften. Auf die Kontrolle eines entsprechenden Nachweises habe man in der Vergangenheit verzichtet, „weil wir Deinen Angaben natürlich vertraut haben“, heißt es in der Nachricht an die Bewohner. „Nun sind wir aber auf Grund des bauaufsichtlichen Verfahrens gehalten dies nachzufordern.“ Die Mieterinnen und Mieter sollten einen entsprechenden Nachweis erbringen.

Auf mehrere Anfragen des DK – die erste stammt von Anfang Mai – wollte iLive bisher noch nicht konkret Stellung nehmen. Unter anderem blieb die Frage unbeantwortet, ob die Bewohner bei der Unterschrift ihres Mietvertrags überhaupt wussten, dass die Wohnungen einem bestimmten Kreis vorbehalten sind, und sie unter Umständen gar nicht einziehen dürften. In der jüngsten Mail an die Redaktion Ende August heißt es von iLive, man befinde sich „nach wie vor in gutem Austausch mit der Stadt Ingolstadt. Nicht zuletzt wegen der aktuellen Urlaubszeit in Süddeutschland ist der Sachstand noch derselbe wie zum Zeitpunkt Ihrer letzten Anfrage.“ Wie ein ehemaliger Bewohner schildert, sei die Bewohnerschaft in dem Gebäudekomplex sehr international. Nicht alle Mieter verstünden genügend deutsch, um die Vorgaben zu verstehen. „iLive nutzt das aus“, so der Vorwurf des einstigen Mieters.

Befristung der Mietverträge eventuell ungültig

Der Stadt sind mittlerweile Zahlen von iLive gemeldet worden. Auf Anfrage des DK heißt es dazu: „Von den 222 Appartements für Studierende, Auszubildende, etc. wurde bei rund einhundert eine Fehlbelegung festgestellt. (...) Die Zahl der nichtberechtigten Personen könnte sich noch nach unten korrigieren, falls bei einzelnen Personen noch eine Berechtigung nachgewiesen wird.“

Gegenüber der Stadt hat iLive angemerkt, dass im September 2022 rund ein Drittel der Mietverträge ausläuft. Alle anderen im September 2023. Offenbar ist es bei iLive üblich, Mietverhältnisse nur befristet einzugehen. Nach einem Jahr entscheidet das Unternehmen dann, ob der Vertrag verlängert wird oder nicht. Aktuelle und ehemalige Mieter schildern dem DK, dass iLive die Befristung immer wieder genutzt habe, um unliebsame Bewohner los zu werden. „Wer sich beschwert wird nicht verlängert“, heißt es in einer Mail an die Redaktion. „Wem Mängel auffallen, der überlegt es sich zweimal, ob er diese anführt.“

Etliche Rechtsstreitigkeiten

Ob die Befristung allerdings ein gangbarer Weg für das Unternehmen ist, auch die „Fehlbeleger“ aus den Apartments zu bekommen, ist fraglich. Dem DONAUKURIER liegt ein Rechtsgutachten vor, nach dem die Befristung der Mietverträge durch iLive rechtswidrig ist. Dem Vernehmen nach hat es bereits etliche Rechtsstreitigkeiten zwischen iLive und Bewohnern gegeben, die weiter in der Anlage leben wollten, obwohl ihnen iLive eine Verlängerung des Mietvertrags verweigerte. Jetzt könnten weitere Prozesse folgen.

Bei der Stadt wird man die Entwicklung mit Interesse verfolgen. Zur Frage, ob iLive gegenüber der Stadt regresspflichtig ist und das Unternehmen mit Sanktionen wegen des Verstoßes gegen die beschränkte persönliche Dienstbarkeit zu rechnen hat, schreibt die Stadt: „Bei allen Verstößen gegen eine Baugenehmigung wird grundsätzlich die Einleitung eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens geprüft. Im Einzelfall darf jedoch öffentlich hierüber keine Auskunft gegeben werden.“