Ingolstadt
Keine Angst vor der Mensch-Maschine

Höchstens ein bisschen: Technikexperte vermisst vor Schülern der FOS/BOS die Künstliche Intelligenz

25.03.2019 | Stand 23.09.2023, 6:22 Uhr
Kunst kann er auch schon: Der Industrieroboter "Beppo" (sechs Achsen, 2,20 Meter Reichweite und 900 Kilogramm Gewicht) zeichnet in der Ausstellung "Künstliche Intelligenz und Robotik" im Heinz-Nixdorf- Museums-Forum in Paderborn mit einem Besen verschiedene Muster auf den Boden. Auch in Ingolstadt wurde jetzt die Gründung eines Zentrum für Künstliche Intelligenz auf den Weg gebracht. −Foto: Guido Kirchner/dpa

Ingolstadt (DK) Die Fach- und Berufsoberschule (FOS/BOS) warf in der jüngsten Ausgabe ihrer Reihe "Talk am Donnerstag" große Fragen der Zukunft auf: Das Risiko der auf breiter Front verbreiteten Künstlichen Intelligenz (KI) und die Konsequenzen der Digitalisierung für die Arbeitswelt von heute und die Jobs von morgen - vor allem in der Automobilindustrie. Der Referent Andreas Varesi führte die fast 150 Schüler (plus Lehrer) über Minenfelder der Moderne, relativierte aber Sorgen vor der KI. Bernward Clausing, Ingenieur und Coach, plädierte für mehr Wertschätzung im Berufsleben sowie eine neue Führungskultur in den Unternehmen.

Hollywood kann einem aber so richtig die Zukunftshoffnung verhageln. Man schaue nur den Film "Transformers" aus dem Jahr 2007 an: Da beginnen ganz normale Kraftfahrzeuge plötzlich, völlig autonom aufzubrausen, ohne dass ein Pionier aus der Automotive-Branche dahintersteckt (zumindest keiner aus Fleisch und Blut). Die Fahrzeuge außer Rand und Band (alle mit Verbrennungsmotor) transformieren sich zu Kampfrobotern - Autobots genannt -, auf den Weg gebracht von einer fernen Zivilisation, die jener auf der Erde überlegen ist, wie angesichts des schaurig-dystopischen Großblechschadens auf der Leinwand nicht zu übersehen ist. Die intelligenten Maschinen bereiten der Menschheit ordentlich Ärger.

Dschamila Noe, Schülerin der FOS (Klasse 13), hat den Film gesehen. Die Moderatorin des "Talks am Donnerstag" in der Schulaula fragt den Experten für Zukunftstechnologien auf der roten Couch ihr gegenüber ganz direkt, wie groß die Gefahr sei, dass künstliche Vordenker eines Tages blockbustermäßig an die Macht drängen. "Wir Menschen, heißt es, nutzen nur 20 Prozent unseres Gehirns - und wir machen Fehler. KI lernt schnell dazu und macht keine Fehler. Da stellt man sich die Frage, ob die Roboter wie in ,Transformers' die Führung übernehmen, ohne dass wir es kontrollieren können." Andreas Varesi, Unternehmer, Berater, Trainer und kritisch in der digitalen Welt zu Hause, hat "Transformers" bestimmt auch gesehen. "Es ist von Hollywood eine wahnsinnige Angst vor künstlicher Intelligenz geschürt worden", antwortet er. In manchen dieser düsteren Szenarien würden die Menschen "wie Parasiten" eingestuft. "Die packe ich mal weg, dann wird die Welt besser. Das setzt aber voraus, dass die Maschinen eigenständig Ideen entwickeln - und zwar über ihre Aufgabe hinaus." Das sieht Varesi jedoch eher nicht.

