Ingolstadt
Dschungel-Tour mit Pietro Sarno

Benefizkonzert der Audi-Bläserphilharmonie im Festsaal führt höchst unterhaltsam in "Fremde Welten"

26.10.2018 | Stand 23.09.2023, 4:47 Uhr
Seine Effekte sind fein austariert: Pietro Sarno leitete die Audi-Bläser im Ingolstädter Festsaal. Bei dem traditionellen Benefizkonzert kamen wieder 10000 Euro zusammen. Einen Spendenscheck übergaben (von links) Günther Graf von der Bläserphilharmonie, Werkleiter Albert Mayer und der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Jörg Schlagbauer an DK-Chefredakteur Stefan König. −Foto: Sauer/Audi

Ingolstadt (DK) Augen zu und ab in den Dschungel: Elefanten trompeten, aufgescheuchte Affen stürzen kreischend über die Bühne, im Hintergrund kräht es irgendwie, es zischt und grummelt, exotische Vögel krakelen gelangweilt im Hintergrund. Bis eine Horde von Kannibalen heranzieht. Na ja, das scheint sich ungefähr im Kopfkino abzuspielen bei "Jungle" von Thomas Doss, das wohl wirkungsvollste Stück beim Benefizkonzert der Audi-Bläserphilharmonie am Donnerstagabend.

Es hat schon Tradition, dass das Blasorchester die Spendenaktion "Vorweihnacht der guten Herzen" des DONAUKURIER und seiner Heimatzeitungen eröffnet - diesmal unter dem Titel "Ferne Welten". Wie passend da der Ausflug in den Dschungel. Und tatsächlich kann man das Orchester bei seinem Trip ins dunkle Land der Kannibalen nur bewundern. Was für eine Dramatik, was für eine Zugkraft! Und was für ein Ereignis, wenn ein ganzes, riesiges Orchester das Toben des Urwalds herbei imaginiert, die Posaunen wie Elefanten trompeten, die Querflöte die Panflöte imitiert, ein Paukenwirbel den Sprung in den Abgrund veranschaulicht. Ein außergewöhnliches, augenzwinkerndes Unternehmen. Und der neue Chefdirigent des Orchesters Pietro Sarno ist ein aufmerksamer Wegweiser durch die "fremden Welten".

Manchmal genügen eben in der Musik die Töne allein nicht. Es braucht noch etwas anderes, ein Inhalt, eine Art Handlung. So suggerieren fast alle Werke des Abends eine fremde Welt. Zaubern das Londoner Stadtleben auf die Bühne oder die Fantasien eines Kindes, das den Regenbogen sieht. Das ist mehr als Musik, das hat etwas fast schon Theatralisches. Und so fällt es leicht, an diesem Abend auf einen bedeutenden Solisten zu verzichten, wie ihn Audi in den vergangenen Jahren immer geboten hat. Kein Oboist Albrecht Mayer, keine Cellistin Raphaela Gromes, sondern: Großstadt, Gullivers Reisen, fremde Horizonte.

Das gelingt vorzüglich, gerade auch, weil ein Blasorchester so übermäßig viele Klangfarben produzieren kann. Und die Audi-Bläser sind packende musikalische Erzähler.

Das zeigt sich bereits beim Eröffnungsstück "Arcus - A Daydream" von Thiemo Krass. Ein silbriger Gongschlag eröffnet das Stück und ist gleichzeitig wie das Startzeichen für einen Ausflug in Fantasiewelten, in denen rauschhafte Melodien von zauberischem Schlagzeug-Gefunkel verziert wird. In der das Orchester in fetzigen Rhythmen tobt, dass es eine Freude ist und man sich an die großen Werke von Leonard Bernstein erinnert. Weiter geht es an dem Abend zu einem Klassiker des Blasorchester-Repertoires: zu der "English Folk Song Suite" von Ralph Vaughan Williams. Hier zeigt sich, wie entspannt Pietro Sarno das Orchester führen kann, wie er den Musikern Raum gibt, die Töne zu entfalten. Und wie geschickt er kleine, gut vorbereitete Effekte inszeniert: Ein unscheinbares Heben der rechten Schulter und schon strahlen die Posaunen ein wenig kräftiger. Sarno ist sonst ganz und gar kein Showmaster am Dirigentenpult. Er reißt nicht die Arme dramatisch in die Höhe, rauft sich nicht die Haare und schon gar nicht ist er ein Taktstock-Zertrümmerer. Seine Effekte sind fein austariert. Aber dafür fehlt es dem jungen Kapellmeister gelegentlich noch an dem blitzenden Temperament, das das Publikum mitreißt und erschaudernd lässt.

Weitere Höhepunkte folgen an diesem Abend, immer wieder unterbrochen von unterhaltsamen Moderationen von Annekatrin Hentschel. Sie erläutert nicht nur geistreich die Werke, sondern stellt ganz nebenbei auch den neuen Dirigenten des Orchesters vor. Im Interview erläutert Sarno etwa, dass er bisher mit Autos und speziell mit Audis noch nicht viel anfangen konnte. Er sah sich gezwungen, bei seiner Anreise zum Vorstellungsgespräch für den neuen Job sich zumindest mal in Katalogen einen Überblick über die Angebotspalette des Autobauers zu verschaffen. Anscheinend waren die Automobilkenntnisse für die Einstellung nicht entscheidende.

Um so besser kennt sich der 32-Jährige in musikalischen Welten aus. Im "Portrait of a City" von Philip Sparks kocht die Großstadt London, die schwelgerischen Melodien umtost der Lärm der Straße. Im eher klassizistisch gehaltenen Werk "Gulliver's Travels" von Bert Appermont betreten die flinken Flöten das Reich Lilliputs, während die Basstuben im Land der Giganten donnern. In "Legenda Rumantscha" von Oliver Waespi gilt es den weichen, atmosphärischen Sound der Audi-Bläser zu bewundern und in "Rikudim - Four Israeli Folk Dances" den Sinn für schräge Rhythmen. Am Ende ein italienischer Schlager: "Funicuti-Funicula" wurde von Luigi Denza zur Eröffnung der Seilbahn auf den Vesuv komponiert und ist berückend wie eine Puccini-Arie. Die Bläserphilharmoniker musizieren die Melodie mit Verve und Schwung, dass das Publikum vor Begeisterung jubelt - und noch zwei Zugaben erklatscht. Die Rückkehr in die trübe Ingolstädter Herbstwelt fällt am Ende nicht leicht.

Jesko Schulze-Reimpell