Ingolstadt
Überraschung im Untergrund

Auf dem Gießereigelände haben Archäologen unweit des Kavalier Dalwigk einige nicht erwartete Funde gemacht

19.08.2020 | Stand 02.12.2020, 10:43 Uhr
Geschichtsträchtiger Ort: Grabungsleiter Adrien Werner-Siegfried mit einem Plan der Fronte Raglovich aus dem 19. Jahrhundert. Mauerreste der Festungsanlage sind jetzt auf dem Gießereigelände zutage gekommen (rechts im Bild). Außerdem fanden sich in einem Streifen entlang der Schlosslände Überreste von Gebäuden, die einst außerhalb der Stadtbefestigung errichtet worden waren (Bilder unten). −Foto: Eberl

Ingolstadt - An kaum einem anderen Platz in Ingolstadt konzentrieren sich so viele Spuren der Stadtentwicklung wie auf dem Gießereigelände.

Hier treffen mittelalterliche Reste auf digitale Zukunftspläne, Festungsbauten auf industriehistorische Gebäude. Ein besonderer Ort vor allem für Archäologen, die wegen der großflächigen Bauten auf dem Areal in den vergangenen Jahren bedeutende Funde gemacht haben. Sie können die großen Entwicklungslinien der Stadt nachzeichnen, stoßen aber auch immer wieder auf kleine Geschichten, die sich vor langer Zeit abgespielt haben.

Derzeit sind die Forscher rund um das Kavalier Dalwigk aktiv. "Ein spannender Ort innerhalb des acht Hektar großen Geländes", sagt Jan Weinig von der Grabungsfirma Pro Arch. Im Laufe der Jahrhunderte haben die Ingolstädter ihre Stadt öfter erweitert. Die Entwicklung von der kleinen mittelalterlichen Stadt zur großen Landesfestung verlief in mehreren Schritten. Immer wieder wurde der Untergrund neu bebaut, alte Gräben wurden verfüllt, Gebäude abgerissen, Flächen aufgeschüttet. Der schmale Streifen entlang der Schlosslände, in dem die Archäologen derzeit graben, lag allerdings immer außerhalb der Festungsmauer. So finden sich hier Spuren aus dem Mittelalter, die an vielen anderen Stellen im Zuge der zahlreichen Umbauten längst verschwunden sind. Unter anderem sind bestimmte Sedimente und Lehmbrocken aufgetaucht, die von einer Zeit zeugen könnten, als die Schanzer das Bedürfnis hatten, ihre Stadt möge näher an der Donau liegen. Tatsächlich floss der Hauptarm des Stroms im ausgehenden 14. Jahrhundert deutlich weiter südlich als heute. Vor dem kleinen Ingolstadt verlief nur ein Altwasser oder höchstens ein seichter Nebenarm. Am damaligen Ufer sind die Überreste einiger Fischteiche aufgetaucht. Aber die Schanzer wollten mehr. "Die Stadt ließ sich nicht verlegen, der Fluss aber schon", erklärte Weinig. Und so schnitten die Ingolstädter den südlichen Donauarm - die heutige Sandrach - ab und fluteten den Nebenarm vor ihrer Stadt. Jetzt konnten hier Transportschiffe und Floße fahren, das Vieh wurde getränkt, und den Ingolstädtern stand einigermaßen sauberes Wasser zur Verfügung. Die kleine Schutter, die quer durch die Stadt floss, muss man sich dagegen eher als eine stinkende Kloake vorstellen. Die mutmaßlichen Spuren der Flussverlegung sind allerdings nicht die einzigen überraschenden Funde, die hier zuletzt gemacht wurden.

Wer heute von Süden auf das Kavalier Dalwigk blickt, dem fällt eine Mauer auf, die senkrecht von dem Gebäude weg Richtung Donau verläuft. Sie ist ein Teil jener Stadtbefestigung, die rund 150 Jahre nach der Flussverlegung errichtet und immer wieder ausgebaut wurde. Hinter ihr verschanzten sich die Ingolstädter unter anderem gegen die Schrecken des 30-Jährigen Krieges. Noch einmal gut 150 Jahre später stand Napoleon vor der Festung. Die Ingolstädter übergaben ihre Stadt kampflos an den französischen Eroberer. Der ging allerdings auf Nummer sicher und ließ die frühneuzeitlichen Mauern rund um die Stadt in großen Teilen zerstören. Das war nur einer der schweren Schläge, die die Ingolstädter um das Jahr 1800 hinnehmen mussten: Gleichzeitig wurde die 1472 gegründete Landesuniversität nach Landshut verlegt, die Stadt verlor rund die Hälfte ihrer Bewohner.

Allerdings boten die Veränderungen für manche auch Chancen. Jahrhundertelang wurde das Areal direkt vor der Stadtmauer nicht bebaut. "Es musste als Schussfeld frei bleiben", erklärt Grabungsleiter Adrien Werner-Siegfried. Jetzt verkaufte die klamme Stadt hier Grundstücke. Tatsächlich haben die Archäologen in diesem Uferstreifen zwischen der einstigen Stadtmauer und der heutigen Bahnbrücke Siedlungsspuren gefunden. "Hier muss also jemand gelebt haben", sagt Werner-Siegfried. Vermutlich wurde hier eine Landwirtschaft betrieben - allerdings nicht sehr lang. Kaum 30 Jahre später, im Jahr 1828, begann der Bau der Landesfestung Ingolstadt. Die Stadt kaufte die veräußerten Grundstücke zurück.

Die Entscheidung, Ingolstadt zur Landesfestung auszubauen, traf das bayerische Königshaus. Militärisch gesehen sei das allerdings "völlig sinnfrei" gewesen, sagt Weinig. Die Technik der Belagerungswaffen schritt schnell voran. "Die Reichweite von Geschützen verdoppelte sich alle paar Jahre. " Der Bau der Festung dürfte vor allem der Wirtschaftsförderung gedient haben. Außerdem verfolgten die Bauherrn repräsentative Zwecke. Das ist unter anderem an einer Wand der Fronte Raglovic zu erkennen, die jetzt bei den Bauarbeiten für das Digitale Gründungszentrum in und um das Kavalier Dalwigk zum Vorschein gekommen ist: Die Mauer ist bossiert, wie es Experten nennen. Steinmetze haben sie mit einem historisierenden Muster versehen.

Das kommt heute noch gut an. Nicolai Fall, Geschäftsführer der die Bauarbeiten leitenden INKoBau GmbH, hat Gefallen an der gut erhaltenen Mauer gefunden und überlegt, ob sie nicht stehen bleiben sollte. "An der Stelle ist eine Zufahrt geplant, wir müssten ohnehin eine Mauer bauen. Aber wenn hier schon eine schöne ist. . . "

Mag sein, dass sich die Spuren der Vergangenheit auf dem Gießereigelände also bald mit Neuem mischen.

DK