Der Referent leitet elegant von den Killerrobotern weg und führt jemand ganz anderen ins Feld, um die Grenzen der KI zu verdeutlichen: seinen sechsjährigen Neffen. Diesen Schlingel. "Wenn ich mit ihm Schach spiele, und ich schaue mal nicht hin, kann es passieren, dass die Figuren plötzlich in einer anderen Anordnung auf dem Brett stehen als vorher." Der Bub habe nämlich "die Tricks des Betrügens schon raus", verrät Varesi. Damit sei der Sechsjährige der künstlichen Intelligenz klar überlegen. "Denn eine KI hält sich immer an die Spielregeln. Die kann Schach so gut, dass sie jeden Weltmeister schlägt, aber sie kommt nicht auf die Idee zu betrügen. Weil es der KI nicht vorgegeben wurde. Das heißt: So lange eine KI in einem Rahmen bleibt, so lange sie auf ganz spezielle Aufgaben fokussiert und programmiert ist - und nicht mehr und nicht weniger - ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine KI von sich aus auf dumme Gedanken kommt, sehr gering." Da müsste dann schon ein böser Mensch kommen und die KI lehren, wie sie sich erfolgreich dem Schlechten zuwendet und dort die Gabe der gezielten Gemeinheit perfektioniert.

Varesi relativiert Ängste vor der Vormacht der intelligenten Maschinen, indem er das ebenso oft bemühte wie ominöse Modewort Industrie 4.0 modifiziert. Digitalisierung finde schon seit den 70er und 80er-Jahren statt: Das war der Durchbruch der Büro- und Heimcomputer. Er erinnert an das Magazin "Der Spiegel". Der prophezeite bereits 1978 in einer fast panischen Titelstory den Tod von Millionen Jobs ("Die Computerrevolution"). Es ging nochmal gut.

 

 


Neu an der Industrie 4.0 sei die Vollvernetzung. "Alles greift aufeinander zu." Doch der Gast berichtet in der FOS auch von Branchen, in denen selbst lernende Systeme in großem Stil Arbeitsplätze kosten. Etwa im Marketing, wo Algorithmen erkennen, was die Kunden wünschen, und sie autonom mit immer neuen Angeboten eindecken, "Da werden viele Jobs nicht mehr gebraucht." Man denke auch an 3- D-Druck. Es gebe einen Hersteller, der individuell nach Wünschen der Kunden gefertigte Küchen innerhalb von 48 Stunden seit der Bestellung ausliefere. Dabei kämen digital generierte Fertigungsverfahren zum Einsatz, die immer mehr Handwerker überflüssig machen. "Das ist wirklich erstaunlich." Und erst der Anfang der Entwicklung, sagt der Referent.

Die Biologie gewährt Trost. "Wie gefährlich ist KI wirklich?", fragt Varesi. Und gibt eine Antwort: "100 Millionen Neuronen arbeiten im Gehirn eines Menschen, plus 200000 Synapsen"; da komme so schnell keine Software hin. "Der Mensch ist ein komplexer biologischer Quantencomputer, da geht was ganz anderes ab." Emotionale Aufgaben. "Das kann KI nicht." Das Erkennen von Gefühlen, Stimmungen, Ironie oder Zwischentönen in Gesprächen. "Mein Glaube an die Allmacht der KI ist daher gering", resümiert Varesi. Die Transformers bleiben noch eine Weile in Hollywood.

Trotz aller Erleichterung haut der Referent aber auch weniger anheimelnde Zukunftsprognosen raus: "Die Folge des Wandels in der Mobilität werden dramatisch sein! Der Bestand an Fahrzeugen wird deutlich sinken." Und damit die Produktion. "Die Jobs in der Automobilindustrie werden schon jetzt weniger, man sieht es auch bei Audi in Ingolstadt, wo Manager abgefunden werden."

Der zweite Referent ist der gelernte Mechaniker, Maschinenbauingenieur und Coach Bernward Clausing. Er verdeutlicht den jungen Leuten, wie der "erschreckende demografische Wandel " mit der Transformation der Arbeitswelt zusammenwirke. Ebenfalls erschreckend. "Immer weniger Menschen arbeiten." Für immer mehr Rentner. Clausing fordert als Konsequenz "eine neue Führungskultur": Mehr "dienen" als delegieren. Und: "Karriere nicht um jeden Preis." Wenn es gelinge, "dass die Leute das tun, was sie gerne tun, bringt man sie in ihre Kraft - damit wird Wertschöpfung zur Wertschätzung." Genau das müsse die Zukunft sein.
 

 

 

Christian Silvester