Ingolstadt
Zwischen Kontinuität und Bruchstellen

Beim Tag des offenen Denkmals erhielten die zahlreichen Besucher interessante Einblicke in die Ingolstädter Geschichte

08.09.2019 | Stand 23.09.2023, 8:28 Uhr
Der Kamin im Hagn-Haus wurde nicht von den Schäfflern, sondern zuvor von einem Schmied genutzt. Groß war auch der Andrang im alten Haus der Bayerischen Versicherungskammer am Brückenkopf. −Foto: Eberl

Ingolstadt (DK) Umbrüche in Kunst und Architektur lautete gestern das Motto beim Tag des offenen Denkmals.

Neben Schloss, Theater, Münster oder Kreuztor öffneten auch ansonsten unzugängliche Festungsbauten wie die Traverse 61 am Schutterhof oder Privathäuser wie das Schäfflerhaus ihre Türen. "Hans Hagn Schäfflermeister" steht unübersehbar auf dem großen, grünen Gebäude an der Schulstraße 1 und verrät auch dem Unkundigen, welche Handwerkerfamilie hier einst ansässig war. Alteingesessene Ingolstädter kennen natürlich die bekannte Familie, von der immer noch zehn Mitglieder bei den Schäfflern aktiv sind.

Weniger bekannt dürften vermutlich die Geschichte des Hauses und die künftigen Pläne sein. "17., 18. Jahrhundert" hätte selbst Architekt Dieter Michael Schuster auf den ersten Blick das Alter geschätzt. Doch die Substanz ist älter, viel älter. Der Keller des im Bestand mittelalterlichen Gebäudes datiert immerhin auf das Jahr 1395. Im Verlauf der Jahrhunderte wurde das Anwesen freilich immer wieder stark verändert und umgebaut, was für Schuster nicht zuletzt statisch eine ziemliche Herausforderung bedeutet. Genau genommen bestand das Giebelhaus aus zwei Besitzhälften, weshalb es eine durchgehende Firstwand aufweist.

Am gestrigen Tag des offenen Denkmals bot sich die Gelegenheit, einmal einen Blick ins Innere zu werfen. Am meisten beeindruckte dabei der markante Kamin, der im Jahr 1877 auf das Haus draufgesetzt und erst jetzt unten geöffnet wurde. Entgegen allen Vermutungen wurde er nicht für die Fassherstellung verwendet, die ebenfalls in dem Raum rechts neben der Eingangstür stattfand, sondern schon vorher von einem Schmied eingebaut (weitere Vorbesitzer waren unter anderem Schneider und Schlosser). Die Hagns haben ihn jedenfalls nie benutzt.

Nachdem das Haus einige Jahre leer stand, wurde es jetzt verkauft. Doch auch nach der Sanierung soll der massige Kamin erhalten bleiben - und zwar als eine Art Blickfang in dem Café, das in dem großen, hohen Raum (eine Zwischendecke wurde entfernt) geplant ist. Das Treppenhaus will Schuster wieder an seinen früheren Standort versetzen, im Dachgeschoss sollen Wohnungen entstehen.

Zum Schäffleranwesen gehörte aber auch das Gebäude rechts daneben mit dazu. Im Kern ebenfalls spätmittelalterlich, wurde es im Laufe des 19. Jahrhunderts umgebaut. Hier wurden einst das Holz für die Fässer gelagert und aufgrund der Enge in der Altstadt ein zweiter Keller unter dem ersten gegraben. Schuster plant hier oben Büros.

Zu den jüngsten Baudenkmälern in Ingolstadt gehört das ehemalige Büro des Architekten Johann Lang am Brückenkopf, das freilich mehr durch die Bayerische Versicherungskammer bekannt ist, die dort über 40 Jahre lang ihren Sitz hatte. Das markante Gebäude auf der hinauskragenden Sichtmauer und seine von Anfang an integrierte Wasserfläche ist für die beim Stadtplanungsamt tätige Architektin Christiane Harst wohl das Ingolstädter Gebäude mit dem stärksten Bezug zum Bauhaus. das vor 100 Jahren gegründet wurde.

In den 50er-Jahren geplant, ist es ein typisches Beispiel für die Nachkriegsmoderne - und greift auch hier auf Vorbilder zurück. Harst vermutet wohl nicht ganz zu unrecht, wie auf Bildern zu erkennen ist, dass möglicherweise die "Persil-Schule" in München, ein ebenfalls unter Denkmalschutz stehendes Gebäude, Lang ein Vorbild war. Sechs Jahre diente der Stahlbetonbau mit Fußbodenheizung Johann Lang und acht Mitarbeitern als Büro.

Im Laufe von fast 60 Jahren erfuhr das Gebäude mit seinem charakteristischen schwebenden Charakter einige Veränderungen. Mit die größte sind die noch recht neuen Fenster, die eigentlich nicht so recht dazupassen. Aber aus energetischer Sicht sind sie notwendig, da der Bau auf diesem Gebiet natürlich Defizite aufwies. Glücklicherweise haben sich jedoch zahlreiche Ausstattungsmerkmale erhalten - die verschiedenen Zimmer dienten Lang nach den Worten von Harst praktisch als eine Art Musterkatalog für seine Kunden. Die Denkmaleigenschaft wurde dem Lang-Büro erst spät zuerkannt - gerade noch rechtzeitig. "Wenn es kein Baudenkmal wäre, dann wäre es sicher abgerissen worden", ist sich Harst sicher.
 

MORDFALL LANG

Groß war das Interesse  in den Räumen der Praxis für Traditionelle Chinesische Medizin, die am Brückenkopf eingezogen ist. Was was aber zu verstehen ist, wenn man die Vorgeschichte kennt. Denn der Architekt Johann Lang wurde zusammen mit seiner Tochter im April 1966 in einem Hochhaus an der Goethestraße ermordet.  Der  „Ingolstädter Häuserkönig“ Lang hatte  in den 50er-Jahren zahlreiche Wohnblocks, darunter Anlagen am Brückenkopf, an der Feselenstraße und die beiden Hochhäuser an der Goethestraße gebaut.  Doch im Dezember 1963 gerät Lang in Zahlungsschwierigkeiten, und wegen  seiner schwierigen finanziellen Lage hat der Architekt immer wieder Ärger mit seinem Hausmeister:   Zuviel Putzmittel soll dieser eingekauft haben. Es entwickelt sich ein lang schwelender Konflikt mit einem tragischen Ausgang.
Der Hausmeister  ist zur Tatzeit ziemlich angetrunken, wie eine spätere Blutprobe ergab. Nachdem er in der Nacht auf den 20. April gegen Mitternacht immer noch nicht zu Hause eingetroffen ist, macht sich dessen  Frau Sorgen und ruft Langs Rechtsanwalt Wendelin Schleicher an. Zusammen mit der Polizei gehen sie in Langs Appartement – und erblicken zwei Leichen.
Lang war von mehreren Schüssen getroffen worden, sein Kopf wies schwere Verletzungen auf. Die Leiche lag im Badezimmer war über und über mit Blut bedeckt. Langs Tochter Christel war vermutlich schon im Bett, als sie die Schüsse hörte. Sie lief zur Tür, wo sie ihrem Mörder begegnete, der sofort die Waffe auf sie richtete. Die Studentin flüchtete noch in ihr Zimmer, wo sie starb. Gesühnt hat Hausmeister Alexander Hilger seine Taten aber nicht: Er erschießt  sich wenige Stunden später. 

Bernhard Pehl