Rentnerband und Gänsefamilie

14.08.2008 | Stand 03.12.2020, 5:41 Uhr

Gänsefamilie auf dem Streifzug im Glacis: Margarethe Schindler und ihre Enkelin füttern die Vögel.

Ingolstadt (DK) „24 Stunden Ingolstadt“ lautet der Titel der Sommerserie im DK. In zwei Dutzend Geschichten wird jeweils eine Stunde des Tages an einem anderen Ort in Ingolstadt erzählt, um den ganz normalen Alltag zu schildern. Heute: Von 16 bis 17 Uhr auf Ingolstadts beliebtem Spielplatz am Künettegraben.

Doch siehe da – auf dem Spielplatz rührt sich tatsächlich etwas, und auch der Regen hat nach kurzer Zeit wieder nachgelassen. Auf einer Parkbank haben sich Margarethe Schindler, ihre Enkelin und ihre beiden Urenkelinnen eng unter einem Schirm zusammengekuschelt.

Die 87-Jährige lebt, weil sie pflegebedürftig ist, in einem Seniorenheim und freut sich immer, wenn die Familie sie zu einem Ausflug abholt. "Im Heim treff’ ich ja nur immer alte Leut’." Deshalb wollte sie unbedingt hierher kommen. "Um mal ein paar spielende Kinder zu sehen."

Die kleine Emilia liebt diesen Spielplatz – wegen der Rutschen. "Sie weint immer, wenn wir nicht hierher kommen", erzählt ihre elfjährige Schwester Melissa. Obwohl sie draußen in Seehof wohnen, fährt Carola Buksek also oft mit ihren Töchtern zum Künettegraben. "Wir schauen uns manchmal auch die Vögel in der Voliere an."

Melissa erzählt von ihrem Kurs in Selbstverteidigung, den sie gerade mit dem Ferienpass absolviert hat. Sie packt die Mutter an den Armen und zeigt, wie man einen Angreifer durch eine Drehung abwehren kann. "Und an den Haaren muss man nicht nur ziehen – man muss sie auch drehen", erklärt das Mädel. "Dann tut es noch mehr weh."

Die kleine Demonstration wird unterbrochen, als auf dem Spazierweg eine große Gänsefamilie angewatschelt kommt. Während die Alten einen langen Hals machen und jeden Menschen, der ihnen zu nahe rückt, böse anfauchen, suchen die Jungvögel den Boden nach Fressbarem ab. Carola Buksek hat Brot dabei und füttert die Tiere, während sich die vierjährige Emilia ängstlich auf dem Kletterturm in Sicherheit bringt. Von dem Spektakel lassen sich die beiden Männer an der Tischtennisplatte nicht ablenken. Den kurzen Regenschauer haben Helmut Stadler und Matthias Hollenbach unter dem schützenden Blätterdach eines großen Baumes abgewartet, jetzt wollen sie ihr Match fortsetzen. Tischtennis sei eine schöne Sportart: "Der ganze Körper ist in Bewegung, man muss sich oft bücken nach dem Ball und reaktionsschnell sein. Wir gehören zu einer Rentnerband und treffen uns mehrmals in der Woche", erzählen sie. "Bei schlechtem Wetter spielen wir immer hier, bei gutem sind wir am Baggersee."

Dort sei es jetzt im August so schön. "Ich möcht’ gar nicht woanders sein", schwärmt Matthias Hollenbach, der 66 Jahre alt ist. Durch den nahe gelegenen Zeltlagerplatz treffe man bei den Tischtennisplatten neben der Beachvolleyballanlage junge Menschen aus verschiedenen Ländern. "Man versteht zwar kein Wort von dem, was sie reden, kann aber trotzdem miteinander spielen", sagt Helmut Stadler. Regelmäßig käme auch ein chinesisches Paar zum Tischtennisspielen. Apropos China: "Wir hoffen natürlich, dass unser Timo Boll die Chinesen bei den Olympischen Spielen schlägt", beteuern beide Männer.

Dann fängt es wieder an zu regnen. Auch Eva Seipp packt ihre Enkelkinder zusammen, obwohl sie mit Gummistiefeln wetterfest angezogen sind. Dabei hätte der kleine Paul noch so gerne weiter mit dem Bagger im Matsch gegraben.

Und dann ist der Ort plötzlich wie leer gefegt. Als sei es traurig darüber, lässt das große Schaukelpferd die Mundwinkel hängen. Regen tropft von seinem Maul hinab und bildet eine kleine Pfütze. Wieder ist eine Stunde verronnen.